Ressourcenkonflikte
Kann Indien Pakistan Wasser vorenthalten?
Am 23. April 2025 wurden bei einem Terroranschlag im indisch verwalteten Kaschmir 26 Menschen getötet und einige weitere verletzt. Nach diesem Vorfall verkündete Neu-Delhi seinen einseitigen Beschluss, das jahrzehntelange Wasserabkommen mit Pakistan auszusetzen, bis das Land „glaubhaft und unwiderruflich aufhört, grenzüberschreitenden Terrorismus zu unterstützen“. Pakistan bestritt vehement, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein, der die beiden Nationen an den Rand eines Krieges brachte.
Nach diesem Beschluss kündigten offizielle indische Stellen Pläne an, neue Wasserreservoirs an den drei westlichen Flüssen des Indus-Systems zu bauen. Dem Indus-Wasservertrag nach sind diese vor allem für eine Nutzung durch Pakistan vorgesehen. Fast 80 % der bewässerten Landwirtschaft Pakistans sind auf Wasser aus diesen Flüssen angewiesen. Indien hat zudem aufgehört, hydrologische Daten an Pakistan weiterzugeben, die wichtig sind für die Hochwasservorhersage, die Bewässerungsplanung, die Wasserkraft und die Verwaltung von Trinkwasser.
Pakistan erklärte daraufhin, es werde jeden Versuch, den Fluss seines Wasseranteils zu stoppen oder umzuleiten, als „kriegerische Handlung“ betrachten. Es wies darauf hin, dass das Abkommen „keine Bestimmung über eine einseitige Aussetzung enthält“. Bei einem Treffen am 24. April betonten Premierminister Shehbaz Sharif und sein Nationaler Sicherheitsausschuss, dass Wasser „eine Lebensader“ für die 240 Millionen Menschen in Pakistan sei und dass „seine Verfügbarkeit um jeden Preis gewährleistet wird“.
Pakistans geografische Verwundbarkeit
Der Indus ist ein wichtiger grenzüberschreitender Fluss. Er entspringt in Tibet und fließt durch die umkämpfte Kaschmir-Region, ehe er nach Pakistan gelangt und schließlich in das Arabische Meer mündet. Einige wichtige Nebenflüsse des Indus fließen aus Indien nach Pakistan.
Etwa 95 % der gesamten erneuerbaren Wasserressourcen Pakistans stammen aus dem Indusbecken oder dem Indussystem. „Diese hohe Abhängigkeit von einem einzigen Flusssystem bedeutet, dass die Wassersituation Pakistans relativ risikoreich ist“, heißt es auf Interactive Country Fiches, einer Online-Plattform, die Umweltprofile von Ländern bereitstellt. Wasser wird in Pakistan immer knapper; der Klimawandel wirkt sich auf die Gletscherschmelze und den Monsunregen aus, die das Flusssystem speisen. Bevölkerungswachstum und zunehmende Wirtschaftstätigkeit belasten die Ressourcen des Landes zusätzlich.
Laut Pakistans erstem Zweijahres-Fortschrittsbericht an die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) wurden 2022 insgesamt 93 % der Wasserressourcen des Landes für die Landwirtschaft genutzt. Die Landwirtschaft bildet das Rückgrat der pakistanischen Wirtschaft, trägt laut der jüngsten nationalen volkswirtschaftlichen Erhebung rund 24 % zum Bruttoinlandsprodukt bei und beschäftigt mehr als 37 % der erwerbstätigen Bevölkerung. Jegliche Unterbrechung des Wasserflusses würde diesen Sektor gefährden und die Ernährungsunsicherheit für das Land mit der fünftgrößten Bevölkerung der Welt erhöhen.
Der Indus-Wasservertrag
Als 1947 der indische Subkontinent nach der Unabhängigkeit von Großbritannien geteilt wurde, wurde auch das Indusbecken aufgeteilt. Der obere Flusslauf, also das flussaufwärts gelegene Flusssystem, gehörte nun zu Indien, der untere Flusslauf zu Pakistan. Nach mehr als einem Jahrzehnt der Uneinigkeit unterzeichneten die beiden Länder 1960 den von der Weltbank vermittelten Indus-Wasservertrag (Indus Waters Treaty – IWT). Gemäß diesem Vertrag hat Indien das Recht, die drei östlichen Flüsse des Indus-Systems – Ravi, Beas und Sutlej – zu nutzen, während Pakistan die Rechte an den drei westlichen Flüssen – Indus, Jhelum und Chenab – hat.
Als oberer Anrainerstaat darf Indien das Wasser der westlichen Flüsse auch für Wasserkraftprojekte und in begrenztem Umfang für Bewässerungszwecke nutzen, deren Lauf jedoch nicht in einer Weise umleiten, die Pakistan schadet. Indien ist zudem verpflichtet, hydrologische Daten mit seinem Nachbarland zu teilen.
Zudem enthält der IWT keine Bestimmung über eine einseitige Aussetzung durch eine der beiden Seiten. Der Vertrag kann nur im gegenseitigen Einvernehmen geändert werden.
Seit Inkrafttreten des IWT gibt es Streitigkeiten. So warf Pakistan Indien vor, Wasserkraft- und Wasserinfrastrukturprojekte zu bauen, die gegen die Bestimmungen des Vertrags verstoßen. Trotz aller Widrigkeiten hat das IWT alle bisherigen Konflikte zwischen den beiden atomar bewaffneten Rivalen überstanden. Bis heute.
Folgen der Aussetzung des IWT
Praktisch gesehen dürfte Indiens Entscheidung Pakistan – zumindest kurzfristig – nicht allzu sehr schaden. Laut Fachleuten für Wasserwirtschaft hat Indien tatsächlich nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Wasser, das nach Pakistan fließt, zu stoppen oder umzuleiten.
Zwar schränkte Indien im Mai den Wasserfluss aus seinen Baglihar- und Salal-Staudämmen am Chenab ein – einem der Flüsse, an denen Pakistan Rechte hat; die Bewohner*innen flussabwärts konnten zum ersten Mal seit Langem auf dem Flussbett spazieren gehen. Das führte zu einer Beeinträchtigung des Anbaus von wichtigen Nutzpflanzen wie Reis, Zuckerrohr, Mais und Baumwolle in Pakistans Punjab. Gemäß dem IWT hätte Indien Pakistan informieren müssen, ehe es den Wasserfluss so drastisch veränderte.
Allerdings kann keiner dieser Staudämme große Wassermengen langfristig speichern. Mohsin Leghari, ehemaliger Minister für Bewässerung der bevölkerungsreichen pakistanischen Provinz Punjab, sagte, Indien nutze weniger Wasserspeicherkapazitäten an den westlichen Flüssen, als vertraglich möglich wäre. „Indien hat in den 65 Jahren seit Unterzeichnung des Abkommens bisher nicht einmal die Schwelle seiner zulässigen Wasserspeicherkapazität erreicht“, sagte er. Geografische Zwänge und unerschwingliche Kosten hinderten Indien daran, weitere Dämme und Kanäle zu bauen. „Es ist auch ein zeitaufwändiger Prozess“, betonte er.
Hassan Abbas, Experte für Hydrologie und Wasserressourcen, stimmt zu, dass Indien bereits so viel Infrastruktur gebaut und so viel Wasser umgeleitet hat, wie es seine Kapazitäten und die Gegebenheiten vor Ort zulassen. Seiner Meinung nach war das IWT für Pakistan allerdings nie ideal. Er sieht die Aussetzung des Abkommens durch Indien als Chance, beispielsweise das Problem der Verschmutzung flussaufwärts anzugehen. Davor biete der Vertrag keinen ausreichenden Schutz.
Leghari hält den Vertrag jedoch für erhaltenswert. Er bezeichnet ihn als „rechtlichen und diplomatischen Eckpfeiler, nicht nur für Südasien, sondern für die globale Wasserpolitik“. Er weist darauf hin, dass die Aussetzung durch Indien einen gefährlichen Präzedenzfall schaffe: Schließlich ist Indien selbst von Flüssen abhängig, die in China entspringen, und weltweit gibt es Hunderte von grenzüberschreitenden Flüssen, deren Nutzung durch ähnliche Abkommen geregelt ist. Diese Abkommen zu beenden, würde die sichere Wasserversorgung von Ländern wie Pakistan gefährden, die bereits jetzt mit Wasserknappheit zu kämpfen haben.
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Interactive Country Fiches, Pakistan
Imran Mukhtar ist ein Journalist aus Islamabad, Pakistan.
imranmukhtar@live.com