Geschlechtergerechtigkeit
Pakistan kommt der Geschlechtergerechtigkeit langsam näher
Jährlich am 8. März, dem Internationalen Frauentag, findet in Pakistan der Aurat-Marsch (Marsch der Frauen) statt. Bei Kundgebungen in allen größeren Städten setzen sich Protestierende gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung ein und fordern Chancengleichheit.
Tatsächlich gibt es erhebliche Geschlechterungleichheiten in Pakistan, wobei sich die Situation von Ort zu Ort unterscheidet. In Städten sind die Bildungs- und Beschäftigungschancen generell besser als auf dem Land. Aber auch in den Städten haben Frauen immer wieder mit Problemen wie Belästigung zu kämpfen, und die schlechte Verkehrsinfrastruktur schränkt ihren Zugang zu verschiedenen Orten ein.
Analphabetismus ist ein großes Problem, das Mädchen und Frauen besonders betrifft. Bildung an sich ist aber keine Garantie für Emanzipation. Oft vertreten auch gebildete Menschen eher frauenfeindliche Ansichten, und traditionelle Geschlechterrollen legen Frauen auf ihre Rolle im Haushalt fest. Selbst aufgeschlossene Familien können Geschlechterstereotype oft nur schwer überwinden. Ein Grund dafür ist der Mangel an Einrichtungen zur Kinderbetreuung, weshalb Mütter nicht Vollzeit arbeiten können. Es gibt auch keinen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub. Solche Umstände erschweren die finanzielle Unabhängigkeit.
Weshalb die pakistanische Gesellschaft so weit von Geschlechtergerechtigkeit entfernt ist, wird kontrovers diskutiert. Manche verweisen auf kulturelle Gründe, andere auf die Religion und wieder andere auf historische Umstände. All diese Faktoren spielen eine Rolle.
Weltweit sind traditionelle Normen – die meist Frauen benachteiligen – in Dörfern besonders stark verbreitet. Der Islam wiederum ist ein facettenreicher Glaube, und muslimische Identitätspolitik hat zweifellos frauenfeindliche Elemente. Besonders deutlich wurde dies unter der Herrschaft des Militärdiktators Muhammad Zia-ul-Haq von 1977 bis 1988. Er wollte das Land islamisieren, aber seine repressive Politik hat sich nicht durchgesetzt. Wenige Monate nach seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz wurde Benazir Bhutto die erste weibliche Regierungschefin in der muslimischen Welt.
Repressionen in der Kolonialzeit
Die Freiheiten von Frauen wurden auch durch den europäischen Imperialismus in der Kolonialzeit eingeschränkt. Zum Beispiel prägen viktorianische Normen noch immer die pakistanischen Gesetze gegen Vergewaltigung, die Opfer kaum vor sexualisierter Gewalt schützen. Die Urteile britischer Kolonialrichter zeigen, dass sie Frauen nicht als autonome, eigenständig handelnde Subjekte anerkannten.
Tatsächlich gab es in Südasien schon vor der britischen Herrschaft mächtige Frauen in Führungspositionen. Sie waren einflussreiche Mitglieder königlicher Familien und regierten teils als Ranis (Königinnen). Außerdem unterschätzten die Kolonialmächte systematisch, welchen Status und welches Ansehen einige Frauen genossen. Zum Beispiel waren die Twaif an den Höfen des Mogulreichs nicht einfach nur „Kurtisanen“ oder „Prostituierte“, wie die Briten glaubten. Sie gehörten zu jenen, die am meisten Steuern zahlten, waren in den Künsten ausgebildet und hoch angesehen. Viele Twaif unterstützten den ersten, gescheiterten Befreiungskrieg des Subkontinents von 1857. Danach wurden sie hart bestraft. Leider ist das Bild von diesen Frauen bis heute von der arroganten Haltung der früheren Kolonialherren geprägt.
In staatlichen Institutionen unterrepräsentiert
Heute, 75 Jahre nach der Gründung Pakistans, sind Frauen in staatlichen Institutionen immer noch unterrepräsentiert – sei es Judikative, Legislative oder Exekutive. Dennoch gibt es bemerkenswerten Fortschritt. Zum Beispiel sind einige Richterinnen in einflussreiche Positionen aufgestiegen.
Die Verfassung sieht Parlamentssitze für Frauen auf Bundes- und Provinzebene vor. Von 2008 bis 2013 war Fehmida Mirza als erste Frau Sprecherin der pakistanischen Nationalversammlung. Außerdem gründete sie 2008 den parlamentarischen Frauenausschuss, in dem Frauen verschiedener politischer Parteien Reformen vorantreiben. Zu ihren Erfolgen zählt eine strengere Gesetzgebung gegen Ehrenmorde oder Praktiken, bei denen Frauen und Mädchen als Tauschobjekte gehandelt werden, um Konflikte zu schlichten.
Auf dem Weg zur Geschlechterparität in der Spitzenverwaltung
Der bemerkenswerteste Fortschritt dürfte aber sein, dass Geschlechterparität im höheren Staatsdienst (Central Superior Services – CSS) bald erreicht sein könnte. Der CSS ist der Elitekader der Beamt*innen auf nationaler Ebene. Er rekrutiert seine Mitglieder in jährlichen Auswahlprüfungen, und Frauen schneiden offenbar gut ab. In den letzten Jahrgängen wurde Geschlechterparität erreicht, sodass das CSS seine Frauenquote von 10 Prozent derzeit nicht benötigt.
Der Erfolg von Frauen bei den CSS-Prüfungen zeigt einen allgemeineren Trend. Viele Frauen erlangen Studienabschlüsse. Deshalb gibt es auch mehr Lehrerinnen an Grund- und Sekundarschulen. Gleiches gilt für das Gesundheitswesen. Frauen schneiden bei den hart umkämpften Zulassungen zum Medizinstudium zunehmend besser ab als Männer.
Manche fordern jetzt tatsächlich eine Schutzquote für männliche Bewerber. Das Argument: Zu wenige Frauen praktizieren tatsächlich auf lange Sicht als Ärztinnen. Das liegt allerdings nicht daran, dass Frauen nicht arbeiten wollten, sondern dass Mütter, wie bereits erwähnt, vor enormen Hürden stehen.
Pakistan ist eine vielfältige Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen. Fortschritte sind möglich – und nötig, denn die Ungleichheit verschärft die aktuelle ökonomische und politische Krise im Land für Frauen und Mädchen noch. Die gute Nachricht ist, dass sie sich in einigen wichtigen Bereichen durchaus abzeichnen.
Marva Khan ist Assistenzprofessorin für Recht an der LUMS (Lahore University of Management Sciences) und Mitbegründerin des Pakistani Feminist Judgments Project.
marva.khan@lums.edu.pk