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Sahelzone

Unschuldiges Leid in der Sahelzone

Länder mit hohen CO2-Emissionen haben eine Verantwortung gegenüber Ländern mit niedrigen Emissionen. Zum Beispiel müssen sie Niger helfen, resilienter zu werden und Ernährungsunsicherheit zu bewältigen. Am südlichen Rand der Sahara-Wüste wird informelle Subsistenzwirtschaft zunehmend unrentabel.

Niger ist durch die Erderwärmung extremen Belastungen ausgesetzt. Die Temperaturen steigen hier 1,5-mal schneller an als im globalen Durchschnitt. Zwar trägt das Land weniger als 0,1 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei, aber das schützt nicht vor wetterbedingten Katastrophen wie Dürren und zunehmend unregelmäßigen Niederschlägen. Die Sahara dehnt sich langsam nach Süden aus. Derzeit leiden rund 4,4 Millionen Menschen in Niger – etwa ein Fünftel der Bevölkerung – unter Ernährungsunsicherheit. Das sind doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.

Die russische Invasion in der Ukraine hat die Lage noch verschlimmert. Die Preise für Lebensmittel und Brennstoffe steigen rasant. Hinzu kommt, dass Niger eine der höchsten Bevölkerungswachstumsraten der Welt hat. Der nigrische Agrarsektor muss effizienter werden, um mit der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln Schritt zu halten. Wegen der zunehmenden Instabilität produziert Niger jedoch nicht mehr, sondern weniger Nahrungsmittel.

Subsistenzlandwirtschaft

Das eigentliche Problem ist, dass die informelle Subsistenzlandwirtschaft, von der die meisten Menschen im Niger abhängig sind, durch die Erderwärmung unrentabel wird – sowohl die Weidewirtschaft als auch die traditionelle Landwirtschaft. Knapp 90 Prozent der Menschen leben in ländlichen Gebieten und sind auf regenbewässertes Land und Nutzpflanzen angewiesen.

Der Zugang zu Trinkwasser und Ackerland wird immer knapper. Gleichzeitig steigt die Nachfrage. Der Klimawandel und das schnelle Bevölkerungswachstum verschärfen Konflikte um natürliche Ressourcen. Lokale Spannungen können interkommunale Konflikte auslösen. Die Folgen sind bewaffnete Konflikte, Vertreibung der Bevölkerung sowie schlechterer Zugang zu Ackerland. Landwirtschaftliche Zyklen werden unterbrochen, was potenziell die Produktivität künftiger Zyklen senkt. Eine schlechte Saison wirkt sich auf die folgenden Saisonen hinaus aus und führt zu langanhaltender Ernährungsunsicherheit, die durch weitere Klimaschocks noch verstärkt werden kann. Anderswo ist die Situation ähnlich – etwa am Horn von Afrika (siehe Christoph Schneider-Yattara auf www.dandc.eu). 

In den vergangenen 50 Jahren ist die Fläche des Tschadsees, der an Niger, Nigeria, Tschad und Kamerun grenzt, um 90 Prozent geschrumpft. Die Gebiete um den See sind durch Auseinandersetzungen geplagt. Beobachter sprechen vom Tschadseebecken-Konflikt. Allein in Niger gibt es 313 000 Binnenvertriebene, das Land selbst nahm wiederum 234 000 Geflüchtete auf. Die Versorgung dieser Menschen belastet Nigers Politik, Wirtschaft und Infrastruktur zusätzlich.

Forschende erwarten, dass die Temperaturen in Niger bis 2030 um ein weiteres Grad steigen werden, bis 2050 sogar um 3 Grad. Die natürlichen Ressourcen werden dadurch noch begrenzter, was die Konfliktdynamik weiter anheizt.

In diesem Sommer werden voraussichtlich fast 41 Millionen westafrikanische Menschen nicht genug Nahrung haben, davon 4,4 Millionen – mehr als 10 Prozent – in Niger. Bis April hatten die nigrische Regierung und die internationale Gemeinschaft Mittel mobilisiert, um 3,3 Millionen Menschen zu helfen. Über 1 Million weitere Menschen brauchen jedoch humanitäre Hilfe. Wenn keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden, ist eine massive Vertreibung wahrscheinlich. Internationale humanitäre Organisationen wie das International Rescue Committee (IRC) stocken ihre Hilfe auf. Aber auch Länder mit hohen Einkommen müssen sich engagieren.

Resilienz aufbauen

Ein staatliches, soziales Sicherheitssystem gibt es in Niger kaum (siehe Stefan Beierl auf www.dandc.eu). Die armen Dorfgemeinschaften müssen auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen. Langfristige Investitionen in die Gesundheit und die Stärkung der Rolle der Frau sind notwendig. Eine aktuelle IRC-Studie hat gezeigt, dass entsprechende Maßnahmen die Unter- und Mangelernährung drastisch reduzieren könnten. Selbst einfache Dinge wie die Aufklärung werdender Mütter über das Stillen machen einen Unterschied, wie es IRC zum Beispiel in der Region Tillabéri mit Unterstützung der Deutschen Postcode Lotterie macht.

Es muss noch viel mehr passieren. Die Wirtschaft muss diversifiziert und eine klimaresistente Infrastruktur aufgebaut werden, um die Gemeinden auf die Klimawandelfolgen vorzubereiten. Dazu gehören Investitionen in produktive Infrastruktur, um weniger abhängig von der regenbewässerten Landwirtschaft zu sein, und die Förderung einer nachhaltigen Pflanzen-, Vieh- und Landbewirtschaftung. Aus eigener Kraft hat Niger weder die Kapazitäten noch die Mittel, um dem Teufelskreis aus sich verschärfenden Ressourcenkonflikten und Ernährungsunsicherheit zu entkommen.

Und Länder mit einem hohem CO2-Ausstoß müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Der Europäische Green Deal weist in die richtige Richtung – die Umsetzung muss nun schnell folgen.


Paolo Cernuschi ist Landesdirektor des International Rescue Committee (IRC) in Niger.
IRCDeutschland@rescue.org

 

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