Entwicklung und
Zusammenarbeit

Frauenfeindlichkeit und Autoritarismus

Wo Autoritäre auf dem Vormarsch sind, leiden die Frauenrechte

Wo Autoritäre auf dem Vormarsch sind, leiden Frauenrechte: Macarena Sáez von Human Rights Watch erklärt, weshalb der Kampf für die Autonomie der Frau auch ein Kampf für die Demokratie ist – und wie sich Frauen auf der ganzen Welt zusammenschließen, um voranzukommen.
Die Grüne Welle ist über Lateinamerika geschwappt: Eine Polizistin leitet demonstrierende Mitglieder feministischer Kollektive in den Straßen von Mexiko-Stadt im Jahr 2023. Sie trägt aus Solidarität ein grünes Band. picture alliance/NurPhoto/Gerardo Vieyra Die Grüne Welle ist über Lateinamerika geschwappt: Eine Polizistin leitet demonstrierende Mitglieder feministischer Kollektive in den Straßen von Mexiko-Stadt im Jahr 2023. Sie trägt aus Solidarität ein grünes Band.

Blicken wir zunächst darauf, wo wir stehen: Wie haben sich die Rechte der Frauen in den vergangenen Jahren weltweit entwickelt?

Wir beobachten zwei gegensätzliche Trends: In einigen Ländern hat sich die Lage verbessert, in anderen gab es Rückschritte. In Lateinamerika beispielsweise sehen wir enorme Fortschritte. Der Zugang zu Abtreibung gilt dort in vielen Ländern inzwischen als grundlegendes Frauenrecht. Die USA haben allerdings nach fast 50 Jahren das verfassungsmäßige Recht, über eine Abtreibung zu entscheiden, abgeschafft. Das ist eine ungewöhnliche und beunruhigende Entwicklung. Ganz zu schweigen von einem Land wie Afghanistan, in dem die Taliban Frauen praktisch aus dem öffentlichen Leben verbannt haben. Selbst in Europa haben Frauenrechte allgemein einen Rückschlag erlitten. 

In vielen dieser Länder ist die Demokratie im Niedergang. Erica Chenoweth und Zoe Marks, die an der Harvard University forschen, haben einen Zusammenhang zwischen „Frauenfeindlichkeit und Autoritarismus“ festgestellt. Woran liegt das?

Die Einschränkung der Freiheiten von Frauen geht in der Regel mit einer Einschränkung der Bürgerrechte einher. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist besessen davon, die reproduktiven Rechte einzuschränken und gleichzeitig die Meinungsfreiheit zu beschneiden. In einer gut funktionierenden Demokratie, in der sich die Menschen auf Rechtsstaatlichkeit verlassen können, ist es dagegen schwierig, frauenfeindlich zu sein. Haben Frauen unabhängige Gerichte, demokratische Wahlen, eine gesunde Zivilgesellschaft und Meinungsfreiheit, können und werden sie für ihre Rechte kämpfen. Der Fortschritt in der Demokratie ist langsam, aber stetig.

Traditionelle Rollenbilder werden oft von konservativen oder religiösen Gruppen unterstützt. Ist nicht die Autokratie, sondern die politische Ideologie der entscheidende Faktor?

Autoritarismus hat keine Ideologie. Es ist ein fataler Trugschluss zu glauben, dass es einen Unterschied zwischen linken und rechten Autoritären gibt. Der Unterschied liegt darin, ob politisch Verantwortliche an Rechtsstaatlichkeit glauben oder nicht. Der nicaraguanische Diktator Daniel Ortega, der aus der linken Sandinistenbewegung stammt, wird heute von der katholischen Kirche unterstützt. Oder nehmen Sie Russland, das in den 1920er-Jahren die Abtreibung legalisierte und in den 1950er-Jahren die Gleichstellung der Geschlechter förderte. Wladimir Putin hat den Zugang dazu erheblich eingeschränkt, die traditionelle Mutterrolle verherrlicht und belohnt kinderreiche Familien. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Land nicht sehr von China: China ist von einer Ein-Kind-Politik zu einer Zwei-Kind-Politik übergegangen und fordert Frauen nun auf, mehr Kinder zu bekommen. Beide Regime betrachten Frauen als Instrument der Bevölkerungskontrolle und nicht als Individuen, die das Recht haben, über ihr eigenes Leben zu entscheiden.

Würden Sie sagen, dass die Einschränkung der Frauenrechte eines der ersten Anzeichen für einen zunehmenden Autoritarismus ist?

Auf jeden Fall. Der Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Frauenrechten ist nicht immer offensichtlich, denn auch Demokratien sind nicht perfekt, wenn es darum geht, Frauenrechte zu gewähren. Der Unterschied liegt in der Richtung – ob es Fortschritte oder Rückschritte gibt. Ob man nun El Salvador, Nicaragua, Ungarn oder die Vereinigten Staaten betrachtet: Wir sollten uns mehr Gedanken machen und bereit sein zu reagieren, wenn Frauenrechte eingeschränkt werden. Das ist ein Zeichen für die Erosion der Demokratie.

Sie sprechen über das Recht einer Frau auf Abtreibung, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein sehr sensibles Thema. Viele Menschen sind darüber besorgt und wollen auch den Fötus schützen.

Es gibt Belege dafür, dass es keinen Widerspruch zwischen dem Schutz des fötalen Lebens und dem Schutz von Frauen gibt. Es ist genau umgekehrt: Wer die Rechte der Frauen schützt, schützt auch die Gesundheit der Schwangeren und das Leben und die Gesundheit des Fötus.

Die „Grüne Welle“ in Lateinamerika war eine starke Frauenrechtsbewegung in jüngerer Zeit. Zehntausende gingen für reproduktive Rechte auf die Straße. Die Bewegung begann 2020 in Argentinien und breitete sich über den Kontinent aus. Oberste Gerichte in Kolumbien, Mexiko, Argentinien und Chile haben inzwischen den Zugang zu Abtreibung als Frauenrecht anerkannt. Was hat die Bewegung noch erreicht?

Die Grüne Welle hat das erreicht, was ich als soziale Entkriminalisierung der Abtreibung bezeichne – die Art und Weise, wie über reproduktive Rechte gesprochen wird: Das war lange ein Tabuthema, aber jetzt schämen sich Frauen nicht mehr, über ihre Erfahrungen zu sprechen. In den Familien wird darüber diskutiert. Und diese Gespräche finden sogar in Ländern statt, in denen das Recht auf Abtreibung stark eingeschränkt ist, wie in El Salvador und Nicaragua. Aber die Grüne Welle ging weit über die reproduktiven Rechte hinaus und wurde zu einer Bewegung für Bürgerrechte und Demokratie. In Mexiko trugen die Menschen grüne Tücher – das Symbol der Grünen Welle – als Zeichen des Protests gegen das Verschwindenlassen und die Folter.

Was hat die Grüne Welle so stark gemacht? 

Die Grüne Welle ist ein Vorbild, sie hat der Welt wirklich gezeigt, welche Macht zivilgesellschaftliche Bewegungen haben können. Sie wurde von vielen verschiedenen Frauenrechtsorganisationen vorangetrieben, und viele Frauen fühlten sich durch sie repräsentiert. Außerdem waren die grünen Tücher ein gut sichtbares öffentliches Symbol. Der Erfolg war aber auch auf den strategischen Aufbau der Bewegung zurückzuführen: Die riesigen Kundgebungen waren der sichtbarste Teil der Bewegung. Gleichzeitig setzten sich Gruppen von Aktivist*innen für Gesetzesänderungen ein, während andere sich mit strategischer Prozessführung beschäftigten. Erfolgreiche Bewegungen vereinen diese drei Aspekte.

Apropos El Salvador: Im Dezember 2024 befand der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Land verantwortlich sei für Gewalt bei der Geburtshilfe. Das Gericht stufte dies als Form der Gewalt gegen Frauen ein. 

Dies ist ein großer Schritt nach vorne. In dem Fall ging es um eine Frau, die gezwungen war, eine Schwangerschaft mit einem nicht lebensfähigen Fötus auszutragen, weil das medizinische Personal keine Abtreibung durchführen wollte. Das Leben der Frau war in Gefahr, aber das Personal war sich nicht sicher, ob eine Abtreibung legal war. In seinem Urteil betrachtete der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den fehlenden Zugang zu medizinischen Verfahren als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt und machte El Salvador dafür verantwortlich. Fast zeitgleich stellte der Menschenrechtsausschuss, das Organ der Vereinten Nationen, das die Einhaltung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte überwacht, fest, dass Ecuador und Nicaragua die Rechte von Mädchen verletzt hatten. Sie hatten sexuelle Gewalt erfahren und waren dennoch gezwungen worden, ihre Schwangerschaften auszutragen. Der Ausschuss stellte ausdrücklich fest, dass eine erzwungene Schwangerschaft aufgrund des fehlenden Zugangs zu Abtreibungen eine Menschenrechtsverletzung darstellt. 

Frauen in repressiven Regimen können nicht auf die Straße gehen oder sich an die Gerichte wenden. Was passiert in Ländern wie Iran oder Afghanistan?

Die Frauen dort schweigen nicht: Sie sind diejenigen, die an der Spitze von Bewegungen stehen, um etwas zu verändern, und das bewundere ich zutiefst. Es ist kein Zufall, dass es in Iran so viele inhaftierte Frauen gibt. Die iranische Bewegung ist eine Menschenrechtsbewegung, die unter anderem von Frauen angeführt wird, an der sich aber auch viele andere gesellschaftliche Gruppen beteiligen. In Afghanistan sind es vor allem Frauen, die für ihre Rechte eintreten. Das reicht vom Protestieren mit Plakaten auf der Straße über kleine öffentliche Versammlungen bis hin zu individuellen Solidaritätsbekundungen, etwa wenn Frauen ein wenig Haut zeigen oder unter der Burka Make-up tragen. Unangepasstheit ist die wichtigste Form des Protests. Das ist sehr mutig, denn die Situation in Afghanistan ist extrem schwierig. Jetzt sind sogar Häuser mit Fenstern verboten, durch die man Frauen von außen sehen kann. Frauen werden nicht nur in die Privatsphäre verbannt – die Privatsphäre ist auch viel dunkler und abgeschotteter als früher. Und im Grunde lässt die internationale Gemeinschaft zu, dass dies geschieht.

Was sollte die internationale Gemeinschaft tun?

Seit drei Jahren gelingt es den Taliban, immer mehr Restriktionen durchzusetzen. Dass sie Frauen den Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehren, kommt fast einem Todesurteil gleich. Aber die Taliban können immer noch ihre Herrenmannschaften zu großen Sportveranstaltungen schicken und ihre Delegationen zu den Vereinten Nationen. Glauben Sie, dass sie das dazu bringt, aufzuhören? Sechs Länder – Chile, Costa Rica, Frankreich, Luxemburg, Mexiko und Spanien – haben den Internationalen Strafgerichtshof gebeten, die Lage der Frauen in Afghanistan im Jahr 2024 zu untersuchen. Vier weitere – Australien, Kanada, Deutschland und die Niederlande – wollen die Taliban vor den Internationalen Gerichtshof bringen, wegen Verstoßes gegen die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Afghanische und internationale Frauenrechtsorganisationen haben sich zusammengetan und fordern, dass Geschlechterapartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit kodifiziert wird. Aber all das reicht nicht aus. Schauen Sie, seit mehr als drei Jahren dürfen Mädchen nach der sechsten Klasse dort nicht mehr zur Schule gehen!

Auffällig an der Frauenrechtsbewegung ist, dass sich Aktivist*innen weltweit immer mehr zusammenschließen und kooperieren. Können Sie uns Beispiele nennen?

Sie kennen vielleicht das Lied aus Chile „Un violador en tu camino“, ein Vergewaltiger auf deinem Weg. Es wurde 2019 von einem feministischen Kollektiv geschrieben und ging viral. Frauen auf der ganzen Welt haben den Text übersetzt, die Choreografie aufgeführt und ihre Videos online geteilt – von Iran über die Türkei und Israel bis hin zu verschiedenen Orten in Europa und Lateinamerika. Stellen Sie sich das vor: Iranische Frauen singen das chilenische Widerstandslied „The People United“ („El pueblo unido, jamás será vencido“) auf Farsi an einer iranischen Universität! Die Technologie hat die Süd-Süd-Zusammenarbeit erheblich erleichtert, und die Frauenrechtsbewegung ist sehr gut vernetzt. Alle vier Jahre organisiert das AWID International Forum eine Konferenz für Aktivist*innen für Geschlechtergerechtigkeit, bei der alle zusammenkommen: Frauen aus Afghanistan und Iran, Organisationen für Hausangestellte und Sexarbeiter*innen, Abtreibungsrechtsaktivist*innen. All diese kleinen Organisationen in verschiedenen Ländern bewegen wirklich unheimlich viel.

Macarena Sáez leitet die Women’s Rights Division von Human Rights Watch. 
saezm@hrw.org

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