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INGO spricht sich gegen Impfpatente aus

Globale Pharmakonzerne setzen unnötig hohe Preise für Covid-19-Impfstoffe in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen durch. Es ist an der Zeit, ihre Monopolmacht zu beenden und mehr Impfstoff erschwinglich zu machen.
Kostbarer Impfstoff: Techniker in Nairobi mit einer Packung des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca, hergestellt vom Serum Institute of India. Ben Curtis/picture-alliance/ASSOCIATED PRESS Kostbarer Impfstoff: Techniker in Nairobi mit einer Packung des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca, hergestellt vom Serum Institute of India.

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie hörten wir oft, das Virus kenne keine Grenzen, alle säßen im selben Boot. Schnell wurde jedoch klar: Die soziale Spaltung der Welt führt dazu, dass Menschen sehr unterschiedlich von der Pandemie betroffen sind. Menschen, die rassistisch diskriminiert sind oder in Armut leben, erkranken und sterben besonders häufig an Covid-19. Zudem leiden sie stärker unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, insbesondere in Ländern des globalen Südens.

Auch die Festlegung der Preise der lebensrettenden Impfstoffe und ihre Verteilung sind ungerecht. Bis Mitte Mai hatten, wie die Financial Times berichtete, afrikanische Länder mit rund 1,2 Milliarden Menschen nur 40 Millionen Impfdosen bekommen. Und einige der ärmsten Länder konnten noch gar nicht mit der Immunisierung ihrer Bevölkerung beginnen.

Seit kurzem werden Impfstoffe in wirtschaftlich benachteiligte Länder des globalen Südens geliefert. Dazu hat COVAX (Covid-19 Vaccines Global Access), die globale Initiative zur fairen Vakzin-Verteilung, beigetragen. Doch der Mangel an Impfstoffen bremst die Impfkampagnen in diesen Ländern massiv. Wenn sich daran nichts ändert, werden nur drei Prozent der Menschen im globalen Süden bis zur Jahresmitte geimpft sein, bis Ende 2021 bestenfalls 20 Prozent.

Für den Mangel an Impfstoffen und die damit verbundenen trüben Aussichten gibt es zwei Hauptgründe, die beide mit der Abhängigkeit der Menschheit von einer Handvoll Pharmariesen zu tun haben:

  • Erstens können diese Unternehmen allein gar nicht genug Impfstoffe für die ganze Welt herstellen, weigern sich aber, ihr Wissen und ihre Technik mit anderen qualifizierten Herstellern zu teilen.
  • Zweitens begründen die Patente dieser Pharmafirmen Verkaufsmonopole, so dass sie beliebig hohe Preise festlegen können, wenn Impfstoffe wie derzeit knapp sind.

Preisverhandlungen mit Käufern und Behörden finden zwar statt, aber die Patentinhaber kontrollieren entscheidende Informationen über die Entwicklungskosten, die für die Preisfindung wichtig sind. Diese Informationen gehören zum geistigen Eigentum der Unternehmen, das sie nicht offenlegen müssen. Wer aber weniger weiß, hat Nachteile – und dies führt unter anderem dazu, dass gerade wirtschaftlich benachteiligte Länder des globalen Südens höhere Preise zahlen als nötig (siehe Box).

Diese Benachteiligung vergrößert den ohnehin schon unverhältnismäßig hohen Schaden, den diese Länder durch die Pandemie erleiden. Wie prekär ihre Situation ist, zeigt der aktuelle Oxfam-Bericht „Das Ungleichheitsvirus“ (siehe Sabine Balk im Monitor des E+Z/D+C e-Paper 2021/03). Die Pandemie hat den Geldfluss in Länder mit niedrigen Einkommen stark belastet: Zeitweilig gingen die Rücküberweisungen von migrantischen Communities um 20 Prozent und die ausländischen Direktinvestitionen um 25 Prozent zurück. Zudem hat die Kapitalflucht zugenommen.


Patentschutz aussetzen

Die Gruppe der 20 führenden Wirtschaftsnationen hat die Länder des globalen Südens bisher nicht ausreichend in dieser historischen Krise unterstützt. Statt der bedingten Aussetzung des Schuldendienstes für einzelne Länder und bestimmte Kredite braucht es einen Schuldenerlass auf breiter Basis. Auch private Banken und Investmentfonds müssen mitmachen. Obendrein muss das Impfstoffangebot erhöht und die Preise auf ein erschwingliches Niveau gesenkt werden.

Mehrere Lösungsvorschläge werden von den wirtschaftlich privilegierten Ländern und Pharmafirmen blockiert. So fordert eine UN-Initiative „Covid Technology Access Pool“ (C-TAP) die Pharmafirmen auf, ihre Impfstofftechnologie freiwillig anderen Produzenten zur Verfügung zu stellen, damit mehr Impfstoffe hergestellt werden können. Bislang ist keiner der großen Pharmakonzerne diesem Appell gefolgt.

Einige wohlhabende Länder versprechen, einen Teil ihres Impfstoffüberschusses an wirtschaftlich benachteiligte Länder zu spenden. Das ist richtig – aber längst nicht genug. Spenden in unbekannter Höhe zu unbestimmten Zeiten helfen nur bedingt – und sie werden nicht genügend Impfdosen dorthin bringen, wo sie dringend gebraucht werden.

Der sinnvollste Schritt wäre, den Patentschutz für Pharmafirmen auszusetzen, bis die Welt eine Herdenimmunität gegen Covid-19 erreicht hat. Dies fordern Südafrika und Indien von der Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization), unterstützt von 100 Ländern des globalen Südens und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Blockiert wird dieser Schritt derzeit von den meisten wohlhabenden Ländern, vor allem Großbritannien und der EU, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich öffentlichkeitswirksam auf die Seite der Pharmakonzerne geschlagen hat.

Die US-Regierung gehörte lange auch dazu, hat ihre Haltung jedoch Anfang Mai geändert. Mitte April hatten 175 Personen, darunter ehemalige Staats- und Regierungschefs sowie Nobelpreisträger, Präsident Biden in einem offenen Brief dazu aufgefordert, die befristete Aussetzung des Patentschutzes zu unterstützen. Mit Erfolg. Organisiert wurde der Brief von der People’s Vaccine Alliance, einem Bündnis von Gesundheitsinitiativen und humanitären Organisationen.

Die Pharmaindustrie behauptet, die Beibehaltung des Patentschutzes sei der beste Weg, um Innovationen zu garantieren und damit den Nutzen für die Menschheit zu maximieren. Tatsächlich aber schließt das Patentsystem die Öffentlichkeit vom Nutzen der öffentlich finanzierten Forschung aus und verzögert so das Ende der Krise. Impfstoffe sind öffentliche Güter, die mit über 100 Milliarden Dollar an Steuergeldern finanziert werden. Sie sollten im Interesse des Gemeinwohls frei zur Verfügung stehen.

Einige Pharmafirmen behaupten, durch ein Aussetzen des Patentschutzes könnten minderwertige Impfstoffe auf den Markt kommen. Aber weltweit produzieren Pharmafirmen mit guten Ergebnissen unter Lizenz bereits eine breite Palette von Medikamenten und Impfstoffen. Sie sind fähig, auch Covid-19-Impfstoffe nach den strengen Standards der WHO zu produzieren – wenn es ihnen denn erlaubt wird. Das Gegenteil zu behaupten ist eine altbewährte Taktik der Pharmafirmen, ihre Profite zu schützen.

Das Coronavirus kennt in der Tat keine Grenzen. Und das heißt: Niemand ist sicher, ehe nicht alle sicher sind. Die Versorgung mit ausreichenden und erschwinglichen Covid-19-Impfstoffen sicherzustellen ist nicht nur eine Frage des globalen Gemeinwohls, sie liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Je mehr Menschen weltweit geimpft sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass neue Mutanten entstehen, die den Impfschutz unterlaufen. Doch die Patent-Monopole stehen dem im Wege. Ihre Aussetzung würde die Produktion steigern und die Preise fallen lassen. Die verstärkten Investitionen in Produktionskapazitäten wären außerdem ein Beitrag dazu, für künftige Pandemien besser gerüstet zu sein.


Link
Oxfam, 2021: Das Ungleichheits-Virus
https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_factsheet_ungleichheitsvirus_deutsch.pdf


Marion Lieser ist Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland.
mlieser@oxfam.de