Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Globale Herausforderungen

Gemeinsames Ziel – geteilte Verantwortung

Bundesminister Gerd Müller erörtert Herausforderungen und Chancen für die Klimapolitik und die Entwicklungszusammenarbeit. Die Zeit drängt: 2015 ist aus seiner Sicht ein Entscheidungsjahr für die Zukunft der Menschheit.
Mais ist ein Grundnahrungsmittel in Afrika – wegen des Treibhauseffekts werden die Anbauflächen aber voraussichtlich zurückgehen: Landfrau in Burkina Faso. Giling/Lineair Mais ist ein Grundnahrungsmittel in Afrika – wegen des Treibhauseffekts werden die Anbauflächen aber voraussichtlich zurückgehen: Landfrau in Burkina Faso.

Meine ersten Gespräche im Ausland habe ich in Indien geführt. Mit einer Bevölkerung von mehr als einer Milliarde Menschen und seiner rasanten Wirtschaftsentwicklung gehört Indien bereits heute zu den größten Kohlendioxidemittenten der Welt. Indiens Politik hat direkten Einfluss auf die Entwicklung des Weltklimas. Deswegen verfolgen wir mit Indien ein gemeinsames Ziel: Klimaschutz. Dabei arbeiten wir partnerschaftlich zusammen. Gemeinsam mit dem indischen Finanzminister habe ich Anfang Februar zwei Abkommen über Kredite in Höhe von knapp 900 Millionen Euro unterzeichnet. Mit einem Teil dieser Zusage wird Indien Strom aus erneuerbaren Energien in das nationale Verbundnetz einspeisen. Mit deutscher Unterstützung werden in Indien „grüne Energiekorridore" entstehen.

Diesem Beispiel müssen noch viele folgen. Denn: Wir stehen vor einer gewaltigen Zukunftsaufgabe: Wir wollen ein Ende von Armut und Hunger weltweit, zugleich müssen wir die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten – die Schöpfung – bewahren. Es geht um globale Überlebensfragen der Menschheit. Entwicklungspolitik muss darauf Antworten haben. Zentral wird sein, ob es uns gelingen wird, den Klimawandel aufzuhalten und uns darauf einzustellen. Denn dieser führt nicht nur zu neuer Armut und Verwundbarkeit, sondern kann Jahrzehnte von Entwicklungserfolgen in unseren Partnerländern zunichtemachen. Dies belegt die steigende Zahl von immer heftigeren Stürmen, Dürren und Jahrhundertfluten. Naturkatastrophen, die uns und andere Regionen früher im Abstand von hundert Jahren heimgesucht haben, wiederholen sich inzwischen mehrfach im Jahrzehnt. Die vorher nicht gekannte Stärke des Taifuns Haiyan auf den Philippinen im November 2013 hat uns allen erschreckend vor Augen geführt: Hier geht es nicht um ein abstraktes Szenario besorgter Wissenschaftler, sondern um unsere Gegenwart und die Zukunft unserer Kinder.

 

Entwicklungsländer ­besonders betroffen

Entwicklungsländer sind am stärksten vom Klimawandel betroffen, vor allem Gebiete in Subsahara-Afrika, kleine Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries). Sie hängen entscheidend von der Landwirtschaft ab, wo sich Klimaveränderungen besonders stark bemerkbar machen. Zugleich fehlt es ihnen an Kapazitäten, um sich an diese Veränderungen anzupassen. Sie benötigen unsere finanzielle, technologische und logistische Unterstützung, um sich auf die Auswirkungen des Klimawandels einzustellen.

Was mich besonders besorgt, sind die Folgen, die die globale Erderwärmung auf die Ernährungssicherung hat. Diese Situation verschärft sich in Regionen mit rasantem Bevölkerungswachstum. Arme und ohnehin von Hunger bedrohte Bevölkerungsgruppen sind die Hauptleidtragenden – in Subsahara-Afrika betrifft das etwa ein Viertel der Bevölkerung. Die Weltbank schätzt, dass bei 1,5 Grad Klimaerwärmung bis 2030 die Anbaufläche von Mais, dem Hauptnahrungsmittel in weiten Teilen Afrikas, um vierzig Prozent zurückgehen wird. Ähnliches gilt für Sorghum-Hirse. Auch wenn die Temperatur bis 2050 um weniger als zwei Grad steigen sollte, würden die landwirtschaft­lichen Gesamterträge in Subsahara-Afrika um 15 bis 20 Prozent sinken. Es könnte aber noch weitaus dramatischer werden, wenn wir uns Berechnungen der Weltbank in ihrem Bericht „Turn down the Heat" (2013) anschauen. Demnach wird sich die Erde in zwanzig bis dreißig Jahren um zwei Grad, bis zum Ende des Jahrhunderts sogar um vier Grad erwärmen.

Ein stabiles Klima auf unserem Planeten geht uns alle an! Die Einteilung in Arm und Reich, in Nehmer und Geber bringt uns nicht mehr weiter. Längst sitzen wir in einem Boot und müssen gemeinsame Lösungswege suchen. Wenn die Millenniumsziele der Vereinten Nationen im kommenden Jahr auslaufen, müssen wir als Weltgemeinschaft den Blick auf den Planeten als Ganzen richten.

Das Jahr 2015 ist dabei entscheidend: Die Staatengemeinschaft muss sich im kommenden Jahr auf einen neuen, globalen und universell gültigen Zielkatalog einigen, der die bisherigen Millennium Development Goals ablöst und Entwicklungs- mit Nachhaltigkeitszielen verknüpft. Denn beides gehört zusammen.

Gleichzeitig brauchen wir für den Klimaschutz ein Abkommen, das – anders als das Kyoto-Protokoll – alle Industrie- und Entwicklungsländer in die Pflicht nimmt. Ende 2015 soll ein neues Klimaabkommen verabschiedet werden mit dem (noch weit entfernten) Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf unter zwei Grad zu begrenzen.

Beide Politikprozesse - globaler Zielkatalog hier, Klimaabkommen dort - werden zwar getrennt voneinander geführt, sie müssen sich jedoch ergänzen und sich gegenseitig Schubkraft verleihen. Dafür werde ich mich einsetzen, nicht zuletzt deswegen, weil Deutschland 2015 die G8-Präsidentschaft übernimmt und deshalb eine besondere Verantwortung trägt.

Als reiches Industrieland haben wir in Deutschland aber nicht nur eine moralisch-ethische Verpflichtung, sondern auch ein Eigeninteresse und die Kapazitäten, in diesem Prozess eine Vorreiterrolle einzunehmen. Deutschland hat hochtechnologische Lösungen in der Energie- und Umwelttechnik zu bieten. Deshalb sind wir jetzt gefordert zu beweisen, dass gerade uns die Energiewende gelingt. Meine Gesprächspartner, zuletzt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, haben hier große Erwartungen an uns.

 

Deutsche Beiträge

Im Bereich Anpassung an den Klimawandel geht es unter anderem darum, die nationale Entwicklungsplanung und die Katastrophenvorsorge eines Landes auf veränderte Klimaverhältnisse einzustellen. So unterstützen wir beispielsweise Äthiopien bei seiner Politik für eine klima-resiliente grüne Wirtschaft. Das Land, das den Klimawandel bereits deutlich zu spüren bekommt, hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 CO2-neutral zu werden.Bei der Anpassung von Ökosystemen fördern wir unter anderem nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken, den Ausbau von Schutzgebieten und die nachhaltige Nutzung ihrer Randzonen, den Erhalt von Mangroven oder den Schutz von Wassereinzugsgebieten. Auch Investitionen in die Absicherung besonders anfälliger Infrastrukturbereiche – Küsten- und Uferschutz oder Stadtentwicklung – sind wichtige Förderbereiche.

Neben Schulung von Fachpersonal geht es immer wieder um Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Beispiel Marokko: Die Energieversorgung hängt hier zu rund 95 Prozent von Importen fossiler Brennstoffe ab, obwohl das Land über einige der weltweit besten Solar- und Windkraftstandorte verfügt. Bei der Erschließung dieser Potenziale haben wir bislang zinsverbilligte Darlehen und Zuschüsse für Solarstromprojekte in Höhe von etwa 800 Millionen Euro gewährt. Mit unserer Unterstützung entsteht in der marokkanischen Wüste das größte Solarkraftwerk der Welt.

Multilaterale Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland ist drittgrößter Geber bei der Globalen Umweltfazilität (GEF) und unterstützt den Klimainvestitionsfonds bei der Weltbank mit einem Beitrag von 550 Millionen Euro. Der Klimainvestitionsfonds dient der Überbrückung so lange, bis der „Grüne Klimafonds" (GCF) – ein zentrales Instrument der zukünftigen multilateralen Klimafinanzierung – konkrete Programme und Projekte fördern kann.

Zusammenarbeit mit der Wirtschaft: Öffentliche Finanzierungen allein werden nicht ausreichen, um den umfassenden Bedarf an Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung zu decken. Ein wichtiger Schlüssel für erfolgreiche Klimapolitik wird darin liegen, zusätzlich auch private Finanzflüsse in Richtung nachhaltiger, klimafreundlicher Investitionen zu lenken. Öffentliche Klimafinanzierung kann hier Anreize setzen, um Marktentwicklungen zu befördern und Rahmenbedingungen zu verbessern. Zahlreiche erfolgreiche Projekte aus unserem Programm develoPPP.de zeigen, wie groß dieses Potenzial ist, beispielsweise wenn im Senegal ländliche Gemeinden mit Strom aus dem „Abfallprodukt" Erdnussschalen versorgt werden.

 

Zukunftsaufgaben

Die Industrieländer haben auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen (2009) zugesagt, die Entwicklungsländer bei einer emissionsarmen und klimaangepassten Entwicklung ab 2020 mit 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen zu unterstützen. Die Bundesregierung steht zu dieser Verpflichtung. Seit 2005 haben wir unsere Klimafinanzierung von 471 Millionen Euro auf etwa 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2013 knapp vervierfacht!

Erfolgreich werden wir als Weltgemeinschaft jedoch nur dann sein, wenn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer mit an Bord sind. Denn sie sind nicht nur vom Klimawandel betroffen, sondern schon jetzt für etwa zwei Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Schon in den nächsten Jahren werden die Emissionen der Entwicklungs- und Schwellenländer, die sich seit Beginn des industriellen Zeitalters angesammelt haben, diejenigen der Industrieländer übersteigen. Ohne Schwellenländer wie Indien, China oder Brasilien werden wir die internationalen Klimaziele nicht erreichen. Beim Schutz des weltweiten Klimas sind diese Länder deswegen unsere wichtigsten Partner.Gleichzeitig wissen wir, dass nur mit weiteren wirtschaftlichen Fortschritten Armutsbekämpfung gelingen kann. Dies darf aber nicht heißen, dass die Entwicklungsländer die Fehler der Industrieländer wiederholen – gerade im Hinblick auf ressourcenschädigende Konsummuster und Verhaltensweisen. Wir können und müssen unsere Partner unterstützen, einen verantwortlichen und nachhaltigen Wachstumspfad einzuschlagen. Dazu gehören neue Lösungen, die wir anbieten können, aber genauso wichtig ist es, dass wir auch bei uns zu Hause glaubwürdig handeln. Nachhaltigkeit beginnt bei uns selbst. Auch wir müssen unseren Wachstumsbegriff fortentwickeln. Mein Leitbild ist deshalb eine ökologisch und sozial ausgerichtete Marktwirtschaft.

Für mich ist ganz klar, dass der Markt und die Macht weltweit Grenzen benötigen – soziale und ökologische. Dazu müssen wir bei uns in den Industrienationen aber auch ein neues globales Verantwortungsethos entwickeln. Es kann nicht sein, dass 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Wir können also nicht mit dem Finger zuerst auf die Schwellen- und Entwicklungsländer zeigen, sondern müssen zunächst einmal unserer Verantwortung gerecht werden. Nur dann können wir glaubhaft mit unseren Partnern in den Entwicklungsländern auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Wenn uns das gelingt, wird sich zeigen, dass Klimapolitik eine enorme Win-win-Situation für Entwicklungspolitik ist. Gerade habe ich bei meinem Antrittsbesuch bei der Afrikanischen Union über neue Leuchtturmprojekte im Bereich der Green Economy und der Landwirtschaft gesprochen. Grüne Wertschöpfungsketten schützen das Klima, sichern die Ernährung und schaffen Arbeitsplätze. In zehn grünen Zentren werden wir nachhaltiges Wirtschaften in der Landwirtschaft unter Beweis stellen. Das ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherung, sondern auch zum Klimaschutz. Das BMZ wird damit seiner Verantwortung als globales Zukunftsministerium gerecht, und ich darf alle unsere Mitstreiterinnen und Mitstreiter einladen, Klimapolitik als Entwicklungspolitik im besten Sinne zu verstehen und entsprechend um­zusetzen.

 

Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de