Kommentar
Rohstoffkonflikte
Im vergangenen November fanden in Myanmar die ersten freien und fairen Wahlen seit einem Vierteljahrhundert statt. Aung San Suu Kyi und ihre National League for Democracy (NLD) trugen einen überwältigenden Sieg davon (siehe hierzu auch Artikel von Ellen Thalman in E+Z/D+C 2016/03). Die internationale Gemeinschaft jubelte: Ziel erreicht. Thema erledigt. Die Realität in Myanmar ist aber viel komplizierter. Suu Kyi hat einen langen, steinigen Weg vor sich, und es ist keinesfalls sicher, dass sie ihn erfolgreich bewältigt.
Der Erfolg ihrer Regierung hängt zu großen Teilen davon ab, ob es ihr gelingt, a) das Land zu befrieden, das 70 Jahre lang unter bewaffneten Aufständen ethnischer Gruppen gelitten hat, und b) die Wirtschaft auf nachhaltigere und gerechtere Weise zu entwickeln. Dabei spielt Myanmars Reichtum an natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas, Edelsteine, Wasser, Holz und Land eine große Rolle. Mit kluger Realpolitik muss Suu Kyi in den kommenden Jahren mächtige, gegensätzliche Interessen in Bezug auf diese Rohstoffe ausbalancieren.
Gegensätzliche Interessen
Zum einen hat die Armee nach wie vor viele Fäden in der Hand. Abgesehen von in der Verfassung verankerter Macht, besitzt sie auch viele große Unternehmen. Ehemalige Generäle und Geschäftsleute, die den Militärs nahestehen, haben die Kontrolle über viele Rohstoffe des Landes. Allein in den Jadevorkommen steckt ein Vermögen von möglicherweise hundert Milliarden Dollar oder mehr.
Zum anderen gehört Myanmar weltweit zu den Ländern mit den meisten ethnischen Minderheiten. Viele Ressourcen liegen in den Gebieten dieser Minderheiten. Die Junta hat die Rohstoffe ohne Rücksicht auf die Bewohner – die den natürlichen Reichtum als ihr Eigentum ansehen – ausgebeutet. Heute werden die Friedensverhandlungen von Fragen ethnischer Identität, kulturellen Erbes und der Entscheidungsgewalt beherrscht. Ich denke aber, dass letztlich die Wirtschaft darüber entscheidet, ob es zu einem dauerhaften Frieden kommt oder nicht.
Ein dritter wichtiger Punkt ist Myanmars große geopolitische Bedeutung, vor allem für China. Das südostasiatische Land ist ein wichtiger Bestandteil von Chinas Seidenstraßeninitiative „One belt, one road“. Es bietet direkten Zugang zum Indischen Ozean und damit die Möglichkeit, die teure und gefährliche Handelsroute durch die Straße von Malakka zu meiden. China investiert in großem Stil in Wasserkraft, in eine Pipeline, den Edelsteinabbau und große Infrastrukturprojekte. Dass Präsident Thein Sein den Bau des Myitsone-Staudamms 2011 nach starken Bürgerprotesten stoppte, war ein herber Rückschlag. Das Kraftwerk, ein Joint Venture mit China, sollte eine Kapazität von 6 000 Megawatt haben.
Erbe schlechter Regierungsführung
Suu Kyi muss sich nun mit Megaprojekten zur Nutzung natürlicher Ressourcen aus der Zeit der Militärregierung herumschlagen, die ebenso schlecht ausgeführt wie geplant sind. Die Junta schloss undurchsichtige Hinterzimmer-Deals mit ausländischen Partnern. Diese Projekte haben mehrere Gemeinsamkeiten:
- eine nahezu vollständige Intransparenz der Verträge,
- gar keine oder keine ernsthaften Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen (ESIA),
- keine ernsthafte öffentliche Beteiligung und
- Zwangsenteignung und -umsiedlung von Bauern ohne adäquate Entschädigung.
Konflikte um natürliche Ressourcen sind sehr explosiv und bergen die Gefahr, dass eine der Interessengruppen untergebuttert wird. Die NLD wird sich die Projekte wahrscheinlich einzeln vornehmen und entscheiden müssen, ob ein Kompromiss möglich ist, ob Projekte neu verhandelt und ernsthafte ESIA und öffentliche Beteiligung vorgenommen werden können, oder ob sie das Risiko eingehen muss, eine der Interessengruppen zu verprellen – indem sie ein Projekt entweder vorantreibt oder streicht. Schneller Zugang zu relevanten Informationen ist ebenso wichtig wie exzellente technische und rechtliche Unterstützung. Hier könnte die EU eine wichtige Rolle spielen.
Mirco Kreibich wurde im Juli 2015 der erste Landesdirektor der Heinrich-Böll-Stiftung in Myanmar.
mirco.kreibich@mm.boell.org