Küstengemeinden

Nachhaltige Schwämme

Frauen aus Sansibar bauen klimaresistente Schwämme im Indischen Ozean an. Sie diversifizieren so die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Gemeinden und erschließen eine nachhaltige Einkommensquelle. In Meeresökosystemen weltweit spielen Schwämme eine wichtige Rolle beim Schutz der biologischen Vielfalt, auch vor der globalen Erhitzung.
Nasir Haji inspiziert ihre Schwammfarm. Kizito Makoye Nasir Haji inspiziert ihre Schwammfarm.

An der Küste von Jambiani in Sansibar ist Hindu Rajabu auf dem Weg zu ihrer schwimmenden Schwammfarm. Sie watet mit Taucherbrille und Schnorchel auf dem Kopftuch ins Meer. Wenn das Wasser ansteigt, taucht sie zu den Bojen, die die Schwammfarm an ihrem Platz halten.

Rajabu ist 31 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Die Suche nach Einkommensquellen hat sie und andere geschiedene Frauen und alleinerziehende Mütter in Sansibar in die Tiefen des Indischen Ozeans geführt. Dort züchten sie klimaresistente Schwämme.

Sansibar, ein Archipel vor der Küste Tansanias, steht vor mehreren Herausforderungen für seine Ökosysteme und Lebensgrundlagen. Wie viele Küstengemeinden weltweit leiden auch diese Inseln unter globaler Erhitzung und steigendem Meeresspiegel. Das führt unter anderem zu Küstenerosion. Häuser, Infrastruktur und Ackerland sind gefährdet. In niedrig gelegenen Gebieten verunreinigt Salzwasser die Süßwasserquellen und beeinträchtigt Trinkwasserversorgung und landwirtschaftliche Produktivität.

Die Erhitzung der Ozeane hat auch Folgen für die marinen Ökosysteme, inklusive der Korallenriffe und Fischbestände. Mit dem Anstieg der Meerestemperaturen hängt das Phänomen der Korallenbleiche zusammen, die viele Meereslebewesen, die auf diese Ökosysteme angewiesen sind, ernsthaft bedroht. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Fischereiwirtschaft und die Ernährungssicherheit in der Region.

Hinzu kommt, dass extreme Wetterereignisse wie Wirbelstürme immer häufiger auftreten, die Sachschäden verursachen und Existenzen zerstören.

Schwammzucht hilft bei der Bewältigung einiger dieser Herausforderungen. Schwämme als Meeresorganismen tragen zu Gesundheit und Erhalt von Korallenriffen und des gesamten marinen Ökosystems bei und dienen vielen Arten als Lebensraum. Zudem fördern sie den Erhalt der Biodiversität.

Schwämme sind auch eine alternative und nachhaltige Einkommensquelle für die lokalen Gemeinden. Traditionell leben die Menschen auf Sansibar meist von Fischerei und Tourismus. Umweltbelastungen können beides gefährden. Schwammzucht diversifiziert die Wirtschaft und mindert den Druck auf die natürlichen Ressourcen. Vor allem gesunde Korallenriffe sind wichtig für Fischerei, Tourismus und den Schutz der Küste vor Erosion.

Forscher haben mehr als 15  000 Schwammarten identifiziert. Sie existieren wohl seit über 600 Millionen Jahren und waren womöglich die ersten Tiere auf Erden. Schwämme vertragen wärmere Temperaturen, filtern Verunreinigungen aus dem Wasser und verringern so die Verschmutzung der Meere. Eine in der Fachzeitschrift Microbiology and Molecular Biology Reviews veröffentlichte Studie belegt, dass an einem einzigen Tag bis zu 24  000 Liter Meerwasser durch einen ein Kilogramm schweren Schwamm gepumpt werden können.

Schwämme werden zum Baden und Putzen genutzt. Naturschwämme sind die umweltfreundliche Alternative zu synthetischen Schwämmen, die Mikroplastik enthalten und somit die Unterwasserwelt gefährden.

Die Forschung hat auch gezeigt, dass die Lebewesen eine Rolle bei der Bekämpfung der Klimakrise spielen. Schwämme lösen jährlich rund 48 Millionen Tonnen Silizium auf, weil ihre Skelette in mikroskopisch kleine Teile des Elements zerfallen. Expert*innen zufolge hilft das gelöste Silizium, den Kohlenstoffkreislauf im Ozean zu steuern und den Treibhauseffekt zu mindern.

Schrumpfende Algenindustrie

Bei Erreichen der Bojen untersucht Rajabu die Schwämme, die auf einem dicken Polyäthylenseil schwimmen. Mit einem Messer entfernt sie Bakterien vom Seil. „Es sind empfindliche Tiere, ich bin sehr vorsichtig“, sagt sie. Zum Schutz vor höheren Temperaturen sorgt Rajabu dafür, dass die Schwämme immer unter Wasser sind. Vier Stunden am Tag verbringt sie damit, die schwimmende Farm zu pflegen.

Rajabu hat die Schule mit 17 Jahren abgebrochen. Sie betrieb eine Algenfarm, verdiente aber nur knapp 30 Dollar im Monat – nicht genug, um ihre Kinder zu ernähren. Die Algenindustrie beschäftigte einst rund 20 000 Menschen, zum Großteil Frauen, und war das Rückgrat der Wirtschaft Sansibars. Sie hat unter dem weltweiten Temperaturanstieg stark gelitten. Studien zeigen, dass Ertrag und Qualität der Algen wegen der Hitze, des unregelmäßigen Regens und der stärkeren Winde drastisch zurückgegangen sind. Sansibars Ministe­rium für Meereswirtschaft und Fischerei zufolge ist die Algenproduktion auf Sansibar zwischen 2002 und 2012 wegen Klimakrise, Plagen und niedrigen Preisen um 47 Prozent zurückgegangen.

Laut Aziza Said, Meeresbiologin an der Universität von Dodoma, sind Schwämme widerstandsfähiger gegen höhere Temperaturen, leichter zu pflegen und erzielen bessere Marktpreise als Algen. „Zudem reichern sie den Meeresboden durch die Freisetzung von Fett- und Aminosäuren an, die von anderen Organismen aufgenommen werden können.“

Rajabu arbeitet seit 2020 bei der Schweizer Non-Profit-Organisation marinecultures.org und verdient seitdem 100 Dollar im Monat. Christian Vaterlaus, der Gründer der Organisation, errichtete 2009 die Schwammfarm in Sansibar, damit verarmte Algenfarmer ein Einkommen haben und um die umliegenden Ökosysteme zu schützen. „Alleinerziehende Mütter stehen sozial besonders schlecht da, sie bekommen keinerlei Unterstützung“, sagt er.

13 Frauen hat die Organisation laut Projektleiter Ali Mahmudi Ali seit 2009 ausgebildet. „Schulungen sind notwendig, um ihre Fähigkeiten und Kenntnisse über die wechselnden Wetterbedingungen zu verbessern“, sagt Ali. In der Ausbildung lernen sie auch, wie man schwimmt, taucht, die Ausrüstung nutzt, die Schwämme reinigt und pflegt und für den Verkauf sortiert und wie man sie vermarktet und Buch führt.

Nasir Hassan Haji ist Vorsitzende der Zanzibar Sponge Farming Cooperative, einer von Frauen geführten Organisation, die die Produktionsaktivitäten überwacht. Die Schwammzucht verändere die traditionellen Geschlechterrollen in Jambiani, ihrer patriarchalischen Gemeinde, in der Frauen oft auf Kinderbetreuung und Hausarbeit reduziert sind, sagt Haji. Die Schwammzucht ist vor allem für geschiedene Frauen und alleinerziehende Mütter die Rettung, da sie ihnen eine Chance auf finanzielle Stabilität gibt.

Zulfa Abdalla verbrachte Stunden damit, Hüte zu weben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre beiden Kinder zu unterstützen, nachdem sich ihr Mann von ihr scheiden ließ, als sie 23 Jahre alt war. „Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages schwimmen lernen würde. Nun ist es meine Einkommensquelle“, sagt sie. Nach kaum drei Monaten fuhr Abdalla eine Rekordernte ein, die ihr fast 640 Dollar brachte. Von einem Teil des Geldes kaufte sie ein Bett, einen Kleiderschrank, eine Kommode und renovierte das Haus ihrer Mutter.

Geduld ist nötig

Ein Schwamm kostet je nach Größe und Qualität 15 bis 30 Dollar. Die Schwämme werden an Souvenirläden und Hotels in Sansibar und im Ausland verkauft. 70 Prozent der Einnahmen gehen an die Frauen, 29 Prozent an die Verkäufer. Das übrige eine Prozent unterstützt die Zanzibar Sponge Farmers Cooperative.

Allerdings sagt Vaterlaus, dass die Schwämme wirtschaftlich eigentlich wenig einbringen. Seiner Meinung nach ist das Geschäft kaum skalierbar, da der Ausbau von Brutstätten für die Aufzucht von Babyschwämmen begrenzt ist und es an Forschungsmitteln mangelt.

Laut Leonard Chauka, Molekularbiologe am Institut für Meereswissenschaften der Universität Dar es Salaam, sind Schwämme nützlich für die Umwelt, ihre Produktion und ihr Vertrieb aber sind kostspielig. Und es braucht Geduld. „Die Schwammaufzucht dauert, man muss mindestens ein Jahr warten, bis die Schwämme eine verkaufsfähige Größe haben“, sagt Chauka.

Trotz dieser Herausforderungen plant marinecultures.org die Aufnahme der Schwammzucht auf Pemba, einer Nachbarinsel von Sansibar, und in Tanga an der Festlandsküste Tansanias.

Rajabu sagt, mit dem Einkommen aus der Schwammzucht habe sie ein Stück Land kaufen können, auf das sie ein Haus mit drei Schlafzimmern bauen wird. „Ich habe immer davon geträumt, mein eigenes Haus zu bauen. Jetzt werden meine Kinder ein Zuhause haben“, sagt sie.

Kizito Makoye ist Umweltjournalist aus Tansania.
kizmakoye@gmail.com