Vorbilder
Kreativ und engagiert
Die Frage nach ihren Vorbildern beantworten junge arabische Frauen sehr unterschiedlich. Eine Kombination mehrerer Eigenschaften scheint bei positiven Rollenmodellen aus der arabischen Welt wichtig zu sein – politisches und gesellschaftliches Engagement, Individualität, Kreativität, aber auch gutes Aussehen.
Die Jordanierin Rahma Al Tamimi ist 25 Jahre alt. Sie hat Sozialarbeit studiert und arbeitet in der nordjordanischen Stadt Irbid bei einer Nichtregierungsorganisation als Trainerin für Jugendliche. Die junge Frau nennt Nada Nasser als ihr Vorbild, die sie aus dem Internet kennt.
Die Kuwaiterin Nasser ist kreativ. Sie entwirft Mode, schreibt Bücher und ist auf sozialen Netzwerken aktiv – auf Twitter hat sie mehr als 90 000 Follower. Nasser verfasst nachdenkliche Tweets zu ihren Alltagserfahrungen mit den Menschen um sie herum, schreibt aber auch über Selbstzweifel und übt gesellschaftliche Kritik. Nasser sieht gut aus und hat keine Scheu, Persönliches öffentlich zu machen. Sie gibt sich oft verletzlich und verschafft sich mit viel Mut Gehör in einer konservativen Gesellschaft, in der Frauen trotz Bildung und Engagement mit vielen Hindernissen konfrontiert sind.
Das macht sie für Tamimi interessant, die ehrgeizig ist und davon träumt, als Schriftstellerin viele Leser zu erreichen und sich einen Namen zu machen. Dafür nutzt Tamimi, wie ihr Vorbild, soziale Netzwerke. Auf Facebook hat die junge Frau schon mehr als 5 000 Follower. Dass andere Frauen ebenfalls versuchen, sich in einer restriktiven Umgebung durchzusetzen, macht ihr Mut.
Für junge Palästinenserinnen sind vor allem kämpferische Figuren weibliche Vorbilder. Ein bekanntes Beispiel ist die palästinensische Schülerin Ahed Tamimi, die gegen die Besatzung protestiert hatte und Ende 2017 von der israelischen Armee für mehrere Monate ins Gefängnis gesteckt wurde. Aber auch palästinensische Künstlerinnen, die sich politisch engagieren, haben oft Vorbildcharakter, wie etwa die kürzlich im Alter von 51 Jahren verstorbene Sängerin und Aktivistin Rim Banna. Sie kämpfte viele Jahre gegen ihre Krebserkrankung. Ihre Bilder, auch nach einer Chemotherapie, waren oft auf den Straßen von Ramallah zu sehen. Die 36-jährige Wissenschaftlerin und Sängerin Dalal Abu Amneh ist ebenfalls ein Rollenmodell für palästinensische Frauen. Sie ist in beiden Berufen erfolgreich, auch über Palästina hinaus.
Ein aktuelles Beispiel ist die Sudanesin Alaa Salah, die Anfang dieses Jahres über Nacht zu einem Symbol für die Forderung nach Freiheit im Sudan wurde. Bei einer Demonstration in Khartum stieg die 22-Jährige spontan auf ein Auto und begann, vor der Menge kämpferische Slogans vorzutragen. Fotos davon zeigen eine mutige und schöne junge Frau, mit großen Ohrringen und in einen traditionellen weißen Umhang gehüllt. International steht sie nun für den Widerstand der Sudanesen gegen die Diktatur, insbesondere für den Widerstand von Frauen gegen politische Unterdrückung und Benachteiligung.
Für Salah ist der Bezug zur sudanesischen Geschichte sehr wichtig; eine Geschichte, in der Frauen früher eine starke Rolle hatten. Sie beansprucht die Vergangenheit ihres Landes für sich. Das schafft eine neue weibliche Identität und entreißt den Männern die Deutungshoheit über historische Machtverhältnisse.
Weibliche Figuren aus der islamischen oder vorislamischen Geschichte tauchen immer wieder auch als Vorbilder auf. Diese historischen Frauen kombinieren ebenfalls mehrere Eigenschaften: Kreativität, Individualität und manchmal politisches Engagement.
Nach wie vor werden Frauen in der arabischen Welt oft unterdrückt und diskriminiert. Aber gerade junge Frauen orientieren sich neu. Sie suchen sich weibliche Vorbilder, die stark, einfallsreich, gebildet und durchsetzungsfähig sind. Das ist ein gutes Omen für die Zukunft.
Mona Naggar ist Journalistin und Medientrainerin. Sie lebt in Beirut, Libanon.
mona.naggar@googlemail.com