Klima
Unerforschte Tiefen
Der Klimawandel wird enorme Auswirkungen auf die Weltmeere haben. Darüber sind sich Meeresforscher einig. Doch selbst Wissenschaftler haben keine genaue Vorstellung davon, wie diese Veränderungen im Einzelnen aussehen werden. „Das Ökosystem Ozean ist so komplex, dass es sich nicht in einem Modell abbilden lässt“, sagt Michael Türkay. Der Professor leitet beim Forschungsinstitut Senckenberg die Abteilung Marine Zoologie. Deshalb ließen sich „in der Biologie viele Wirkungen erst im Nachhinein bewerten“.
Schon jetzt aber lassen sich Veränderungen beobachten. Weil das Wasser in der Nordsee wärmer geworden ist, weichen viele Nutzfische nach Norden aus. Das aber geht nicht endlos. Denn die Fische können nur so weit nach Norden auswandern, wie sie Nahrung finden. „Die Fischpopulationen werden also zusammengedrängt“, weiß Türkay. Weil nicht mehr genug Platz für alle ist, schrumpfen die Fischbestände.
„Insgesamt“, meint der Meeresbiologe, „gehen wir davon aus, dass es zur Globalisierung der Fauna kommt.“ „Die Wanderbewegungen führen dazu, dass die Arten sich stärker vermischen. Dadurch nimmt ihre Vielfalt ab, und das System wird anfälliger für Störungen.“ Denn dann gibt es im Zweifel keine ähnliche Tierart, die positiv auf eine Veränderung reagiert oder sich besser anpassen kann. Welche genauen Folgen das haben wird, weiß auch Türkay nicht: „Da tappen wir absolut im Dunklen.“ Dass sich so wenig vorhersagen lässt, liegt vor allem daran, dass die Forscher nicht wissen, wie die einzelnen Tierarten auf die Veränderungen reagieren werden.
Eine zentrale Rolle im Zusammenhang von Klima und Meer spielt Kohlendioxid (CO2). Jeden Tag nehmen die Weltmeere etwa ein Drittel dessen auf, was die Menschen an Kohlendioxid freisetzen, und die einzelligen Meeresalgen produzieren genauso viel Sauerstoff wie alle Regenwälder zusammen. Die Absorbtionsfähigkeit der Meere scheint jedoch zurückzugehen (siehe Interview auf S. 260).
Für die Produktion von Sauerstoff brauchen Algen nicht nur Wasser und CO2, sondern auch Nährstoffe wie Nitrat oder Phosphat. Und weil Algen so fleißige CO2-Verputzer sind, wird versucht, CO2 ins Wasser einzulagern. Durch die Zufuhr von Nährstoffen für die Algen soll deren Wachstum angekurbelt werden. Die Idee ist smart, doch bisher in der Praxis noch nicht erfolgreich.
Natürliche Nährstoffe sind aber vor allem in der Tiefsee vorhanden, von dort können nur Strömungen sie wieder an die Oberfläche spülen. Und die werden sich verändern, sobald sich das zwei Grad kalte Wasser der Tiefsee erwärmt.
Doch was im Einzelnen passiert, wenn sich wichtige Faktoren des Ökosystems ändern, also wenn etwa die Temperatur steigt oder ein Glied der Nahrungskette wegbricht, lässt sich nicht vorhersagen. Die meeresbiologischen Modelle können lediglich abstrakte Zusammenhänge des Ökosystems darstellen. Das liegt auch daran, dass man viel zu wenig über die Ozeane weiß. Dabei bedecken sie zwei Drittel der Oberfläche der Erde. Vor allem die Teile des Meeres, die tiefer als 1000 Meter sind, sind immer noch fast unerforscht. Dabei ist ihre Fläche doppelt so groß wie die aller Kontinente zusammen. „Von diesem riesigen Gebiet kennen wir aber nur etwa fünf Quadratkilometer im Detail“, sagt Türkay. Deshalb habe das deutsche Forschungsministerium inzwischen die Meeresforschung verstärkt.
Um diesen Fragen mehr Gewicht zu verleihen, trafen sich Regierungsvertreter von 80 Ländern im Mai erstmals zu einer Weltozeankonferenz, deren Abschlussdokument jedoch keine konkreten Beschlüsse beinhaltete. Indonesien, die Philippinen, Malaysia, Ost-Timor, die Solomonen und Papua-Neuguinea haben aber zumindest vereinbart, ihre Korallenriffe besser zu schützen und die Fischerei einzuschränken.
Claudia Isabel Rittel