Wahlen

Ein kritischer Moment

Die schon mehrfach vertagten nationalen Wahlen in Pakistan sind nun für Februar 2024 angesetzt. Die Verzögerungen haben die politischen Spannungen in dem Land verschärft, das seit Absetzung der Regierung Imran Khan durch ein Misstrauensvotum Anfang 2022 ohnehin viel Unsicherheit erlebt.
Anhänger des ehemaligen Premierministers Imran Khan bei einer Kundgebung im Mai 2023. picture-alliance/Pacific Press/Hussain Ali Anhänger des ehemaligen Premierministers Imran Khan bei einer Kundgebung im Mai 2023.

Die pakistanische Wahlkommission erklärte jüngst, dass die nationalen Wahlen für den 8. Februar 2024 angesetzt sind. Angesichts der wichtigen Rolle von Wahlen für politische Stabilität wird davon ausgegangen, dass damit eine längere Periode der Ungewissheit endet – obwohl das Land diverse, sich überschneidende Krisen durchstehen muss.

Der Weg zu dieser Entscheidung war nicht leicht. Zweimal wurden die Wahltermine geändert. Die Wahlkommission erklärte das damit, dass mehr Vorbereitungszeit benötigt werde, unter anderem für die Neueinteilung der Wahlbezirke, um die letzte Volkszählung zu berücksichtigen. Politische Analysen und Aktivist*innen mahnten regelmäßig, dass die Verzögerungen die politische Stabilität des Landes gefährden.

Seit Auflösung des Parlaments am 9. August 2023 amtiert eine Übergangsregierung unter Premierminister Anwaar-ul-Haq Kakar. Wenn die Legislaturperiode nach fünfjähriger Amtszeit endet, schreibt die Verfassung im Idealfall die Auflösung der National- und der Provinzversammlung vor, sowie die Ernennung von kommissarischem Premier, Provinzminister*innen und Kabinetten. Die verfassungsmäßige Amtszeit einer Übergangsregierung beträgt jedoch höchstens 90 Tage – in Provinzen wie Punjab und Khyber Pakhtunkhwa gibt es eine solche allerdings bereits seit Januar 2023, was die vorherrschende Unsicherheit verstärkt. Viele befürchten, dass eine unbefristete Fortsetzung der Übergangsregierung vom Militär gewollt ist. Frühere Regierungen standen als verfassungsmäßige Vertreter des militärischen Establishments unter heftiger Kritik.

Politische Entwicklung

Trotz seiner schwierigen Geschichte hat Pakistan ein Mehrparteiensystem, in dem es keine Obergrenze für die Anzahl der Parteien gibt, sofern diese bei der Wahlkommission registriert sind. Zwischen 2008 und 2018 kehrte eine parlamentarische Regierungsform mit zunehmender Autonomie der Provinzen zurück. In dieser Zeit gab es zwei reibungslose Machtwechsel durch demokratische Wahlen – ein Novum in der 71-jährigen Geschichte des Landes. Auch gab es große Fortschritte bei der Weiterentwicklung von auf Grundrechten basierenden Gesetzen, mit Fokus auf geschlechtsspezifische Initiativen. In der Bevölkerung kamen Optimismus und der Glauben auf, Pakistan sei auf dem Weg zu einer funktionierenden Demokratie.

Als es bei den Parlamentswahlen 2018 – die Imran Khan an die Macht brachten – Vorwürfe der Wahlmanipulation und politischen Einflussnahme gab, kamen jedoch Bedenken bezüglich der Rolle des Militärs auf. Khans Amtszeit wurde zu einem „Hybridregime“ und der Einfluss des Militärs über die Sicherheits- und Außenpolitik hinaus auf Wirtschaft, Medien und Katastrophenmanagement ausgeweitet.

Khan überwarf sich jedoch mit dem pakistanischen Militär und wurde im April 2022 nach einem Misstrauensvotum aus dem Amt des Premiers verdrängt – auch weil die Öffentlichkeit mit seinem wirtschaftlichen Missmanagement unzufrieden war.

Kein pakistanischer Premierminister absolvierte je eine volle fünfjährige Amtszeit, und nur drei der 23 Premierminister, einschließlich Khan, hielten vier Jahre durch. Trotzdem war Khans Absetzung einzigartig in der Geschichte Pakistans, da er der erste Premier war, der durch ein verfassungsmäßiges Verfahren abgesetzt wurde.

Daraufhin übernahm Shehbaz Sharif für ein Jahr die Macht und führte ein als Hybrid-2 bezeichnetes Regime, charakterisiert durch den öffentlichen Aufschrei über die Einschränkung der Grundrechte und eine verstärkte Kontrolle durch den Geheimdienst Inter-Services Intelligence Agency. Shehbaz Sharif ist der jüngere Bruder des früheren dreimaligen Premierministers Nawaz Sharif, der in diesem Jahr nach einem vier Jahre dauernden, selbst auferlegten Exil mit dem Ziel eines politischen Comebacks nach Pakistan zurückgekehrt ist.

Die anhaltende Wirtschaftskrise, eine der schlimmsten in der Geschichte Pakistans, hat zu einem sprunghaften Anstieg der Inflation geführt, die im April 2023 mit 36,4 % die höchste Rate in Südasien erreichte. Sie wird in erster Linie durch die eskalierenden Lebensmittelpreise verursacht. Die Regierung Sharif konnte einen Zahlungsausfall zwar abwenden, aber nicht die Wirtschaft stabilisieren.

Derweil warb Khan aktiv für vorgezogene Wahlen. Seine fortdauernde Beliebtheit ist eine Herausforderung für das Militär, da sie ihm bei den Parlamentswahlen zum Sieg verhelfen könnte. Laut Khans Tehreek-e-Insaf-Partei löste die Sharif-Regierung das Parlament kurz vor Ablauf der fünfjährigen Amtszeit auf, um Wahlen zu vermeiden, die Khan wieder ins Amt bringen könnten, und setzte eine Übergangsregierung ein, die die Wahlen verschob. Fast zeitgleich wurde Khan wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert und aus der Politik verbannt.

Sicherheitskrise

Inmitten politischer und wirtschaftlicher Krisen ist ein allgemeiner Rückgang von Recht und Ordnung zu verzeichnen. 2023 nahmen Gewaltakte deutlich zu. Laut dem Pakistan Institute for Conflict and Security Studies gab es im August 2023 mit 99 Angriffen die meisten militanten Vorfälle seit November 2014. Die meisten Gewalttaten stehen in Zusammenhang mit den Aktivitäten der Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP), einer verbotenen, ideologisch mit den afghanischen Taliban verbundenen Gruppe.

Die pakistanischen Behörden schreiben viele der Anschläge – so auch 14 der 24 Selbstmordattentate in diesem Jahr – afghanischen Staatsbürger*innen zu. Das führte zu einer landesweiten Abschiebeaktion gegen rund 1,7 Millionen afghanische Geflüchtete ohne Papiere.

Da die Nation mit Krisen an mehreren Fronten zu kämpfen hat, sind die bevorstehenden Wahlen im Jahr 2024 ein entscheidender Moment in der Geschichte Pakistans, um den Weg in eine stabile politische Zukunft zu ebnen.

Marva Khan ist Assistenzprofessorin für Recht an der LUMS (Lahore University of Management Sciences) und Mitbegründerin des Pakistani Feminist Judgments Project.
marva.khan@lums.edu.pk

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