Unsere Sicht

Waithood – Jugend ohne Ende?

Jungen Menschen gehört die Zukunft. Sie müssen befähigt werden, diese Verantwortung wahrzunehmen. Oft fehlen ihnen jedoch Perspektiven. Dass sie ihr Schicksal vielerorts selbst in die Hand nehmen, macht Hoffnung.
Junge Frauen zeigen ihre markierten Finger als Zeichen ihrer Teilnahme an den indischen Parlamentswahlen im Juni. picture-alliance/Sipa USA/Hindustan Times Junge Frauen zeigen ihre markierten Finger als Zeichen ihrer Teilnahme an den indischen Parlamentswahlen im Juni.

Die UN definiert Menschen zwischen 15 und 24 Jahren als Jugendliche. In sehr vielen Ländern zählt eine Person jedoch wesentlich länger zur Jugend, teilweise bis weit jenseits der dreißig.

Das hat sozioökonomische Gründe. Selbst in Gesellschaften, in denen von jungen Menschen schnell Unabhängigkeit erwartet wird, scheitert diese an mangelndem Zugang zu guter Bildung und Ausbildung, fehlenden Netzwerken, wenig politischem Mitspracherecht und übervollen Arbeitsmärkten.

Daraus resultiert, dass es ihnen nicht gelingt, sich „Attribute des Erwachsenseins“ anzueignen. Dazu gehören laut der mosambikanischen Ethnologin Alcinda Honwana Dinge wie eine eigene Unterkunft, eine Arbeitsstelle, die Gründung einer Familie und die Fähigkeit, Verwandte finanziell zu unterstützen.

Waiting for adulthood

„Waithood“ heißt die verlängerte Jugendphase in der Ethnologie. Das steht für „waiting for adulthood“ und ist besonders in Afrika – mit einem Durchschnittsalter von rund 19 Jahren der demographisch jüngste Kontinent – wichtig. Aber nicht nur dort stehen Massen gut ausgebildeter junger Menschen auf umkämpften Arbeitsmärkten in harter Konkurrenz. Es ist keine Seltenheit, dass ein Einunddreißigjähriger mit abgeschlossenem Wirtschaftsstudium in Lucknow oder Lagos bei seiner Familie in beengten Verhältnissen wohnt und seinen Lebensunterhalt mit informellen Dienstleistungen verdient – etwa im Straßenhandel.

Viele junge Menschen wollen ihre „waithood“ aber nicht geduldig aussitzen. Sie waren schon immer treibende Kraft in Protestbewegungen. Ob Arabischer Frühling, Occupy-Proteste nach der Weltfinanzkrise von 2008, Black Lives Matter oder Fidays for Future – unzufriedene Jugendliche verschaffen sich immer wieder international Gehör.

Was für eine Machtdynamik sie auslösen können, erlebt Kenia gerade. Die Protestbewegung, die sich am letzten Haushaltsentwurf der Regierung William Rutos entzündet hat, hat mittlerweile zur Absetzung des gesamten Kabinetts geführt.

Inspiriert davon, organisieren sich nun auch in Ghana, Malawi und Nigeria Proteste. Und dass Senegals ehemaliger Präsident Macky Sall im Vorfeld der diesjährigen Wahlen zurückruderte und die Neuwahlen nicht noch weiter behinderte, ist ebenfalls nicht zuletzt wütenden jungen Menschen zu verdanken.

Radikalisierung

Gleichzeitig gibt es besorgniserregende Tendenzen. Bei der Europawahl legten rechtspopulistische Parteien unter den 16- bis 24-Jährigen zu. Nicht nur sie, sondern auch radikale islamistische Gruppen nutzen gezielt soziale Medien, um Jugendliche zu erreichen. Sie nutzen aus, dass persönliche Unsicherheit und die Suche nach Zugehörigkeit und Identität zu dieser Lebensphase gehören.

Um zu verhindern, dass Jugendliche darauf hereinfallen, müssen demokratische Parteien und Regierungen bessere Angebote machen. Bildung muss nicht nur zugänglich sein, sondern auch qualitativ hochwertig. Das schließt politische Bildung und Medienkompetenz ebenso mit ein wie Sexualerziehung. Auf formale Abschlüsse müssen dann echte Chancen auf gute Arbeitsplätze folgen.

Und schließlich müssen Jugendliche stärker als bisher an politischen Entscheidungen mitwirken. Sie müssen auch in Zukunft auf diesem Planeten leben. Das auch in Deutschland beobachtbare Muster, dass Klimapolitik immer wieder zurückgeschraubt wird, wenn Mittel knapp und Entscheidungen unbequem sind, verdüstert die Zukunftsaussichten junger Menschen weltweit.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
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