Entwicklung und
Zusammenarbeit

Satire und Journalismus

„Kritik an dem, was herrscht, verpackt in Süßigkeiten“

Echte und scheinbare Seriosität trennen journalistische und satirische Arbeit, wobei letztere die Schlüsse ersterer hinterfragen muss, sagt Titanic-Herausgeber Tim Wolff im E+Z-Interview. Er prognostiziert: Für beide wird die Luft dünner.
Eine Titelseite des Satiremagazins „Titanic“ aus dem Jahr 2017. Titanic Eine Titelseite des Satiremagazins „Titanic“ aus dem Jahr 2017.

Tim Wolff im Interview mit Katharina Wilhelm Otieno

Wie definieren Sie die Grenze zwischen Satire und Journalismus – was kann und darf die eine Disziplin, was die andere? Wie beeinflussen und ergänzen sie sich gegenseitig?

Satire, möchte ich behaupten, ist die Kunstform eines menschlichen Bedürfnisses: die Ernsthaftigkeit des Seins nicht einfach sein zu lassen. Was ist, was herrscht, was einem ins Leben regiert, muss auch einmal hinterfragt, verlacht und gelegentlich sogar beleidigt werden. 

Dass Satire und Journalismus so nah beieinander erscheinen, dürfte daran liegen, dass wir – noch – die Welt und die Mächte darin über Journalismus wahrnehmen. Darum sind fast alle modernen Formen der Satire nah an Formaten journalistischer Vermittlung, von der Zeitungsglosse bis zur „Daily Show“. Satire ist auch immer Parodie der herrschenden Informationsvermittlung. Insofern sind die Grenzen fließend und auch abhängig von der Medienkompetenz des Publikums. 

Journalismus will – im besten Fall – jede Detailinformation seriös und mehrfach überprüft vermitteln, Satire will mit den Mitteln der Komik und Kritik infrage stellen, welche Schlüsse wir aus diesen Informationen ziehen. Das eine strebt zur Ordnung, das andere dagegen. 

Andererseits: Satire gibt es nicht ohne journalistische Vorarbeit, weil Satire immer Reaktion ist. Insofern ist Satire strukturell auch konservativ, weil alles, was neu ist, erst einmal skeptisch betrachtet wird, während Journalismus sich schneller auf neue Sachlagen einzustellen vermag. Daher ist das Verhältnis zwischen beiden ein gutes Mittel, mit den Widersprüchen der Welt umzugehen – ohne zu mehr als Zwischenergebnissen zu kommen. Das einzig wirklich Trennende zwischen Journalismus und Satire scheint mir zu sein: Journalismus ist, wenn richtig gemacht, seriös, Satire, wenn richtig gemacht, scheinbar seriös. Will man beides vereinen, liegt die Gefahr eines Missverständnisses, was ernst und was nicht ernst gemeint ist, näher.

Wie schafft man die Balance zwischen Unterhaltung und Information?

Mit sehr viel Arbeit. Immer wieder Nähe und Distanz zum eigenen Text entwickeln, bis er weder das eine noch das andere gefährdet.

Sie sind nicht nur Herausgeber der Titanic, sondern arbeiten in verschiedenen Medien und Formaten wie dem ZDF Magazin Royale, haben ein Buch („Best of Sapiens“) und einen Fernsehfilm („Hallo Spencer - der Film“) geschrieben. Wie unterscheiden sich Ihre Herangehensweisen für unterschiedliche Plattformen, und welche Herausforderungen ergeben sich dabei?

Satire und Komik müssen sich immer des Umfelds bewusst sein, in dem sie erscheinen. Man muss wissen, wo man veröffentlicht. Ansonsten unterscheidet sich gesprochener Text von Schrifttext nur darin, dass man sich mit der Person arrangieren muss, die ihn präsentiert. Das gilt sogar dann, wenn man selbst der Präsentator ist.

In Zeiten von Fake News und Desinformation: Wie kann Satire dazu beitragen, Medienkompetenz zu fördern und das kritische Denken der Öffentlichkeit zu stärken?

Indem sie das hochhält, was ihr Kern ist: Kritik an dem, was herrscht, verpackt in Süßigkeiten. Wobei weder die Kritik noch die Verpackung stets hochwertig sein müssen; kluge Dummheit ist oft am unterhaltsamsten. Was aber immer wieder mühsame Arbeit bedeutet: herauszubekommen, was tatsächlich herrscht. Und sei es nur das gemeinsame Wissen, das im virtuellen oder realen Raum vorherrscht, den man bespielt. Das wird in Zeiten von Fake News und Desinformation, aber auch schon aufgrund der Fragmentierung der Informationsvermittlung durch individualisierte Nachrichten schwieriger. Satire erscheint manchen heute wie der bessere Journalismus, weil die Seriosität des Journalismus kompromittiert ist durch Eile, mangelnde Gegenkontrolle und (unternehmerische) Parteilichkeit. Seriöse Satiriker*innen geben diese Mühe aber nicht auf.

In vielen Ländern des globalen Südens sind Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Welche Rolle kann politische Satire in solchen Kontexten spielen?

Mit Satire kann man sagen, was ist, ohne zu sagen, was ist. Das ist sicherlich ein gutes Mittel, die Last der Unterdrückung zu mildern. Allerdings sagt meine Erfahrung: Satire kann Trost bieten, aber mit Satire verändert man wenig mehr als die Haltungen von ein paar Wenigen. Tatsächliche Veränderung verträgt sich nicht mit Ironie, jedenfalls nicht im Wesentlichen.

Wie beurteilen Sie die Lage der Presse- und Meinungsfreiheit in der westlichen Welt? 

Satire unterliegt in der sogenannten westlichen Welt dem, was in der Kritischen Theorie “repressive Toleranz” heißt: Sie ist geduldet, weil sie als Ausweis von Meinungsfreiheit gilt. Obendrein erschöpft sie sich in heiterer Kritik, die wenig bis gar nichts ändert, aber im besten Falle suggeriert, mit der Kritik sei schon etwas geändert. 

Problematisch – vor allem für sich selbst – wird Satire nur, wo sie an die Geschäftsgrundlage der Hand geht, die sie füttert. Deswegen kann der amerikanische Komiker Jon Stewart bei AppleTV nicht über Produktionsbedingungen in China reden, aber in der „Daily Show“. Doch möchte ich behaupten: Das wird sich auch noch ändern, wenn der auf fossilen Industrien basierende Kapitalismus in einen fossilen Faschismus übergegangen sein wird – wie es allen voran in den USA gerade probiert wird.

Angesichts globaler digitaler Vernetzung: Wie beeinflussen soziale Medien Ihre Arbeit, und welche Chancen und Gefahren sehen Sie dabei für Satiriker*innen und Journalist*innen weltweit?

Soziale Netzwerke sind Orte neuen Verständnisses und großer Missverständnisse. Man kann Perspektiven kennenlernen, die man in der Geschwindigkeit ohne soziale Netzwerke nie wahrgenommen hätte – und damit auch Klischees und Verinnerlichtes reflektieren. Da wirken soziale Netzwerke im besten Falle aufklärerisch. Denn gerade Komik arbeitet mit der Reproduktion von Ressentiments. Und wenn das potenzielle Publikum ein größeres und diverseres ist, muss man sich in seinen Methoden überprüfen. Die Gefahr dabei, wenn Komik Grenzen überschreitet, ist aber das kulturelle Missverständnis, das spätestens seit den Mohammed-Karikaturen und dem Anschlag auf Charlie Hebdo auch gewalttätig enden kann. Über gewisse Grenzen hinweg ist nicht immer vermittelbar, was eigentlich mit der uneigentlich auftretenden Komik gemeint ist, beziehungsweise gemeint sein könnte.

Tim Wolff ist ein deutscher Satiriker und Journalist.
euz.editor@dandc.eu 

Relevante Artikel