Wirksamkeit der EZ
Mehr als eine Mode
Von Dirk Niebel
Vorstellungen von Entwicklungszusammenarbeit (EZ), wie sie sich jahrzehntelang in Geber-Nehmer-Verhältnissen und Definitionen von Official Development Assistance (ODA) widergespiegelt haben, beschreiben die entwicklungspolitische Landschaft nicht mehr adäquat. Neue staatliche und private Kooperationspartner mit neuen Formen der Zusammenarbeit verändern diese Kooperationslandschaft. Das Ende November anstehende vierte hochrangige Forum zur Wirksamkeit der EZ (HLF4) in Busan, Südkorea, fällt in diese Umbruchphase. Und ich kann mir kaum einen interessanteren Ort vorstellen, um diesen Umbruch zu diskutieren: Südkorea ist 2009 dem Development Assistance Committee (DAC) der OECD beigetreten und hat ein Signal gesetzt, dass es als entwicklungspolitischer Geber Verantwortung übernehmen und die Diskussionen im ehemaligen „Club der Geber“ mitgestalten will. Das Land, das noch bis Ende der 1950er Jahre in seiner hohen Abhängigkeit von Hilfszahlungen einem Niedrigeinkommensland glich, könnte nicht besser symbolisieren, wie wichtig externe Unterstützung für Entwicklung sein kann, wenn sie sich mit einer klugen Politik und Eigenverantwortung paart und selektiv und wirksam eingesetzt wird.
Die internationale Diskussion über die Effektivität der EZ hat sich von einer Diskussion unter Gebern zu einem gemeinsamen Dialog von Industrie- und Entwicklungsländern, der Zivilgesellschaft und weiteren Entwicklungsakteuren entwickelt. Gerade der Aktionsplan von Accra symbolisiert diese Weiterentwicklung. Busan wird dies fortführen, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, was bi- und multilaterale Entwicklungsorganisationen tun sollten, um in ihrem Verantwortungsbereich bessere Ergebnisse für unsere Partner zu erzielen.
Mit der Fusion der deutschen Durchführungsorganisationen der Technischen Zusammenarbeit habe ich zum Beispiel einen wichtigen Schritt unternommen, damit der deutsche Beitrag in Zukunft deutlich effektiver und effizienter geleistet werden kann. Dem werden weitere Anstrengungen folgen, die Arbeit unserer Durchführungsorganisationen noch nachfrage- und ergebnisorientierter auszurichten und Ziele in Richtung auf mehr Transparenz, Effizienz und Effektivität zu setzen. Auch die Gründung eines unabhängigen Evaluierungsinstituts sehe ich in diesem Kontext. Das Momentum und der politische Grundkonsens der Wirksamkeits-Agenda von Paris/Accra – nämlich dass die Erhöhung der Wirksamkeit der EZ eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele ist und dass Geber und Partner gemeinsam und individuell ihr Verhalten ändern müssen, um Entwicklungsergebnisse zu erzielen – sollte nicht nur erhalten, sondern auf einer neuen Ebene fortgeschrieben werden.
Erste Evaluierungsergebnisse der Paris-Erklärung und des Accra-Aktionsplans zeigen, dass es noch ein langer Weg ist, um die bestehenden Ziele zu erreichen. Aber wir sollten auch den Blick für das Erreichte nicht verlieren. Die beteiligten Entwicklungsländer sehen die Wirksamkeitsagenda heute als ihre Agenda. Und bestimmte aus den Paris-Prinzipien ableitbare Verhaltensweisen sind heute bei Entwicklungsakteuren akzeptiert. Auch wenn wir in Busan zu einem schlankeren und weniger kleinteiligen Ergebnis als in Paris und Accra kommen müssen, zeigt das, dass das Setzen von messbaren Zielen wichtig bleibt, um „peer pressure“ aufrechtzuerhalten.
Ergebnisse zählen
Die Debatte über die Wirksamkeit der EZ („aid effectiveness“) ist kein Selbstzweck, sondern sie soll zu besseren Entwicklungsergebnissen („development effectiveness“) führen. Diese hängen nicht nur davon ab, ob und wie wir unsere Zusammenarbeit, Verfahren und Mechanismen effektiver, effizienter und innovativer gestalten. Sie hängen auch von anderen Faktoren ab, auf die Entwicklungspolitik allein weniger oder mitunter gar keinen Einfluss hat (Strategien, Kapazitäten, Ressourcen und Eigeneinnahmen unserer Partner, politische Krisen, Dürren und Naturkatastrophen, globale Finanz- und Wirtschaftskrise, Preisentwicklungen und andere mehr). Deshalb gehört verbesserte Kohärenz – also zum Beispiel mein Engagement gemeinsam mit der deutschen Landwirtschaftsministerin zur Abschaffung der europäischen Agrarexportsubventionen oder die Übertragung von Wirksamkeitsprinzipien und EZ-Erfahrungen in den Bereich Klimaschutzfinanzierung, wo inzwischen eine Vielzahl von nicht über EZ-Erfahrung verfügende Akteure tätig werden – auch in die Debatte um die EZ-Wirksamkeit und Ergebnisse. All das sollte in Busan Thema sein.
Die rasante Ausweitung von Akteuren und Kooperationsbeziehungen bringt Chancen und Herausforderungen für die Partner und die Geber mit sich. Um das klar zu sagen: Wirksame EZ braucht Geld, braucht Ideen, braucht Innovation. Vieles davon bringen diese Akteure mit, wie etwa die Bill and Melinda Gates Foundation. Wir dürfen aber auch die Kehrseite wachsender Diversität, die deutliche Zunahme der Akteure und die weitere Fragmentierung der Geberaktivitäten und Konditionen, die auf schon überforderte Kapazitäten in den ärmsten Entwicklungsländern treffen, nicht aus dem Auge verlieren.
In Busan sollten wir zu einem vernünftigeren Verhältnis mit den sogenannten „neuen Gebern“ wie Indien oder Brasilien kommen. Sie passen oft nicht in unsere klassischen Geber-Nehmer-Schemata und die gewohnten Kategorien wie ODA, weil sie Kooperationspakete schnüren, die auch Elemente aus der Handels-, Rohstoff-, Investitions- und Technologiepolitik beinhalten können. Ich habe auch aus diesem Grund die Zusammenarbeit mit diesen großen Schwellenländern nicht ein-, sondern umgestellt und in der Zusammenarbeit mit diesen „Globalen Entwicklungspartnern“ einen neuen Weg eingeschlagen.
Der leichtere Zugang dieser Länder zu anderen Entwicklungsländern und ihr Verständnis für deren Herausforderungen machen sie zu wertvollen Partnern einer auf Wirkungen ausgerichteten Entwicklungspolitik. In der Zusammenarbeit mit Ländern wie Mexiko oder Brasilien kann Deutschland auf seine langjährige EZ aufbauen und zum Beispiel Dreieckskooperationen in Drittländern fördern. Oft sind diese Kooperationsformen, bei denen etwa Erfahrungen eines Schwellenlands in der HIV-AIDS-Bekämpfung mit EZ-Knowhow aus Deutschland gepaart wird, vergleichsweise kostengünstig und effektiv.
Busan ist nicht das Ende des Prozesses, der in Rom, Paris und Accra begonnen hat, sondern wird die dort entwickelten Kernprinzipien wirksamer Entwicklungszusammenarbeit wie Eigenverantwortung, Partnerorientierung, Harmonisierung, Ergebnisorientierung und gegenseitige Rechenschaftspflicht nutzen und weiterentwickeln. Wichtig wird es sein, klarere Akzente zu setzen, die ich vor allem in den Bereichen Ergebnisorientierung, Arbeitsteilung und Einbeziehung des Privatsektors sehe.
Busan sollte ein Zeichen für eine stärkere Ergebnisorientierung setzen. Deutsche Steuerzahler und die Bürger unserer Partnerländer interessieren sich für Resultate, nicht für schöne Ankündigungen oder gar die Wagenflotte internationaler Hilfsorganisationen. Es reicht aber nicht, rein quantitativ eine erhöhte Einschulungsrate zu messen, wenn die Abbrecherquote gleichzeitig steigt oder die Qualität der Bildung kontinuierlich sinkt.
Das bedeutet, dass wir die Kapazitäten unserer Partner stärken müssen. Nur so können sie zunehmend Verantwortung übernehmen. Das bedeutet auch, stärker ergebnisorientierte Finanzierungen einzusetzen, wie wir das etwa in einigen Ländern Afrikas gerade tun.
Politisch bedeutet das, dass ich mit Ergebnisorientierung demokratische Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamenten, Bürgern, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Medien, Parteien, Verbänden und auch Unternehmen als ein wichtiges Prinzip einer werteorientierten und langfristig erfolgreicheren EZ stärken will. Dies ist ein Punkt, in dem ich das starke Engagement der Zivilgesellschaft nicht nur in Deutschland sehr begrüße.
Wenn wir an Entwicklungsergebnissen gerade in den ärmeren Entwicklungsländern interessiert sind, müssen wir die durch jahrzehntelange EZ eingeführte Monokultur, die nur auf den Staat schaut, aufbrechen. Eine Schwäche der bisherigen „Aid effectiveness“-Debatte war, dass sie die Relevanz des Privatsektors und privatwirtschaftlicher Kooperation für Entwicklungsergebnisse eher unterschätzt hat. Das will ich in Busan ändern. EZ und privatwirtschaftliche Ansätze können viel voneinander lernen. EZ kann ein Katalysator sein, um privatwirtschaftliche nationale und internationale Investitionen und Initiativen für den Entwicklungsprozess in unseren Partnerländern zu mobilisieren. Wir haben dazu eine Reihe von Instrumenten entwickelt, beispielsweise im Bereich Public Private Partnerships (PPP) oder auch in der Entwicklungsfinanzierung, wo wir mit begrenzten öffentlichen Mitteln erhebliche Kapitalmarktmittel für geeignete Vorhaben mobilisieren können. Umgekehrt kann privatwirtschaftliche Initiative und Innovation als Katalysator für die EZ wirken.
Die internationale Gemeinschaft würde ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie sich in Busan nicht der weiter wachsenden Fragmentierung und Kleinteiligkeit in der EZ widmen würde. Alle Zahlen, die wir haben, deuten darauf hin, dass sich die Herausforderung für unsere Partner eher noch verschärft hat. Aber wir haben inzwischen Beispiele aus Ländern wie Ruanda, die zeigen, dass Partnerregierungen Arbeitsteilung politisch steuern und umsetzen können. Die Verringerung der Fragmentierung der EZ gehört deshalb auf die Tagesordnung in Busan. Hier sehe ich uns gerade als Europäer in der Pflicht, weshalb ich mich – gerade im Kontext der Unabhängigkeit von Südsudan – auf europäischer Ebene für mehr Arbeitsteilung und gemeinsame Programmierung einsetze.
Busan ist auch die Chance, die „neuen“ Geber für Kernprinzipien guter internationaler entwicklungspolitischer Zusammenarbeit zu gewinnen. Deutschland hat hier schon viel Vorarbeit geleistet, die in die Entwicklungsdiskussionen der G20 eingeflossen ist. Ich hoffe, dass wir in Busan auch weitere Impulse für die Effektivität der Arbeit multilateraler Organisationen und der EU setzen. Mit der Übernahme des Sekretariats des Netzwerks von 16 bilateralen Gebern zur Bewertung der Leistungsfähigkeit multilateraler Organisationen (MOPAN) setzt das BMZ darauf, die Effektivität multilateraler Institutionen zu verbessern. Mit der Mutual Reliance Initiative versuchen wir, die Harmonisierung von Verfahren dort voranzubringen, wo dies naheliegt und längst möglich sein sollte.
Ich möchte in Busan auch ein Zeichen hin zu einem stärker differenzierten Ansatz geben, der den Schwerpunkt auf die Analyse und Umsetzung auf Länderebene setzt. Dies erleichtert auch die Kooperation mit neuen Gebern. Ein differenzierterer Ansatz wird auch den besonderen Bedürfnissen der fragilen Staaten besser gerecht. Wir sehen den von fragilen Staaten initiierten internationalen Dialogprozess zu Friedensstärkung und State-building deshalb positiv.
Busan sollte den Wandel in der EZ-Landschaft hin zu einer erweiterten und an Entwicklungsergebnissen orientierten EZ voranbringen. Südkorea ist dafür der ideale Ort. EZ muss heute mehr denn je versuchen, andere Akteure für den Entwicklungsprozess zu mobilisieren. Dazu brauchen wir ein politisch ausgerichtetes Dokument, das neue Geber mitnimmt, ohne dass Grundprinzipien einer wirksamen EZ relativiert werden.