Nothilfe
Humanitäre Hilfe darf keine Frage politischer Interessen sein

Nach dem katastrophalen Erdbeben am 28. März in Myanmar wurden bisher mehr als 3700 Tote und mehr als 4800 Verletzte bestätigt. Viele Menschen werden noch vermisst. Da große Teile der betroffenen Region immer noch schwer zugänglich sind, könnte die tatsächliche Zahl der Todesopfer noch deutlich steigen. Neun Millionen Menschen leiden besonders unter der Katastrophe.
Das Beben der Stärke 7,7 hat die ohnehin fragile Situation in Myanmar in eine akute humanitäre Notlage verwandelt. Bereits zuvor waren rund 20 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Etwa 15 Millionen wussten nicht, wie sie sich und ihre Familie ausreichend ernähren sollten, schätzen die Vereinten Nationen.
Myanmar ist geprägt durch Armut, Hunger, Konflikte und politische Isolation. Im Februar 2021 stürzte das mächtige Militär die gewählte Regierung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi; seitdem herrscht Bürgerkrieg. Nach dem Erdbeben haben sowohl die Militärregierung als auch Teile der bewaffneten Opposition eine befristete Waffenruhe verkündet, um Rettungseinsätze, Aufräumarbeiten und erste Wiederaufbauhilfen zu ermöglichen. Die kriegsmüde Bevölkerung und auch Helfende nahmen dies mit vorsichtiger Erleichterung auf. Es ist ein wichtiges Signal inmitten all des Leids, dass die Militärregierung öffentlich zugab, mit der Katastrophe überfordert zu sein und um internationale Hilfe bat.
In den vergangenen Jahren stand Myanmar nicht im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Das spüren auch Hilfsorganisationen im Land; sie erhalten deutlich weniger private Spenden als in anderen Krisengebieten. Die drastischen Kürzungen in der US-amerikanischen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe haben die Lage zusätzlich verschärft. Das UN-Welternährungsprogramm musste deshalb bereits Programme in Myanmar einstellen. Humanitäre Hilfe darf aber keine Frage politischer Interessen oder medialer Aufmerksamkeit sein. Sie muss die Menschen dort erreichen, wo das Leid am größten ist.
Im Katastrophenfall zahlt sich langfristige Kooperation aus
Um im Notfall schnell und gezielt Hilfe leisten zu können, ist es nützlich, auf gewachsene Strukturen zurückgreifen zu können. Die Welthungerhilfe ist seit 2002 in Myanmar aktiv und arbeitet eng mit Klöstern, Dorfkomitees und zahlreichen freiwilligen Helfenden zusammen. Viele unserer Kolleg*innen stammen selbst aus den vom Erdbeben betroffenen Regionen. Glücklicherweise kam niemand aus unserem Team ums Leben.
Die Belastung ist allerdings enorm. Unser Büro in Mandalay wurde schwer beschädigt, deshalb schlafen viele Mitarbeitende derzeit im Gebetssaal eines Klosters – ohne Klimaanlage, bei Temperaturen von mehr als 45 Grad Celsius. Andere sind in den am stärksten betroffenen Gebieten unterwegs und geben Wasser, Nahrungsmittel und Hygieneartikel aus. Sie verteilen auch Bargeld, damit sich die Menschen auf den noch funktionierenden Märkten selbst versorgen können. Ihre Arbeit wird erschwert durch zerstörte Infrastruktur, Nachbeben und eine große emotionale Erschöpfung.
Da die Arbeit der Welthungerhilfe in Myanmar auf langfristige Kooperation zielt, ist in einer Ausnahmesituation wie dieser zusätzliche Unterstützung nötig. Dafür sind sogenannte Emergency Response Teams zuständig. Sie sind im Krisenfall auf Abruf verfügbar und arbeiten dann eng mit den erfahrenen Teams vor Ort zusammen, um schnelle Nothilfe zu leisten. Die im Land über viele Jahre etablierten Netzwerke sind dabei Gold wert.
Die Situation in Myanmar verdeutlicht, wie fatal die Sparmaßnahmen im Entwicklungsbudget der USA und in anderen Ländern sind. Wenn dort, wo akuter Hunger herrscht, Programme gekürzt oder beendet werden, sind Menschenleben bedroht. Dies verschärft den Hunger weltweit, anstatt ihn zu beenden, wie es das 2. UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung bis 2030 fordert. Kommt dann noch eine Naturkatastrophe hinzu, fehlen durch die Kürzungen wichtige Strukturen, um bestmöglich zu helfen. Die reichsten Länder müssen deshalb umdenken, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Marvin Fürderer ist Nothilfe-Experte und Mitglied der Emergency Response Teams der Welthungerhilfe.
marvin.fuerderer@welthungerhilfe.de