Female empowerment
Was Sansibars Gewürze mit Gendergerechtigkeit zu tun haben
Fast jeden Morgen geht Fatma Ismail Haji durch die Mangrovensümpfe an der Küste des Indischen Ozeans zu ihrem Gewürzgarten. Mit einem gebogenen Messer und einem Korb in der Hand erntet die 43-jährige Gewürzbäuerin von der Insel Pemba vor der Küste Tansanias Zimtrinde.
„Man muss sehr vorsichtig sein, um die innere Schicht der Rinde, die das Zimtaroma enthält, nicht zu beschädigen“, sagt Haji. Zurück in ihrem Haus in Makoongwe beginnt Haji mit dem Reifungsprozess, bei dem sie den Zimt in der Sonne trocknet, sortiert, rollt und mahlt, bevor er verkauft wird.
Ein Teil der Zimtrinde wird zu einem feinen Pulver verarbeitet, das ihr Aroma konserviert. Für jedes verkaufte Kilogramm des Pulvers bekommt Haji etwa vier Dollar. „Die Nachfrage ist hoch, und wir haben Kundschaft aus der ganzen Welt“, sagt sie.
Pemba ist politisch Teil des halbautonomen Staates Sansibar. Muskatnuss, Zimt, Kardamom, schwarzer Pfeffer und Nelken sind die beliebtesten Gewürze, die auf den Inseln des Sansibar-Archipels angebaut werden.
Haji gehört zu einer Frauenkooperative auf dem Archipel. In der konservativen, muslimisch geprägten Gesellschaft Sansibars haben tief verwurzelte kulturelle Normen die Möglichkeiten von Frauen, zu arbeiten und ein unabhängiges Einkommen zu erzielen, lange Zeit eingeschränkt. Frauen wurden meist auf häusliche Arbeit und Kinderbetreuung beschränkt. Heute jedoch wollen immer mehr Frauen in Sansibar ein angemessenes Einkommen generieren und ihre Lebenssituation verbessern.
Nicht nur Souvenirs
Das heißt auch, dass sie den Gewürzanbau mit einem anderen wichtigen Wirtschaftszweig der Inseln kombinieren. Viele Frauen sind nicht mehr nur Gewürzbäuerinnen, sondern auch Tourguides. Der Tourismus trägt schätzungsweise 27 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Sansibars bei, generiert rund 80 Prozent der Deviseneinnahmen und schafft etwa 60 000 Arbeitsplätze. Sansibar ist bekannt für seine natürlichen Strände, sein Kulturerbe und sein faszinierendes Leben unter Wasser.
Gleichzeitig trägt der Archipel den Namen „Gewürzinseln“. Dabei sind jene Gewürze nicht mehr nur beliebte Mitbringsel. Der weltweite Trend geht zu Urlauben, bei denen authentische Erlebnisse vor Ort ein wichtiger Teil der Reise sind.
Davon profitieren die Gewürzbäuerinnen Sansibars. Geführte Touren bieten Gästen Einblicke in das landwirtschaftliche Erbe der Inseln und den Anbau der aromatischen Gewürze.
Das Geschäft ist von großer ökonomischer und kultureller Bedeutung. Es fördert nachhaltige Entwicklung, stärkt lokale Gemeinden und bewahrt traditionelle Anbaumethoden. Tourist*innen, die Gewürzmärkte und -gärten besuchen, bereichern ihre eigenen Erfahrungen – und die lokale Wirtschaft.
Eine Chance für Frauen
Viele der Gewürze wurden im 8. Jahrhundert von persischen Händlern und später aus Portugal und China nach Sansibar gebracht. Das Klima und das fruchtbare Land der Inseln waren ideal.
Bis heute bildet der Gewürzanbau eine Lebensgrundlage, insbesondere für Kleinbäuerinnen. „Meine Familie hatte Mühe, über die Runden zu kommen. Aber seit ich Gewürze anbaue und Touren anbiete, hat sich alles geändert. Ich verdiene genug Geld, um meine Familie zu ernähren, und kann mit Stolz sagen, dass ich nicht nur überlebe, sondern gut dastehe“, erklärt Haji.
„Es ist sehr sinnvoll, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen arbeiten und Essen auf den Tisch bringen“, sagt Amina Hassan Jamal, die ebenfalls als Gewürzbäuerin und Tourguide arbeitet. Mit ihrem neuen Einkommen kann sie ihre Familie gesünder ernähren und ihren Kindern eine Ausbildung sowie bessere medizinische Versorgung ermöglichen. „Der Einstieg in das Gewürzgeschäft war die beste Entscheidung überhaupt. Ich zähle das Geld jeden Tag“, sagt Jamal.
Dennoch gibt es immer noch Herausforderungen für die Gewürzbäuerinnen. Soziale, ökonomische und politische Rechte für Frauen sind in der Verfassung Sansibars verankert, aber Frauenrechtsorganisationen zufolge haben Frauen tendenziell weniger Grundbesitzrechte als Männer. Ihr Anspruch auf Land ist oft indirekt und unsicher, da sie nur selten eigenständig Grund erwerben.
In einer Gesellschaft, in der noch immer patriarchale Normen dominieren, werden Frauen an der vollen wirtschaftlichen Teilhabe gehindert. Diskriminierende Grundbesitzregelungen, beschränkte Kreditmöglichkeiten und ungleicher Zugang zu Ressourcen bremsen ihren Fortschritt.
„Einige Männer in unserer Gesellschaft sehen Frauen immer noch als minderwertig an“, beklagt Haji. „Sie denken, wir gehören in die Küche und nicht auf das Feld. Aber wir beweisen ihnen das Gegenteil.“
Klimaresistentes Geschäft
Neben seiner ermächtigenden Rolle für Frauen hat der Gewürzanbau auf den Inseln einen weiteren Vorteil. Während die Landwirtschaft Sansibars insgesamt zunehmend von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen ist, ist der Gewürzanbau widerstandsfähiger gegenüber extremen Wetterbedingungen. Gewürze wie Nelken, Muskatnuss und Zimt sind bemerkenswert resistent gegen Temperaturschwankungen und unregelmäßige Regenfälle.
Die Pflanzen haben sich über die Jahrhunderte an das einzigartige Mikroklima Sansibars angepasst. Ihre tiefen Wurzelsysteme können in Dürreperioden auf das Grundwasser zurückgreifen, und ihre robusten Strukturen halten starkem Wind und Regen stand. Außerdem verfügen Gewürzpflanzen oft über natürliche Abwehrkräfte gegen Schädlinge und Krankheiten, die sich durch den Klimawandel ausbreiten und anfälligere Pflanzen zerstören. Die Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln wie Mais und Reis leidet unter erhöhter Anfälligkeit für Wetterextreme und geringeren Erträgen, was die zentrale Rolle des Gewürzanbaus für den Erhalt der Agrarproduktivität Sansibars in Zeiten der Klimakrise verdeutlicht.
Abdalla Mohammed Juma, Direktor der Tourismusabteilung des sansibarischen Ministeriums für Tourismus und Kulturerbe, betont die dreifache Bedeutung des Gewürzanbaus für den Tourismus in Sansibar, die Stärkung von Frauen und die Landwirtschaft der Inseln.
„Durch das Züchten verschiedener Pflanzen und die Nutzung nachhaltiger Anbaumethoden unterstützen die Gewürzbäuerinnen ihre Familien, gewinnen an Unabhängigkeit, tragen zum wirtschaftlichen Aufschwung bei – und sie helfen, Sansibar zu einem attraktiven Reiseziel mit vielfältigen Aktivitäten zu machen.“
Auf ihren Touren präsentieren Haji und andere Frauen die reiche Welt der Gewürze Sansibars und erklären Details von der Vanillebestäubung bis zur Farbwirkung des roten Lippenstiftbaums. Die Besucher*innen lernen den gesamten Anbauprozess von der Aussaat bis zur Ernte der Gewürze sowie die vielfältige Verwendung der Pflanzen kennen.
Außerdem können sie traditionelle Gerichte, wie zum Beispiel Pilaw-Reis, probieren, die mit frisch geernteten Gewürzen zubereitet werden. Neben der kulinarischen Verwendung der Gewürze geht es bei den Führungen auch um deren medizinische Eigenschaften und ihren Einsatz als Heilmittel in der traditionellen Medizin. Die Teilnehmer*innen lernen die Wirkung von Nelken bei Zahnschmerzen und Muskatnuss bei Schlaflosigkeit kennen.
Nicht zuletzt, weil es ihre Einkommensquelle ist, engagieren sich die sansibarischen Gewürzbäuerinnen für den Erhalt ihrer Umwelt. Durch organische Anbaumethoden und Naturschutzmaßnahmen helfen sie, die empfindlichen Ökosysteme der Inseln zu erhalten. So vermeiden sie die Nutzung von chemischen Pestiziden. Stattdessen wenden sie natürliche Methoden zur Schädlingsbekämpfung an, wie etwa Nützlinge, die Schädlinge jagen, oder biologische Pflanzenschutzmittel. Zudem nutzen die Bäuerinnen Kompost, Tier- und Gründünger (Pflanzen, die wieder in den Boden eingepflügt werden), um den Boden auf natürliche Weise anzureichern. Dies verbessert seine Fruchtbarkeit und Struktur, fördert ein gesundes Pflanzenwachstum und erhöht die Widerstandsfähigkeit des Ökosystems.
Um die Auslaugung des Bodens zu verhindern und das Schädlings- und Krankheitsrisiko zu verringern, setzen die Landwirtinnen außerdem auf die Fruchtfolge. Dabei werden auf einem Stück Land saisonal wechselnde Pflanzen angebaut. Durch den parallelen Anbau verschiedener Gewürze und Pflanzen schaffen die Bäuerinnen ein ausgewogeneres und nachhaltigeres Agrarsystem. Dies minimiert auch das Risiko von Ernteausfällen.
Außerdem sorgen die Bäuerinnen dafür, dass der Anbau selbst die Umwelt nicht schädigt. Dazu gehören die Festlegung von Quoten und die zeitliche Abstimmung der Ernten, um eine natürliche Regeneration zu ermöglichen.
Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass der Tourismus selbst Sansibar vor erhebliche ökologische Herausforderungen stellt. So wichtig die Branche für die Inseln ist, so gefährlich kann sie für die empfindlichen Ökosysteme werden, wenn zugunsten von Massentourismus nicht auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Analysen zeigen, dass der Zustrom von Tourist*innen zur Erschöpfung natürlicher Ressourcen, Umweltverschmutzung und Zerstörung empfindlicher Lebensräume wie etwa Korallenriffen führen kann. Dies verschärft die klimabedingten Anfälligkeiten, mit denen Sansibar bereits konfrontiert ist, wie steigende Meeresspiegel und häufiger werdende Extremwetterereignisse.
Tourismus ist entscheidend für das Wirtschaftswachstum der Inseln. Genauso wichtig ist es jedoch, nachhaltigen Tourismus zur Norm zu machen, um die langfristige Gesundheit der Ökosysteme Sansibars zu sichern. „Unsere Zukunft hängt davon ab, wie wir unsere Umwelt schützen“, sagt Haji.
Kizito Makoye ist ein Umweltjournalist aus Tansania.
kizmakoye@gmail.com