Steuerpolitik
Basis verbreitern, Schlupflöcher schließen
Wie schätzen Sie die Situation in Entwicklungsländern hinsichtlich eigener Staatseinnahmen ein?
In den vergangenen zehn Jahren ist viel geschehen. Das Bewusstsein ist in vielen Ländern dafür gewachsen, dass die Entwicklungschancen wesentlich von erfolgreicher Mobilisierung eigener Staatseinnahmen abhängen. Das internationale Schlagwort lautet „Domestic Ressource Mobilisation“. Dabei spielen Steuern eine zentrale Rolle. Auch auf Seiten der Geber besteht Konsens, dass dieses Thema mehr politische Aufmerksamkeit verdient – und entsprechend auch mehr Ressourcen bekommen muss. In der Addis Tax Initiative (ATI), die im Rahmen des UN Gipfels über Entwicklungsfinanzierung 2015 in der äthiopischen Hauptstadt entstand, haben sich Entwicklungs- und Geberländer zu überprüfbaren Zielen bekannt.
Welche Erfolge wurden erzielt?
In Asien und Lateinamerika sind die Steuerquoten in den letzten 10 bis 15 Jahren gestiegen. Einzelne Länder haben ihre Einnahmen deutlich erhöht. Außerdem sind internationale Netzwerke entstanden, die Erfahrungsaustausch, Kapazitätsaufbau und Bewusstseinsbildung fördern. Ein Beispiel ist das African Tax Administration Forum (ATAF). In den am wenigsten entwickelten Ländern, südlich der Sahara und in fragilen Staaten bleibt die Mobilisierung eigener Ressourcen aber weiterhin eine große Herausforderung.
Was sind die wichtigsten Schritte, um das Steuerwesen zu stärken?
Wichtig ist es, die Steuerbasis zu verbreitern, also einerseits möglichst viele Menschen einzubeziehen und andererseits Schlupflöcher zu schließen. Die Verwaltung muss gestärkt und Korruption bekämpft werden. Diese Schwerpunkte sind klar. Für die Abfolge von Reformen gibt es allerdings keine Blaupause, denn die Bedingungen sind von Land zu Land unterschiedlich.
Warum ist es schwierig, in Entwicklungsländern Steuereinnahmen zu generieren?
Es gibt vielfältige Hindernisse. In vielen Ländern mit niedrigen Steuerquoten besteht ein großer informeller Sektor, der schwer zu besteuern ist. Diese Länder hängen dann stark von den Steuerzahlungen einer kleinen Zahl großer Unternehmen ab. Gerade große, multinationale Unternehmen haben jedoch Möglichkeiten zu aggressiver Steuerplanung. Die Steuerverwaltungen von Entwicklungsländern können den komplexen Modellen multinationaler Unternehmen zur Minimierung der Steuerlast aber oft nur wenig entgegensetzen. Zudem tun sich Regierungen und Behörden schwer, Steuersysteme mit einer guten Balance zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und administrativer Leichtigkeit zu schaffen. Effizienz bedeutet, möglichst hohe Einnahmen zu erzeugen und gleichzeitig möglichst wenig in die Wirtschaft einzugreifen. Es ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, Steuerarten sinnvoll miteinander zu kombinieren, Steuersätze und Bemessungsgrundlagen festzulegen und das Recht dann noch durchzusetzen.
Gibt es typische politische Fallstricke?
Ja, Steuerbefreiungen zum Beispiel. In vielen Ländern gibt es umfangreiche Steuerbefreiungen, die aus verschiedensten Gründen eingeführt wurden: zum Teil mit der Intention, Investitionen zu stimulieren oder ärmere Bevölkerungsschichten zu entlasten. Schätzungen der Weltbank zufolge machen Steuerbefreiungen in manchen Entwicklungsländern bis zu sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Wissenschaftliche Studien haben aber gezeigt, dass die erwünschten Effekte häufig ausbleiben und dass die Schlupflöcher häufig Fehlanreize schaffen. Steuerbefreiungen erhöhen zudem die Komplexität des Steuersystems und folglich auch den Verwaltungsaufwand. Obendrein verkleinern Steuerbefreiungen die Steuerbasis. Dennoch ist es sehr schwierig, Steuerbefreiungen wieder abzuschaffen, denn die betroffenen Menschen finden, dass diese ihnen zustehen.
Wie kann die Politik solche Widerstände überwinden?
Sinnvoll ist zum Beispiel abzuschätzen, welche Einnahmen dem Staat wegen der Befreiungen entgehen, und diese Zahlen transparent zu machen. Wenn solche Daten beispielsweise im Kontext von Haushaltsdebatten bekanntgemacht werden, wachsen die Chancen, dass die Streichung von Steuerbefreiungen akzeptiert wird.
Sind denn die Finanzämter ihren Aufgaben gewachsen?
Jede Gesetzgebung braucht Organe, die sie durchsetzen. Je stärker und besser organisiert eine Steuerverwaltung ist, desto mehr ist sie dazu in der Lage. In vielen Entwicklungsländern stellt allerdings bereits die Identifikation der Steuerzahler und die Aktualisierung des Steuerregisters eine Herausforderung dar. Oft enthalten die Register Doppelungen oder Firmen, die nicht mehr existieren. Angaben zu Adresse oder zu Branchenzugehörigkeit sind oft fehlerhaft. Oder das Steuerregister ist lückenhaft, weil steuerpflichtige Bürger sich gar nicht erst registrieren lassen. Um ein Steuerregister aktuell zu halten, sind Informationen anderer Behörden wie etwa Einwohnermeldeämtern oder Gewerbeämtern nötig, die allerdings ihrerseits nur geringe Kapazitäten haben. Die Kooperation zwischen den Ämtern funktioniert häufig nicht im nötigen Umfang. Um Steuerbetrug zu erkennen, braucht die Finanzverwaltung zudem die Daten von Banken oder den Geschäftspartnern der Steuerpflichtigen. Allzu oft stehen solche Informationen gar nicht zur Verfügung.
Hilft der Einsatz von Informationstechnik (IT)?
Ja, das Potenzial ist groß. Die Automatisierung von Prozessen kann die Effizienz steigern und den Kontakt von Steuerbeamten und Steuerzahlern reduzieren, sodass es weniger Korruptionsmöglichkeiten gibt. Die Analyse großer Datensätze erhöht auch die Chance, Steuerbetrug zu erkennen. Ob IT wirklich hilft, hängt aber von vielen Faktoren ab:
- Die Prozesse müssen klar definiert sein.
- Die Beamten müssen für die IT-Nutzung geschult sein.
- Das IT System muss regelmäßig gewartet werden.
- Stabile Energieversorgung und Internetverbindung sind nötig.
- Die verschiedenen Funktionen und Anwendungen müssen integriert sein.
Vielfach werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt. IT wird teils nicht flächendeckend eingesetzt, sondern nur von bestimmten Teilen der Steuerverwaltung verwendet. Es ist auch nicht ungewöhnlich, wenn eine Steuerverwaltung verschiedene IT-Anwendungen verwendet, die nicht zusammenpassen. Das reduziert selbstverständlich die Effizienzgewinne und die Qualität der Steuerdaten.
Es gibt viele Arten von Steuern: Einkommensteuern, Verbrauchs- oder Mehrwertsteuern, Unternehmenssteuern oder Kapitalertragsteuern. Auf welche kommt es bei der Domestic Resource Mobilisation in Entwicklungsländern an?
Alle Steuerarten sind relevant. Mehrwertsteuern sind wichtig, weil sie vergleichsweise leicht und effizient zu erheben sind. Andere Steuerarten sind jedoch auch wichtig – für die Verteilungsgerechtigkeit zum Beispiel. Die Mehrwertsteuer belastet den Konsum und trifft die unteren Einkommensschichten härter als die oberen. Wenn die Politik soziale Ungleichheit nicht verschärfen will, braucht sie also auch andere Steuerarten, allerdings auch eine entwicklungsorientierte Ausgabenpolitik, die benachteiligte Bevölkerungsgruppen gezielt adressiert. Zu bedenken ist auch, dass Exporte meist von solchen Umsatzsteuern befreit sind. Daraus folgt, dass rohstoffreiche Länder andere Steuern und Abgaben verwenden müssen, damit der Staat finanziell von der Ressourcenausfuhr etwas abbekommt.
Manchmal heißt es, die Menschen in am wenigsten entwickelten Ländern seien zu arm, um Steuern zu zahlen. Wie sehen Sie das?
Auch in Least Developed Countries (LDCs) können und sollten Steuern erhoben werden. Ohne Staatseinnahmen kann sich kein Land entwickeln und die Abhängigkeit von official development assistance (ODA) ist auch nicht gut. Natürlich ist eine flächendeckende Besteuerung aller Menschen in den ärmsten Ländern nicht realistisch, aber es gibt durchaus leistungsfähige Wirtschaftsakteure – auch im informellen Sektor –, die die Steuerverwaltung bisher nicht erfasst. Selbstverständlich können große Agrarproduzenten oder auch Rechtsanwälte und Ärzte Steuern zahlen. Der Africa 2016 Wealth Report wurde von internationalen Finanzfirmen verfasst und schätzt, dass es in Afrika ungefähr 165 000 sehr reiche Personen gibt, deren Gesamtvermögen sich auf insgesamt 860 Milliarden Dollar addiert. Solche Leute nicht zu besteuern wäre fatal.
Spitzenpolitiker gehören meist zu der Elite, die von Steuerschlupflöchern profitiert. Vermutlich sind sie persönlich an Steuerflucht und -vermeidung stärker interessiert als an einer leistungsfähigen Finanzverwaltung. Wirkt sich das auf die Politik aus?
Das lässt sich so nicht verallgemeinern. Natürlich gibt es Regierungen, die auf Grund eigener wirtschaftlicher oder auch politischer Interessen notwendige Reformen verwässern oder gar nicht durchführen. Aber wir sehen auch, dass es in manchen Ländern durchaus Regierungen gibt, die zur politischen, wirtschaftlichen oder auch Bildungselite ihres Landes gehören und auf die Erhebung von Steuern abzielen. Sehen sie sich beispielsweise Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo an. Er gehört zur politischen Elite des Landes. Sein Vater, sein Großvater und sein Großonkel waren einflussreiche Politiker. Sein Ziel ist nun „Ghana beyond aid“: Der Staat soll sich mit eigenen Einnahmen finanzieren. Dieser Ehrgeiz ist gesund. Die langfristige Steigerung von Steuereinnahmen ist aber ein komplexer Prozess, auf den viele Einflussfaktoren einwirken, während sich die politischen und internationalen Rahmenbedingungen ständig ändern. Es bleibt abzuwarten, ob und wie schnell Präsident Akufo-Addo ans Ziel kommt.
Bei dem G20-Gipfel in Hamburg hat die Bundesregierung das Thema internationale Steuerkooperation wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Auch bei den vorangegangenen Gipfeln wurde es besprochen. Was hat das mit der Diskussion über heimische Ressourcenmobilisierung in Entwicklungsländern zu tun?
Internationale Steuerkooperation gewinnt mit der voranschreitenden Globalisierung an Bedeutung. Zunehmend internationalisierte Finanzströme und Geschäftstätigkeit schaffen für nationale Steuersysteme Probleme. Die Steuerpolitik wird von Nationalstaaten gemacht und vollzogen, aber im Zuge der Globalisierung fällt es multinationalen Unternehmen und superreichen Individuen zunehmend leicht, Steuergesetze zu umgehen. Einzelstaaten können daran nichts ändern, deshalb ist internationale Zusammenarbeit nötig, und deshalb steht das Thema auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Diese Diskussion ist Entwicklungsländern sehr wichtig, denn sie spüren die Auswirkungen von Steueroasen noch deutlicher, als die führenden Volkswirtschaften das tun.
Stefanie Rauscher ist Fachplanerin für Steuerreform und plant Projekte zur Stärkung von Steuersystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern für die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Eschborn.
stefanie.rauscher@giz.de