Verfassungsrecht

Wie Pakistans Justiz entzahnt wurde

Pakistans vom Militär unterstützten Regierung ist es gelungen, dem Obersten Gericht wichtige Kompetenzen zu nehmen. Sie hat sich dessen neuen Präsidenten ausgesucht.
Das Gebäude des Supreme Court in Islamabad. picture alliance / Xinhua News Agency / Ahmad Kamal Das Gebäude des Supreme Court in Islamabad.

Pakistans Supreme Court (SC) hat in der Vergangenheit staatlichen Akteuren oft Grenzen gesetzt. Urteile hielten an Verfassungsgrundsätzen fest und fielen immer wieder gegen Bundes- und Provinzregierungen aus. Damit ermutigte der SC auch die regionalen High Courts zu einer ähnlichen Wächterrolle. Tatsächlich haben die oberen Instanzen sogar mehrfach gegen das mächtige Militär entschieden.

Das wird künftig voraussichtlich anders. Die von den Generälen unterstützte Regierung hat nämlich Verfassungsänderungen durch beide Parlamentskammern gebracht, sodass nun ein von ihr dominierter Parlamentsausschuss die Spitzenposition am SC benennt. Bislang tat das eine überwiegend aus Richter*innen bestehende Justizkommission nach Anciennitätsprinzip.

Diese Reformen wurden sehr schnell durchgesetzt – gerade rechtzeitig, um Syed Mansoor Ali Shah als SC-Präsidenten zu verhindern. Er gilt als unabhängig und wäre am Zug gewesen. Stattdessen wählte nun ein Ausschuss den neuen Chief Justice unter den drei Dienstältesten aus. Statt Al Shah wird deshalb am 26. Oktober Yahya Afridi vereidigt. 

Pakistan ringt mit einer schweren Wirtschaftskrise und ernsten Sicherheitsproblemen. Eine Koalition aus vielen Parteien regiert seit den Wahlen im Februar, bei denen das Lager des umstrittenen früheren Premierministers Imran Khan die meisten Parlamentssitze gewann, allerdings die Mehrheit verfehlte. Es gab ernst zu nehmende Vorwürfe der Wahlmanipulation, sodass die Regierung Grund zu der Furcht hatte, ein von Ali Shah geführter SC könne die Wahl annullieren.

Fachleute rechnen mit weiteren Folgen. Seit einiger Zeit wächst die Repression. Imran Khan sitzt seit Monaten in Haft, aber viele halten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe für fragwürdig. Andere Funktionstragende seiner Partei sind ebenfalls hinter Gittern oder verstecken sich. Aktivisten, Influencer auf sozialen Medien und sogar Abgeordnete der Opposition sind auf mysteriöse Weise verschwunden, wobei manche allerdings nach einer Intervention der Justiz wieder aufgetaucht sind. Solche Interventionen dürften künftig seltener werden und vielleicht gar nicht mehr vorkommen.

Neue Verfassungskammern

Die Reformen haben dem SC und den High Courts nämlich die Zuständigkeit für politisch brisante Fälle genommen. Dafür wurden neue Verfassungskammern eingerichtet, die in der Praxis als eigenständige Justizinstitution agieren dürften. Der SC-Präsident bestimmt mit einer modifizierten Justizkommission, in der die Regierung stärker vertreten sein wird als bisher, über deren Besetzung. Die Regierung entscheidet also fortan direkt und indirekt, wer über sie Recht sprechen wird.
Diese Menschen werden nicht mehr nur an das Gesetz gebunden und ansonsten unabhängig sein. Es dürfte sich vielmehr um Karrierist*innen handeln, die sich mit jahrelangem Wohlverhalten profiliert haben.

Misstrauen ist immer berechtigt, wenn eine Regierung mit Verfassungsänderungen die Unabhängigkeit der Justiz antastet. Das gilt besonders, wenn sie Grund hat, richterliche Entscheidungen zu fürchten. In Pakistan trug nun zur Beunruhigung zusätzlich bei, dass die Details der Reform so spät der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, dass eine breite demokratische Diskussion gar nicht möglich war. Was geschehen ist, erinnert viele an eine Art Machtergreifung.

In der Tat haben die Reformen aus Sicht der unabhängigen International Commission of Jurists Pakistans Justiz zahnlos gemacht. „Diese Änderungen führen zu einem außerordentlich hohen Maß an politischem Einfluss auf die Berufung von Justizpersonal und die Justizverwaltung“, sagte Santiago Canton, der Generalsekretär der internationalen Organisation. „Sie erodieren die Fähigkeit der Gerichte, unabhängig zu agieren, andere Staatsgewalten zu kontrollieren und die Menschenrechte zu schützen.“

Imran Mukhtar ist Journalist und lebt in Islamabad.
imranmukhtar@live.com 

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