Demokratie
Kolumbianer stimmen für Wandel
Die Medien stellen Petro und Márquez gern als Revolutionäre dar, dabei stehen sie eher für Reformen. Petro ist in der kolumbianischen Politik seit Jahrzehnten eine etablierte Persönlichkeit. Er war Senator und Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá und strebte dort mit verfassungsgemäßen – nicht revolutionären – Mitteln den Wandel an.
Márquez' Aufstieg hat mehr Symbolkraft. Das ehemalige Dienstmädchen war bis vor Kurzem Sozialhilfeempfängerin. Seit sie sich als Umwelt- und Sozialaktivistin engagiert, erhält sie Morddrohungen. Sie steht für jene, die im System zurückgelassen wurden: Fast 40 Prozent der Menschen in Kolumbien leben in Armut.
Wer afrikanische Wurzeln hat oder einem indigenen Volk angehört, wird weiterhin ausgegrenzt. Abwertende Begriffe wie „negro“, „indio“ und „campesino“ sind immer noch in Gebrauch. Kolumbien hat sich nicht mit dem blutigen Erbe der europäischen Kolonialisierung auseinandergesetzt. Umso bedeutsamer ist es, dass die neue Vizepräsidentin ein neues Ministerium zur Bekämpfung von Ungleichheit leiten wird.
Márquez ist seit Mitte der 1990er-Jahre führend im Sozialbereich und Umweltschutz aktiv. Sie hat immer wieder verlangt, dass die staatlichen Behörden die Verfassung von 1991 respektieren, Bürgerrechte anerkennen und niemanden ausschließen. Ihre Forderungen nach mehr Demokratie wurden allerdings als „gefährlich revolutionär“ diskreditiert.
Der Staat ist in vielen Bereichen abwesend
In Kolumbien leben Millionen Menschen in abgelegenen Gebieten, in denen der Staat weitgehend abwesend ist. Sie stehen weiterhin im Kreuzfeuer verschiedener bewaffneter Gruppen. Ein Friedensabkommen wurde im Rahmen einer Volksabstimmung 2016 abgelehnt, nicht zuletzt wegen Fake-News-Propaganda. Iván Duque, Präsident der vergangenen vier Jahre, stellte sich gegen das Abkommen sowie wichtige Institutionen wie die Wahrheitskommission (siehe meinen Beitrag aus 2019 auf www.dandc.eu). Seit 2019 finden Massenproteste gegen Duque statt, verbunden mit der Forderung nach Frieden. Es überrascht nicht, dass Menschen mit afrikanischen Vorfahren, indigene Gemeinschaften und Opfer von Gewalt massiv für Petro und Márquez gestimmt haben.
Die neue kolumbianische Führung muss sich großen Herausforderungen stellen. Ungleichheit und Rassismus sind eng verknüpft und tief in der Gesellschaft verwurzelt. Petro und Márquez verkörpern dagegen die Hoffnung auf Veränderung.
Ein Programm und eine Erzählung
Die neue Regierung muss die Demokratie stärken und soziale Gräben überbrücken – eine schwierige Aufgabe. Einige politische Akteure kooperieren mit illegalen bewaffneten Gruppen. Aktivistinnen und Aktivisten werden weiterhin ermordet. Vielerorts haben Warlords das Sagen, selbst in Provinzhauptstädten. Etwa ein Drittel der 15- bis 28-Jährigen geht weder einer Arbeit noch einem Studium nach. Die Pandemie hat die Lebensgrundlagen vieler zerstört.
Die internationale Lage bleibt kritisch, eine weltweite Rezession droht. Inwiefern der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, ausländische Regierungen und private Investoren auf die Propaganda hereinfallen, Kolumbiens neue Führung sei „hart links“, bleibt abzuwarten. US-Präsident Joe Biden immerhin rief Petro an, um ihm zu gratulieren – das wird als vielversprechend gewertet.
Die neue Regierung wird ein politisches Programm zum Abbau von Ungleichheiten brauchen, und ein nationales Narrativ zur Förderung des Zusammenhalts – ähnlich wie die Linksregierungen in Chile, Bolivien und Peru. Hat sie Erfolg, kann das ein Zeichen setzen in einer Welt voller Gier, Ungleichheit und Gewalt. Es braucht Regierungen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl geben, dass ihr Land ihnen gehört und sie es mitgestalten können. Wo sie aber zu bloßen Mietern gieriger Vermieter reduziert werden, wird die Demokratie weiter erodieren – und autoritäre Narrative setzen sich sowohl rechts als auch links der Mitte durch.
Fabio Andrés Díaz Pabón ist Forscher am African Centre of Excellence for Inequality Research (ACEIR) der Universität Kapstadt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rhodes-Universität in Südafrika.
fabioandres.diazpabon@uct.ac.za