Steuerpolitik
Kluge Besteuerung hängt von nationaler Politik und internationaler Zusammenarbeit ab
Addis Ababa Action Agenda (AAAA) heißt das Abschlusspapier des Gipfels der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung, der 2015 in der äthiopischen Hauptstadt stattfand. In der AAAA verpflichteten sich die Nationalstaaten, „die Staatsfinanzen durch moderne, progressive Steuern, bessere Steuerpolitik und wirkungsvollere Steuereintreibung zu stärken“. Diese Verpflichtung bewies, dass die Bedeutung der Staatsfinanzen für Entwicklung allgemein anerkannt wird.
Um die Lebensverhältnisse durch Investitionen in Infrastruktur und sozialstaatliche Institutionen zu verbessern, brauchen Entwicklungsländer höhere Staatseinnahmen. Es reicht nicht, Wachstum zu fördern, denn die Steuerbasis muss ebenfalls wachsen. Gute Steuerpolitik hat mehrere Vorteile:
- Sie dient der Inklusion, weil sie Einkommens- und Geschlechterdifferenzen durch höhere Belastung der Starken ausgleicht.
- Sie schafft Anreize gegen Umweltverschmutzung und anderes destruktives Verhalten.
- Sie stärkt das Bewusstsein für Staatsbürgerschaft, weil sie alle in die Bemühungen um das Gemeinwohl einbezieht und die Aufmerksamkeit der Steuerzahler*innen auf die Qualität der Regierungsführung und die Demokratie richtet.
All das ist für die Erreichung der SDGs (Sustainable Development Goals – Ziele für nachhaltige Entwicklung) wichtig. Es dient zudem der Herausbildung kompetenter Staatlichkeit. Souveränität wird gestärkt, wenn Staaten über Steuereinnahmen verfügen, die sie von Entwicklungshilfe (ODA – Official Development Assistance) unabhängiger machen. Wenn Regierungen dann nachhaltige Entwicklung mit Inklusionscharakter bewirken, fördern sie die Demokratie.
Bereits heute beruht ein bedeutender Anteil der staatlichen Haushalte von Entwicklungsländern auf heimischen Steuern. Aber ihre Steuerrate ist nur etwa halb so hoch wie die von entwickelten Nationen. Entsprechend ist DRM (Domestic Resource Mobilisation – heimische Ressourcenmobilisierung) zum zentralen Thema der internationalen Entwicklungsdebatte geworden.
Höhere Steuereinnahmen sind möglich
2020 trieben Länder mit niedrigen Einkommen etwa 11,6 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts als Steuern ein. Laut UNCTAD (UN Conference on Trade and Development) war die Vergleichsquote für andere Entwicklungsländer 16,3 Prozent und für entwickelte Länder 23,2 Prozent. Seit den 1990er-Jahren waren die Quoten kontinuierlich gestiegen, aber wegen verschiedener Krisen – etwa der Coronapandemie und des eskalierenden Klimawandels – ist die Lage schwieriger geworden. Staatsschulden sind schnell gewachsen.
Laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 2023 könnten Schwellen- und Entwicklungsländer mehr Steuergeld generieren. Länder mit niedrigen Einkommen könnten demzufolge ihre Einnahmen im Schnitt um 6,7 Prozent steigern. Der Vergleichswert für Schwellenländer ist fünf Prozent. Dafür wäre stimmige Steuerpolitik nötig. Das wiederum setzt den nötigen politischen Willen voraus – insbesondere was die Durchsetzung des Steuerrechts betrifft.
Niemand zahlt gerne Steuern. Deshalb ist es schwierig:
- Steuerquoten zu erhöhen,
- mehr Menschen zu besteuern und
- Schlupflöcher zu schließen.
Bisher leisten Wohlhabende jedoch nicht ihren fairen Beitrag zur Gesellschaft. Steuern auf Vermögen und Grundbesitz werden kaum erhoben, obwohl sie sinnvoll wären. Um Finanzämter effizient zu machen, muss obendrein die Korruption bekämpft werden.
Der Gesellschaftsvertrag eines Landes bleibt brüchig, wenn er Menschen massenhaft nicht ins Steuersystem einbezieht. Wenn ein Großteil der Bevölkerung keine Steuern zahlt, fehlt dem Staat das nötige Geld, um Armut zu bekämpfen. Um die SDGs zu erreichen, muss die Steuerlast der Mehrheit leicht erhöht werden, damit beispielsweise das Bildungs- und Gesundheitswesen gestärkt werden können. Der Nutzen derartigen Staatshandelns übersteigt das, was Privatausgaben den besteuerten Familien bringen würden.
Illegitime Finanzflüsse
Es kommt jedoch nicht nur auf nationale Politik an. Illegitime Finanzflüsse (IFFs – Illicit Financial Flows) reduzieren Staatshaushalte in Entwicklungsländern.
Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und strategische Steuerplanung richten große Schäden an. Multinationale Konzerne profitieren davon besonders. Zwar gibt es keine exakten Daten, es besteht aber kein Zweifel daran, dass Entwicklungsländern riesige Summen entgehen.
IFFs haben Entwicklungsländer von 2004 bis 2013 laut einer Weltbankschätzung von 2021 um rund 800 Milliarden Dollar beraubt. Davon wären ungefähr 500 Milliarden als Steuern eingezahlt worden, wovon wiederum 70 Prozent Unternehmenssteuern gewesen wären. Afrika entgehen Schätzungen zufolge jährlich mehr als 50 Milliarden Dollar.
Beunruhigenderweise begünstigt die wachsende Digitalwirtschaft schädliche Steuerpraktiken wie Steuerbetrug.
Internationale Zusammenarbeit wird im Bereich Steuern generell für nötig erachtet. Diese Dinge hat bisher vor allem die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development), ein Bündnis von Ländern mit hohen Einkommen, vorangetrieben. Auch die UN, die Weltbank und der IWF unterstützen einschlägige Konzepte.
Die OECD hat zwar für Fortschritte gesorgt, ihre Arbeit bleibt aber umstritten. Die Kritik bezweifelt deren Fairness, Inklusion und Wirksamkeit. Regierungen von Entwicklungsländern wollen zudem gleichberechtigt an der Formulierung internationaler Regeln mitwirken. Entsprechend fordern sie, dass die Vereinten Nationen (UN), bei denen sie gleiches Stimmrecht haben, die Federführung in Steuerfragen übernehmen.
Tatsächlich erheben die UN auch solche Ansprüche. Ende vergangenen Jahres verabschiedete die Generalversammlung die Resolution 78/230 mit dem Ziel einer UN-Rahmenkonvention für internationale Steuerkooperation.
Laut einem nigerianischen Diplomaten geht es darum, Entwicklungsländer dazu zu befähigen, „mehr heimische Steuern einzutreiben, um Entwicklungsvorhaben und Sozialpolitik direkt anzutreiben“. Ein Ad-hoc-Komitee soll die nötigen Bedingungen für die Arbeit an der Rahmenkonvention schaffen und dürfte diesen Auftrag im August 2024 erfüllt haben. Es kann dabei auf Vorarbeiten von UN-Generalsekretär António Guterres und des FACTI Panel (High-Level Panel on International Financial Accountability, Transparency and Integrity for Achieving the 2030 Agenda) aufbauen.
Tiefe Kluft zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern
Allerdings ist die Resolution 78/230 ihrerseits umstritten. Die 125 Regierungen, die für sie stimmten, vertraten überwiegend Entwicklungsländer. 57 Gegenstimmen und Enthaltungen kamen dagegen vor allem aus dem globalen Norden.
Dass entwickelte Länder die Resolution ablehnen würden, war zu erwarten. EU-Institutionen und Mitgliedsländer hatten argumentiert, die OECD-Agenda werde gebremst, wenn die Federführung an die UN übergehe. Zivilgesellschaftliche Beobachter*innen sagen dagegen, die privilegierten OECD-Mitglieder bevorzugten Foren, in denen sie den Ton angäben. Beachtenswert ist auch, dass Wirtschaftsverbände aus Ländern mit hohen Einkommen die OECD-Agenda befürworten.
Grundsätzlich versprechen reiche Nationen, Capacity-Building in den Finanzverwaltungen von Entwicklungsländern zu unterstützen und internationale Standards einzuhalten. Meist bevorzugen sie aber nichtbindende Standards gegenüber verbindlichem UN-Recht. Aus Sicht nichtstaatlicher Steuergerechtigkeitsinitiativen ist diese Haltung bestenfalls widersprüchlich.
Mächtige Regierungen sprechen gern von einer „regelbasierten Weltordnung“. Für Entwicklungsländer wäre das globale Steuersystem glaubwürdiger, wenn sie gleichberechtigt an der Regelformulierung beteiligt wären. Capacity-Building und Kooperation bezüglich einiger Standards reichen nicht. Aus Sicht der Entwicklungsländer sind IFFs das größte Problem, und sie wollen gleichberechtigt an der Lösung mitwirken.
Steuern sind eine eminent politische Angelegenheit. Sie spiegeln die Werte und Präferenzen eines souveränen Staates wider. Zugleich ist internationale Koordination nötig, weil die Weltwirtschaft vernetzt ist. Kapitalflüsse überqueren Grenzen, und die Digitalisierung macht das immer einfacher. Manche Staaten schaffen bewusst Bedingungen, die multinationalen Konzernen Geheimhaltung und das Verschieben von Profiten erlauben. Auf diese Weise untergraben vor allem reiche, kapitalexportierende Länder die Steuerpolitik von Entwicklungsländern. Es würde der Balance dienen, die UN, in der alle Staaten gleichberechtigt vertreten sind, zum Hauptakteur im Kampf gegen Steueroasen zu machen.
Geringere Abhängigkeit von ODA
Bislang hängt Fortschritt in Richtung SDGs in benachteiligten Ländern von ODA ab. Je wirkungsvoller die Steuersysteme dort werden, desto weniger ODA werden sie brauchen. Kapazitätsaufbau im Steuerwesen muss deshalb eine Priorität der Entwicklungspolitik sein. Er stärkt nicht nur staatliche Handlungsfähigkeit, sondern darüber hinaus auch die Demokratie, wenn Politikergebnisse besser werden und die Bürgerschaft an öffentlichen Angelegenheiten beteiligt wird.
Schwache Steuersysteme sind dagegen für Länder typisch, in denen Gesellschaftsverträge schwach sind, die Wirtschaftsleistung enttäuscht und tiefe soziale Spaltung herrscht. Zu den Folgen gehören immer wieder Konflikt, Staatszerfall und Flucht.
Entwicklungsländer brauchen starke Finanzsysteme. Darum müssen sie sich selbst kümmern, aber stimmige internationale Kooperation ist auch nötig. Es wäre deshalb klug, eine UN-Rahmenkonvention anzusteuern und nicht an der OECD-Federführung festzuhalten. Geberregierungen sollten diesbezüglich auf den Rat unabhängiger Experten hören.
Altayesh Taddese Terefe ist Volkswirtin und arbeitet für den International Tax Compact (ITC), den die GIZ implementiert. Sie äußert hier ihre persönliche Meinung.
altitad@gmail.com