Entwicklung und
Zusammenarbeit

Sozialer Sektor

Pakistans soziale Kluft

Pakistans herrschende Elite genießt enorme Privilegien: Sie schickt ihre Kinder auf Privatschulen und lässt sich in Privatkliniken behandeln. Ihr fehlt der Bezug zu den Problemen, die den Großteil der Bevölkerung plagen; daher investiert sie nicht in die soziale Sicherheit der Massen, sondern in Dienstleistungen für die Reichen.
Ein Mural an einer Wand der Punjab University in Lahore, Pakistan, versinnbildlicht die Bürde der Armen, die den Lebensstil der Elite schultern. picture alliance/Middle East Images/Raja Imran
Ein Mural an einer Wand der Punjab University in Lahore, Pakistan, versinnbildlicht die Bürde der Armen, die den Lebensstil der Elite schultern.

Als der Kaschmir-Konflikt zwischen Pakistan und Indien im vergangenen Frühjahr wieder aufflammte, blickte die Welt besorgt auf die Grenzregion zwischen den beiden Atommächten. Beide Seiten setzten moderne Kampfflugzeuge und Drohnen ein, ehe sie sich auf einen von den USA vermittelten Waffenstillstand einigten. Für viele Menschen in Pakistan Grund genug, das Militär zu feiern, das die Landesgrenzen so gut verteidigen konnte. 

Während das Militär nach außen und innen Stärke zeigen will, sind die sozialen Indikatoren des Landes weiterhin alarmierend schwach. Etwa 26 Millionen Kinder, mehr als jedes dritte, gehen nicht zur Schule, wie die zivilgesellschaftliche Organisation Save the Children berichtet. Der Human Capital Index (HCI) der Weltbank misst, wie gut Länder ihre Kinder durch Bildung und gesundheitliche Versorgung darauf vorbereiten, später zur Produktivität des Landes beizutragen. Pakistans HCI-Wert von 0,41 liegt unter dem Durchschnitt Südasiens von 0,48 und entspricht den Werten in Subsahara-Afrika (Regionaldurchschnitt 0,40). Dennoch gibt Pakistan weniger als ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung aus und liegt damit weit unter dem Richtwert von vier bis sechs Prozent, den der UN-Aktionsrahmen „Bildung 2030“ empfiehlt.

Auch die öffentlichen Gesundheitsausgaben Pakistans reichen bei Weitem nicht aus; sie liegen weiterhin unter einem Prozent des BIP. Die Menschen müssen einen großen Teil der Kosten aus eigener Tasche bezahlen – ein Indikator dafür, dass das Gesundheitssystem ungerecht und nicht nachhaltig finanziert ist. Gleichzeitig haben laut der humanitären Organisation Human Concern International nur 39 % der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser und nur 68 % zu grundlegenden sanitären Einrichtungen. Die Liste ließe sich fortsetzen, und die Anfälligkeit Pakistans für klimabedingte Katastrophen verschärft die Situation noch.

Die enorme Diskrepanz zwischen Pakistans militärischer Stärke und den miserablen Indikatoren für menschliche Entwicklung wirft die Frage auf: Weshalb schafft es ein Land mit derart fortschrittlichen Verteidigungssystemen nicht, seiner Bevölkerung angemessene Grundbildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit zu bieten?

Gated Communities und Privatschulen

Dieses Paradoxon wurzelt in einer tiefen Kluft zwischen Elite und Bevölkerung. Politisch Verantwortliche, Beamte, Richter*innen am Obersten Gericht, Geschäftsleute und Militärs schotten sich über Parallelsysteme vom maroden öffentlichen Sektor ab. Sie leben in Gated Communities und beschäftigen Sicherheitsdienste. Ihre Kinder besuchen Eliteeinrichtungen wie Militär- oder Privatschulen. Im Krankheitsfall werden sie in Militär- oder Privatkliniken behandelt. Viele haben die doppelte Staatsbürgerschaft oder einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in einem Industrieland.

Diese Parallelsysteme schützen die Elite vor den Unzulänglichkeiten des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens. Also hat diese Elite – da sie selbst nicht auf öffentliche Systeme angewiesen ist – oft keinen Anlass, diese zu verbessern.

Anders sieht es mit den Verteidigungsausgaben aus. An denen gibt es nichts zu rütteln, denn es gibt keinen privaten Markt für nationale Sicherheit. Wenn der Staat seine Grenzen nicht verteidigt, verliert die Elite genauso wie alle anderen ihre Privilegien. Deshalb sind Verteidigungsbudgets unantastbar – während Sozialausgaben trotz hochtrabender politischer Rhetorik gekürzt werden. 

Ähnlich steht es um die physische Infrastruktur wie Autobahnen sowie Über- und Unterführungen. Dafür gibt es unverhältnismäßig viel Geld, denn sie erleichtert der Elite ihren urbanen, autoabhängigen Lebensstil. Derweil verkümmern ländliche Schulen, Trinkwassersysteme und Einrichtungen zur medizinischen Grundversorgung. 

Große Versprechen, schwache Umsetzung

An hehren Erklärungen fehlt es in Pakistan nicht, etwa zu Notfallmaßnahmen im Bildungsbereich, Sozialschutzplänen und Zusagen zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung. Nennenswert mehr Geld gibt es aber selten. Jahr für Jahr fehlen in sozialen Sicherungsprogrammen Mittel für Bildung und Gesundheit, sodass Millionen von Kindern weiterhin Ausbeutung, Unterernährung und Gewalt ausgesetzt sind. Stattdessen werden oft „sichtbarere“ Projekte finanziert, die unmittelbaren politischen Nutzen bringen, statt langfristig Humankapital zu fördern.

Echte nationale Sicherheit lässt sich aber nicht nur an Raketen und Kampfflugzeugen messen. Die wahre Stärke einer Nation liegt in der Gesundheit, Bildung und wirtschaftlichen Resilienz ihrer Bevölkerung. Länder wie Südkorea und Singapur, einst vom Krieg zerrissen und arm, haben die menschliche Entwicklung zur Priorität gemacht und ihr Schicksal gewendet. Das sollte auch Pakistan tun und dabei drei Punkte berücksichtigen:

  1. Wirtschaftliche Sicherheit hängt vom Humankapital ab: Keine Nation kann nachhaltig wachsen, ohne qualifizierte, gesunde Arbeitskräfte. Heutige Investitionen in Bildung und Gesundheitsversorgung zahlen sich in einem Jahrzehnt wirtschaftlich aus.
  2. Eine sichere Lebensmittel- und Wasserversorgung ist zentral für Stabilität: Unterernährung und Wasserknappheit verschärfen Armut und Konflikte. Der Klimawandel verschlimmert das Problem.
  3. Soziale Sicherung schützt vor Schocks: Robuste Sicherheitsnetze verhindern, dass Familien in Krisenzeiten verarmen.

Die Lösungen sind evidenzbasiert und bestens bekannt:

  • Erhöhung der Bildungs- und Gesundheitsbudgets auf mindestens vier beziehungsweise drei Prozent des BIP.
  • Priorisierung der medizinischen Grundversorgung und der Bildung von Mädchen, die zu den Investitionen mit der höchsten Rendite gehören.
  • Stärkung der sozialen Sicherung durch einheitliche, angemessen finanzierte Programme.

Gerechte Verteilung der Ausgaben, um die Kluft zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Provinzen zu überbrücken.
All dies geschieht jedoch erst, wenn Pakistans Elite erkennt, dass sie bei so viel Not im Land ihre Privilegien nicht dauerhaft behalten wird. Die Marginalisierten – Kinder, die keine Schule besuchen, Mütter, die bei der Geburt sterben, Familien, die verschmutztes Wasser trinken – haben keine starke Lobby. Ihre Stimmen fehlen in den Haushaltsdebatten. Dort hat die politische Elite für das aktuelle Budget (2025–2026) eine 500-prozentige Erhöhung ihrer Gehälter durchgesetzt – für den Sprecher der Nationalversammlung und den Senatspräsidenten –, anstatt öffentliche Gelder vorrangig für die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung einzusetzen.

Pakistan steht an einem kritischen Punkt. Es kann weitermachen wie bisher, sodass Verteidigung und elitäre Infrastrukturen Ressourcen verschlingen, während soziale Bereiche zerfallen. Oder es kann Sicherheit neu definieren und darunter auch Menschenwürde, Chancen und Gerechtigkeit verstehen. 

Die Wahl ist klar: Eine Nation, die ihre Bevölkerung vernachlässigt, schwächt ihr Fundament. Wenn Pakistan wirklich groß werden will, sollte es nicht nur in Kampfflugzeuge investieren, sondern auch in die Zukunft seiner Kinder. 

Abdur Rehman Cheema ist Experte für Wirtschafts- und Sozialpolitik und lebt in Pakistan. Der Autor schreibt hier als 
Privatperson und äußert seine eigene Meinung.
arehmancheema@gmail.com 

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