Weltbank

Nötiger Neuanfang

Das Ringen um den Rücktritt von Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz hat den Blick darauf verstellt, dass wichtige strategische Entscheidungen seit langem ausstehen. Nachfolger Robert Zoellick sollte den Neustart nutzen und sich drängenden Themen zuwenden.


[ Von Eckhard Deutscher und Qays Hamad ]

Die letzten zwei Jahre waren für die Weltbank verlorene Jahre, die durch mangelhaftes Management der Institution und inhaltliche Orientierungslosigkeit geprägt waren. In wichtigen strategischen Fragen, die die Zukunftsfähigkeit der Institution betreffen, hat es wenig Bewegung geben. Wolfowitz’ enger Fokus lag auf Governance und Korruptionsbekämpfung. Diese Themen sind ohne Zweifel wichtig, aber sie umfassen nur eines von vielen Problemfeldern der Entwicklungsländer und der Weltbank selbst. Andere, bislang vernachlässigte Fragen sind sind unter anderen:
– Welche Rolle soll die Weltbank in Ländern mit mittleren Einkommen spielen?
– Wie können Länder mit niedrigen Einkommen trotz schwacher Governance und geringen Absorptionskapazitäten besser unterstützt werden?
– Was kann und soll die Weltbank für die Bereitstellung von globalen und regionalen öffentlichen Gütern tun?
– Welche Strukturen und Instrumente braucht die Bank, um angesichts des schnellen Wandels in vielen Entwicklungsländern relevant und effektiv zu bleiben?

Das Direktorium veranlasste die Bildung einer Arbeitsgruppe, um die aktuelle Weltbank-Strategie kritisch zu prüfen. Der neue Präsident täte gut daran, diesen Prozess von Beginn an aktiv zu unterstützen. Zoellick sollte das Ergebnis der Prüfung zur Grundlage zentraler Managemententscheidungen bezüglich Budget, Personal und Struktur machen.

Länder mit mittleren Einkommen

Eine Reihe von Ländern mit mittleren Einkommen (Middle-Income Countries, MICs) genießt gegenwärtig leichten Zugang zum privaten Kapitalmarkt. Die Behauptung, sie benötigten deshalb keine Weltbank-Unterstützung mehr, greift jedoch zu kurz. Sie übersieht nämlich, dass private Kapitalströme prozyklisch und volatil sind, also schnell wieder versiegen können. Zudem fließen private Kredite primär in Projekte, die schnelle Renditen erwirtschaften. Das aber trifft auf soziale Sektoren wie Bildung, Gesundheit oder Umweltschutz in der Regel nicht zu. Obendrein leben weiterhin 70 Prozent der weltweit Armen in Ländern mit mittlerem Einkommen.

Andererseits ringen erfolgreiche MICs mit den Folgen des Wachstums. Sie benötigen Unterstützung auf neuen Feldern wie Umwelt- und Ressourcenschutz oder soziale Sicherung. Weil die großen MICs inzwischen einen erheblichen Einfluss auf die Weltwirtschaft haben, liegt ihre Stabilität im Interesse der gesamten internationalen Gemeinschaft.

Vor diesem Hintergrund kann die Weltbank wertvolle Beiträge leisten. Dazu muss sie aber ihre Instrumente an die Situation und Bedürfnisse dieser Länder besser anpassen (Hamad, 2005). Dazu gehören die folgenden Punkte:
– Gewährung von Krediten an subnationale Körperschaften;
– Vergabe von Darlehen in lokalen Währungen (um Wechselkursrisiken zu vermeiden);
– Schutz gegen Schwankungen von Güterpreisen, Zinssätzen und Wechselkursen zur Vermeidung externer Schocks; sowie
– Bereitstellung von technischer Unterstützung auch gegen Entgelt und nicht nur wie bisher an Kredite gekoppelt.

Etwa 25 Kunden der Weltbank werden laut den aktuellen Wachstumsannahmen bis 2015 zu den Hocheinkommensländern aufschließen. Dazu gehören vor allem die EU-Beitrittsländer, einige lateinamerikanische Staaten, Südafrika, die Türkei und Russland. Es muss entschieden werden, ob – und wann – sie den Anspruch auf weitere Unterstützung durch die Weltbank verlieren oder ob diese ihnen weiterhin Beratung anbietet.

Das ist für das Geschäftsmodell der Weltbank wichtig. Gegenwärtig basiert es darauf, dass finanzielle Überschüsse von der International Bank for Reconstruction and Development (IBRD), der Hauptinstitution der Weltbank-Gruppe, zur International Development Agency (IDA), die günstige Kredite und Zuschüsse an die ärmsten Länder vergibt, transferiert werden, sowie auf dem Austausch gesammelter Erfahrungen und Expertise zwischen den Ländern („Knowledge Bank“). Das wird nicht mehr funktionieren, wenn eine größere Zahl fortgeschrittener Länder aussteigt.

Länder mit niedrigen Einkommen

Was die Zusammenarbeit mit Ländern mit niedrigem Einkommen angeht, steht die Bank vor anderen Herausforderungen. In Sachen Geberharmonisierung muss sie eine vermittelnde Rolle spielen, in der Arbeitsteilung mit anderen Gebern sollte sie sich auf ihre Stärken konzentrieren (wie etwa treuhänderisches Management).

Die Weltbank muss den eingeschlagenen Weg in Richtung Harmonisierung und „Alignment“ im Sinne der Paris Declaration on Aid Effectiveness der OECD weiterverfolgen. Die Weltbank sollte versuchen, ihre Maßnahmen und Instrumente mit den Beiträgen anderer Geber kreativ zu kombinieren, etwa Finanzierungen mit technischer Beratung. Sie sollte bereits bei der Erstellung von Studien und Programmen enger mit anderen Gebern vor Ort zusammenarbeiten. Auch sollte sie öfter als bisher in gemeinsamen Programmen die Juniorrolle übernehmen.

Obendrein dürften rund 20 Länder, die bislang Anspruch auf konzessionäre IDA-Hilfe hatten, in den nächsten zehn Jahren die maßgebliche Einkommensobergrenze überschreiten. Sie müssen dann auf Kredite der IBRD und auf Mischdarlehen von IDA und IBRD umsteigen. IDA-Kunden bleiben dann möglicherweise primär fragile Staaten, für die interne und externe Konflikte sowie schwache Governance typisch sind. Darauf wiederum müssen Instrumentarium und Charakter der IDA eingestellt werden.


Globale öffentliche Güter

Grenzüberschreitende Krankheiten, die Bereitstellung und Verbreitung von Wissen oder der Klimawandel sind globale Herausforderungen, welche die Armut in Entwicklungsländern berühren und folglich die Weltbank unmittelbar angehen. Allerdings können sie nicht im Rahmen von Länderprogrammen angegangen werden, da nationale Lösungen in der Regel nicht möglich oder nicht sinnvoll sind. Das gilt ähnlich auch für Handelsförderung, Frieden und Sicherheit oder auch Finanzmarktstabilität.

Für derartige Aufgaben engagiert die Bank sich seit Anfang der neunziger Jahre in so genannten „globalen Programmen“. Bislang jedoch tat sie das weitgehend ohne klare Strategie ad hoc, weil die Anteilseigner sich über das Mandat uneinig sind. Die Bank wird in diesem Jahr ein Strategiepapier zu „Global Programs“ vorlegen. Sie braucht in der Tat ein Mandat dafür, Instrumente und Finanzmittel für globale öffentliche Güter (Global Public Goods, GPGs) einzurichten. Zugleich sollte die Rolle der regionalen Entwicklungsbanken, der UN und anderer relevanter Institutionen bei der Bereitstellung von globalen und regionalen öffentlichen Gütern geklärt werden.

Neben der Frage des Mandats (das zum Beispiel die USA und die Schwellenländer in Frage stellen) muss entschieden werden, welche GPGs für die Arbeit der Bank besonders relevant sind. Das könnten jene sein, die unmittelbaren Einfluss auf Armutsbekämpfung und die Erreichung der Millenniumsziele haben, oder aber solche, zu denen die Bank möglichst effektiv beitragen kann.

Der „Clean Energy Investment Framework“ – ein Weltbank-Instrument für die Reduktion des CO2-Ausstoßes – veranschaulicht die Situation: Das Mandat für Klimaschutz wird von einigen Mitgliedsländern bestritten, und die Rollenteilung mit anderen Institutionen – etwa der UN und der Global Environmental Facility – ist unklar.

Interne Governance

Wenig Bewegung gab es in den vergangenen Jahren in der Diskussion um die interne Governance der Weltbank. Dabei gibt es schon lange Möglichkeiten, die Effizienz des Direktoriums, des primären Entscheidungsgremiums, zu verbessern (Deutscher, 2003). Größe und Zusammensetzung des Direktoriums werden oft kritisiert; es gilt eine Balance zu finden zwischen Effizienz einerseits und Legitimität beziehungsweise Repräsentation der Mitgliedsländer andererseits. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob das Direktorium sich gegenwärtig mit den richtigen Dingen befasst und wie die Verteilung von Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen Direktorium und Top-Management verbessert werden kann.

Das Direktorium sollte sich stärker auf strategische Fragen konzentrieren, Implementation, Effizienz und Zielerreichung überprüfen sowie Budget und Geschäftsplan billigen. Projekte und Programme sollten stärker in Ausschüssen behandelt und Dokumente stärker auf die erwarteten Ergebnisse und Risiken zugespitzt werden, statt das Direktorium mit Mikromanagement und Details zu überfrachten.

Im Gegenzug dazu sollten operative Aufgaben im Rahmen vereinbarter Ziele und Verfahren stärker vom Top-Management verantwortet werden. Gegenwärtig neigt das Management dazu, sich übermäßig beim Direktorium rückzuversichern. Dass die Exekutivdirektoren lediglich ihren eigenen Regierungen gegenüber rechenschaftspflichtig sind, nicht aber der Institution selbst, wirft dabei Fragen der Verantwortlichkeit auf.

Daneben hat die Wolfowitz-Krise zusätzlichen Reformbedarf aufgezeigt. Dabei geht es zunächst um die Kriterien der Auswahlprozeduren für den Präsidenten und seine unmittelbaren Mitarbeiter. Aber auch die Kommunikations- und Weisungskanäle des Präsidenten müssen geklärt werden. Bessere und klarere Lösungen potenzieller Interessenkonflikte werden gebraucht.

Fazit

Die Weltbank muss sich stärker als bisher an ihren Kunden und deren Bedürfnissen orientieren, wobei sich in beiden Hinsichten dramatische Veränderungen in den kommenden zwei Jahrzehnten abzeichnen. Die Bank muss ihr Instrumentarium entsprechend anpassen. Gleichzeitig gewinnen globale Aufgaben an Bedeutung. Den politischen Willen der Anteilseigner vorausgesetzt, sollte die Bank entsprechend ihrer Expertise Finanzinstrumente zur Förderung von globalen öffentlichen Gütern bereitstellen. Zugleich muss sie ihre interne Governance und die Kooperation mit anderen Gebern verbessern.

Die interne Strategiefindung in der Weltbank läuft. Bis Jahresende will die eingerichtete Arbeitsgruppe Antworten auf diese Fragen finden. Das ist dringend notwendig, damit die Institution wieder klare Ziele ansteuert. Gleichzeitig kann ein breit angelegter Strategieprozess auch dazu beitragen, die „ownership“ von Belegschaft und Management zu stärken, und helfen, die Krise zu überwinden. Ein neuer Präsident sollte die Chance des Neustarts dazu nutzen, neue Orientierung zu schaffen und die Belegschaft neu zu motivieren.