Kaschmir-Konflikt
Autoritäre Kräfte auf dem Vormarsch

Als sich das Britische Empire 1947 aus Südasien zurückzog, entstanden zwei Nachfolgestaaten – Indien und Pakistan. Beide strebten danach, Fürstentümer, die nicht eindeutig zu einem der beiden Staaten gehörten, in ihre jeweiligen Territorien einzugliedern. Die Region Kaschmir war besonders begehrt. Sowohl Indien als auch Pakistan besetzten Teile davon und führten wiederholt Krieg um dieses Gebiet.
Am 22. April brachte ein brutaler Militärangriff auf Zivilist*innen in Pahalgam im von Indien kontrollierten Teil von Kaschmir die Welt fast an den Rand einer nuklearen Katastrophe. Indien machte Pakistan für den Angriff verantwortlich und schwor Rache. Pakistan bestritt jede Beteiligung und drohte mit Vergeltung, sollte Indien versuchen, seine Souveränität zu verletzen. Die Konfrontation begann mit indischen Raketenangriffen auf mehrere Orte in der umstrittenen Kaschmir-Region und andere pakistanische Gebiete. Pakistan reagierte kurz darauf mit Vergeltungsschlägen. Die Eskalation gefährdete potenziell ganz Südasien, in dem mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt.
Kriegstreiberei auf Social Media
Verstärkt wurde der Chauvinismus beider Regime durch die Kriegshysterie in den sozialen Medien. Dort machte sich der kollektive Wahnsinn gegenseitiger Vernichtungsfantasien breit. Als die Gefechte eskalierten, setzten beide Militärs ihre neuesten importierten Waffen ein. Chinesische Kampfflugzeuge und türkische Drohnen, betrieben von Pakistan, standen französischen Rafale-Kampfflugzeugen und israelischen Drohnen auf indischer Seite gegenüber. Den Weltmächten blieb nichts anderes übrig, als einzugreifen. Am 10. Mai gab Präsident Donald Trump einen von den USA ausgehandelten Waffenstillstand bekannt.
Seit Inkrafttreten des Waffenstillstands ist die Kriegshysterie auf beiden Seiten Siegesfeiern gewichen. Die einzigen Gewinner des Konflikts sind jedoch die regierenden Regime beider Länder und die Rüstungshersteller, deren neueste Technologien nun in der Praxis erprobt wurden. Für die hinduistische Mehrheitsregierung in Indien bot der Konflikt eine Gelegenheit, sich als stark zu inszenieren und ihre von antimuslimischem und antipakistanischem Hass durchdrungene, rechtsextreme Wählerbasis zu besänftigen. Die Auseinandersetzung erlaubt der Regierung außerdem, weiterhin jegliche Verantwortung für die Probleme in Kaschmir von sich zu weisen und zu suggerieren, es hänge allein von Pakistan ab, die Unruhen zu beenden.
Für das pakistanische Militär kam der Konflikt keinen Moment zu früh. Seit dem Sturz des ehemaligen Premierministers Imran Khan durch ein Misstrauensvotum im Jahr 2022 befindet sich das Militär-Establishment in einer beispiellosen Legitimitätskrise. Die kurze Auseinandersetzung ermöglichte es ihm, das angeschlagene Image aufzupolieren und sich als einzige Institution zu inszenieren, die die Souveränität des Landes schützen kann. Das alte Drehbuch des Hasses gegen den Hinduismus und Indien musste nur entstaubt werden, um alle Kritik verstummen zu lassen.
Der Autoritarismus wird immer stärker
Die Verlierer*innen des Konflikts sind die Opfer und ihre Angehörigen – und die große Mehrheit der Südasiat*innen, die gezwungen sein wird, für höhere Verteidigungsausgaben zu zahlen. Sie werden auch weniger Freiheit haben, ihren zunehmend autoritären Staaten – die sich jetzt noch mehr ermutigt fühlen werden – zu widersprechen, sie zu kritisieren oder gegen sie auf die Straße zu gehen.
Am härtesten wird es die Kaschmiris treffen. Im von Pakistan kontrollierten Kaschmir wird es weniger Platz für diejenigen geben, die mit der integrativen Politik des pakistanischen Staates nicht völlig einverstanden sind. Im von Indien kontrollierten Kaschmir wird sich die Gewalt gegen Muslime, denen die indische Regierung vorwirft, mit Pakistan zu kooperieren, weiter verschärfen. Hunderte Häuser, die angeblich den Familien von Kämpfern gehören, wurden zerstört; Tausende wurden inhaftiert – in einer der schon jetzt am stärksten militarisierten Regionen der Welt. Die internationale Gemeinschaft muss nun genau hinschauen und dazu beitragen, eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Welt kann es sich nicht leisten – am allerwenigsten die Kaschmiris.
Muhammad Nawfal Saleemi lehrt Geschichte und Politik an der Lahore University of Management Sciences, Pakistan.
muhammad.saleemi@lums.edu.pk