Nationalistische Kriegsführung
Putins Politik ist paranoid – und imperialistisch
Putin behauptet, sein Land habe Anspruch auf eine Einflusssphäre, deren Grenzen die des kolonialen Zarenreichs sind. Diese Sphäre verteidige er nun militärisch. Sein Angriff auf einen souveränen Nationalstaat ist aber nicht defensiv, sondern pure Aggression.
Sein Argument, die Regierung der Ukraine sei eine Marionette der NATO, ist absurd. Hat die NATO nicht genug klargemacht, dass sie für die Ukraine keinen Krieg führen will? Und hat sie sich deren Beitrittswunsch nicht deutlich genug verschlossen? Es gibt keine Beitrittsgespräche. Die NATO beharrt lediglich darauf, langfristig müsse die Ukraine selbst entscheiden dürfen, welchen Allianzen sie angehören will.
Tatsächlich war vor der Krim-Donbass-Krise, in welcher Russland vor acht Jahren erstmals gewalttätig in innere Angelegenheiten der Ukraine eingriff, auch dort NATO-Mitgliedschaft gar kein Thema. Putins Politik macht die NATO attraktiv und erneuert ihre Existenzgrundlage.
Putin-Apologeten sagen seit langem, Russland fühle sich von NATO-Aspirationen an seinen Grenzen bedroht. Das ist Unfug. Die NATO akzeptiert das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Der Kreml tut das nicht. Tatsächlich hat Putin vor der „Soft Power“ des Westens sogar mehr Angst als vor seiner „Hard Power“. Ihm schwant, dass sich Russen etwas Besseres als Kleptokratie und Oligarchen-Herrschaft wünschen werden, sollten sie Demokratie irgendwo im Ostblock beziehungsweise früheren Machtbereich des Zaren gelingen sehen.
Innenpolitisch agiert Putin schon lange autoritär, repressiv und verlogen. Er missachtet Menschenrechte. Andersdenkende werden nicht nur eingeschüchtert, sondern zum Schweigen gebracht. Die Leute sollen nationalistischer Propaganda glauben, ohne die historische Wahrheit zu kennen (siehe Hans Dembowski auf www.dandc.eu). Russische Geheimdienste haben sogar im Ausland Mordanschläge verübt.
Globale Implikationen
Der russische Angriff auf die Ukraine stellt das gesamte multilaterale System infrage. Bürgerkriege haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Länder verheert, aber Kriege zwischen Staaten waren selten geworden. Anders als bei den von den USA angeleiteten Invasionen in Afghanistan und Irak gibt es diesmal auch gar nicht den Anspruch, irgendwie das Weltinteresse zu vertreten. Es ist ausgeschlossen, dass der UN-Sicherheitsrat diesem Angriff rückwirkend ein Mandat erteilt, wie das etwa im Falle des Kosovo geschah. Moskaus aktuelles Handeln entspricht dem imperialistischen Nationalismus, der Europa vor dem Zweiten Weltkrieg prägte.
Die Gewalt wird eskalieren, das Blutvergießen wird schrecklich. In einer wichtigen Hinsicht ist Kriegsführung heute aber schlimmer als in vergangenen Jahrhunderten. Wir leben in der Klimakrise. Wenn die internationale Gemeinschaft sie nicht in den Griff bekommt, werden die Umweltprobleme schnell zunehmen und unter anderem noch mehr Gewaltkonflikte auslösen.
Krieg verschärft die Klimakrise. Militäroperation richten gewaltige Schäden an, sind aber energieintensiv. Null-Emissionen stehen auf der Sorgenliste kämpfender Soldaten weit unten. Destruktiverweise lenkt der Gewaltkonflikt die Weltgemeinschaft von der Dringlichkeit des Klimaschutzes ab. Es ist kein Zufall, dass Russland vom Export fossiler Brennstoffe abhängt. Putin hat nie Interesse an Klimathemen gezeigt, und in seinem Verfolgungswahn hält er sie möglicherweise nur für Komponenten einer großen antirussischen Verschwörung.
Wissenschaftlich steht aber fest, dass sich das Weltklima erhitzt. Wir wissen auch, dass uns die Zeit zum Gegensteuern ausläuft.
Unverzichtbarer Multilateralismus
Die Menschheit braucht globale Kooperation, um globale Probleme zu meistern. Als Kenias Botschafter Martin Kimani vor Kriegsbeginn in der Ukraine im Weltsicherheitsrat sprach kam, sagte er, afrikanische Grenzen spiegelten vergangene Kolonialreiche wieder, zerschnitten aber typischerweise die Gegenden, in denen bestimmte Gemeinschaften leben. Daraus folgt, dass für die Wahrung von Frieden und anderen öffentlichen Gütern grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Integration nötig sind.
Kimani appellierte zu Recht an alle Regierungen, den Multilateralismus zu schützen. Es gibt keine Alternative, die nicht destruktiv und verantwortungslos wäre.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu