Ländliche Entwicklung
Ein Dorf gesünder machen
Das Gesundheitswesen in Malawi ist geprägt von knappen Ressourcen, fehlgesteuerter Verteilung und chronischer Unterbesetzung. Hilfen aus dem Ausland in diesem Bereich waren zwar oft gut gemeint, doch zementierten sie jahrzehntelang die Abhängigkeit der Ärmsten des Landes von externen Hilfsleistungen.
Das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (Difäm) – ein gemeinnütziger christlicher Verein, der sich seit mehr als 100 Jahren im Bereich der globalen gesundheitlichen Entwicklung engagiert – setzt auf den Ansatz ASSET, um Malawi zu unterstützen. Die Abkürzung steht für anerkennen, stimulieren, stärken, engagieren und transformieren.
Kern von ASSET ist das alte, aber immer noch gültige Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Das Programm lenkt den Blick auf Ressourcen, über die auch die Ärmsten verfügen: Sand, Steine, Wasser, Land, ihre Muskelkraft, ihre sozialen Systeme, ihr Glaube. Die Menschen sollen dazu befähigt werden, ihre eigene gesundheitliche Basisversorgung zu schaffen, indem sie diese Ressourcen gezielt einsetzen.
Der Ansatz geht zurück auf eine Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) im Jahr 1978 im heutigen Kasachstan: Mit der Erklärung von Alma-Ata bekräftigte die WHO damals, dass Gesundheitsversorgung auf lokaler Ebene bereitgestellt werden solle – ausdrücklich unter aktiver Einbeziehung der Menschen vor Ort. Gemeint ist eine Basisgesundheitsversorgung, die überall vorhanden sein sollte.
Dorfkliniken retten Leben
In Malawi setzte Difäm auf diese Weise beispielsweise ein Projekt in dem Dorf Chintembwe im zentral gelegenen Ntchisi-Distrikt um. Vorab befragte ein geschultes Dorfhelferteam die Menschen, welche Probleme sie im Gesundheitsbereich zuerst anpacken möchten. Das Team ging von Haus zu Haus und hörte den Bewohnerinnen und Bewohnern zu. Erst danach wurden Prioritäten festgelegt und begann die eigentliche Arbeit.
Die wichtigsten sichtbaren Veränderungen sind neu gebaute Dorfambulanzen, die sogenannten „Village Clinics“. Die Dörfer in der Region hatten zwar auch zuvor schon Helferinnen und Helfer im Gesundheitsbereich. Aber mangels Wohnmöglichkeiten und guter Arbeitsbedingungen waren sie teils nur an zwei Tagen pro Woche vor Ort. Da Chintembwe etwa 20 Kilometer von der nächsten Klinik entfernt liegt, war das Dorf mit medizinischer Erster Hilfe unterversorgt (zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Malawi siehe Beitrag von Sumeya Issa auf www.dandc.eu).
Im Rahmen des ASSET-Projekts wurden insgesamt 20 Dorfambulanzen gebaut. Die Einheimischen organisierten und bezahlten die Handwerkerinnen und Handwerker und brannten auch selbst Ziegel. Die Stammesvorsitzenden stellten das Land zur Verfügung. Durch eine Zusatzfinanzierung konnten die Dorfambulanzen mit Solarstrom ausgestattet werden. ASSET besorgte darüber hinaus nur die lokal nicht verfügbaren Baumaterialien.
Verbesserte Gesundheitsversorgung
Mittlerweile wohnt und arbeitet in jedem Dorf mit Village Clinic eine Gesundheitskraft, die rund um die Uhr erreichbar ist. Die meisten Kliniken sind zudem gut ausgestattet mit Medikamenten und bieten die wichtigsten Behandlungen an. Vor allem für Schwangere und Kleinkinder hat sich dadurch die Gesundheitsversorgung extrem verbessert. Die häufigsten Diagnosen bei Kindern sind Malaria, Durchfall und Erkältungskrankheiten. Ohne schnelle Hilfe droht ihnen der Tod. Seitdem die Dorfambulanzen eröffnet wurden, gingen die Todesraten erheblich zurück.
„In den vergangenen drei Jahren musste ich keine Trauerfeier für ein Kind unter fünf Jahren mehr halten“, freut sich Chief Vuso Jere. Er ist die höchste traditionelle Autorität in der Region. Er berichtet von vielen Problemen in der Zeit vor dem Projekt: „Bevor ASSET kam, war es hier sehr schmutzig. Die Menschen erleichterten sich auf den Straßen, aber jetzt ist das Dorf sauber. Man kann weit gehen ohne menschliche Ausscheidungen auf der Straße zu sehen.“
Nachhaltige Toiletten
Letzteres liegt in Chintembwe daran, dass im Rahmen von ASSET auch sogenannte V.I.P.-Toiletten gebaut wurden. Die Abkürzung steht für „Ventilated Improved Pit Latrine“ – ein Plumpsklo mit ausgetüftelter Belüftung. Es hat ein Wellblechdach und eine Art Schornstein, der sich in der Sonne erhitzt und mit der aufsteigenden Luft Gerüche und Fliegen nach oben zieht. Ein Metallnetz am Ende des heißen Rohres hält die Fliegen zurück. Sie verglühen, somit ist der Übertragungsweg für Krankheiten in die benachbarte Küche unterbrochen. Die Backsteinwände der Toilette wahren die Intimsphäre. Vom Projekt kamen die Metallteile und der gegossene Betonboden. Alles andere steuerte die Dorfgemeinschaft selbst bei.
Der Startschuss zum ersten ASSET-Projekt in Chintembwe fiel Ende 2011. Nun, elf Jahre später, läuft die letzte Verlängerungsrunde aus. Im kollektiven Gedächtnis des Dorfs ist verankert, dass vor dem Projekt jedes Jahr circa sechs Kinder unter fünf Jahren verstarben. Zuletzt kamen in 100 Haushalten innerhalb von drei Jahren drei Kinder ums Leben.
Verbesserungen in der Landwirtschaft
Eine weitere sichtbare Veränderung in Chintembwe: Wo früher staubtrockene Straßen, Plätze und Hinterhöfe nur Sandflöhen Heimat boten, spenden jetzt zahlreiche Obstbäume Schatten und Kühle. Ihre Früchte bereichern den Speiseplan. In Zusammenarbeit mit Fachleuten der Regierung, etwa aus aus den Land- und Forstwirtschaftsministerien, zeigte das Projekt den Menschen im Dorf, wie Obstbäume und Gemüsegärten anzupflanzen sind, wie sie Setzlinge ziehen und natürlichen Dünger herstellen können.
Der von jahrzehntelanger Landwirtschaft ausgelaugte Boden gibt ohne Zusatz nicht mehr viel her. Chemischer Dünger ist zu teuer, aber natürlicher Dünger kostet so gut wie nichts, und auch mit ihm haben sich die Erträge vervielfacht: Für alle im Dorf gibt es drei Mahlzeiten am Tag, mit Mais, Kartoffeln und anderem Gemüse sowie Proteinen aus Hülsenfrüchten oder Fleisch.
Die sichtbaren Veränderungen in den Projektdörfern sind jedoch nur die materielle Spitze einer tiefgreifenderen Transformation – auch in den Köpfen. Beispielsweise sind Frauen in den ländlichen Gebieten traditionellen Rollen und Erwartungen unterworfen und trauen sich kaum, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Durch ihre Erfahrungen in den Gemeindegruppen haben sie aber das Vertrauen gewonnen, öffentlich für ihre Anliegen einzutreten. So wurden in Chintembwe Kinderehen und Teenagerschwangerschaften abgeschafft, nachdem das Dorf über die Gefahren diskutiert hatte.
Gemeinwohl an erster Stelle
Zu Beginn war es eine wesentliche Herausforderung des Projekts, Freiwillige und Behörden davon zu überzeugen, dass es für den Einsatz keine Bezahlung geben werde – außer der Dankbarkeit der Gemeinden. Das Gemeinwohl steht im Vordergrund. Für das Gelingen entscheidend war die Vernetzung, die Kommunikation zwischen Menschen und Systemen, die zuvor nur nebeneinander existierten. Der malawische Projektmanager hat es in unermüdlicher Vermittlungsarbeit geschafft, verschiedene Beteiligte zusammenzubringen: die lokalen Gemeinden, kirchliche und staatliche Gesundheitseinrichtungen sowie die Ministerien für Landwirtschaft und Gesundheit. In den Dörfern selbst bildeten sich Gruppen, die auch die Beziehungen der Bewohnerinnen und Bewohner untereinander stärkten.
Zahlreiche Gruppendiskussionen, Trainings und Freizeitangebote haben weitere Entwicklungen gefördert. Im Rahmen einer Evaluation zeigte sich beispielsweise, dass die Fälle von häuslicher Gewalt abgenommen haben und Jugendliche weniger zu Alkohol und Drogen greifen. Etwa drei Viertel der ASSET-Haushalte konnten laut dem Evaluationsteam ihren Besitzstand erweitern. Rund die Hälfte fing an, Hühner oder andere Kleintiere zu züchten. Radios, Telefone und Möbel wurden angeschafft, und rund ein Viertel der Dorfbewohnerinnen und -bewohner konnten sogar ihr Haus renovieren oder gar ein neues bauen.
Ideen verbreiten sich kaum
Weitgehend enttäuscht wurde allerdings die Hoffnung, dass sich die Nachbargemeinden beeinflussen lassen und ebenfalls aktiv werden. Hier und da wurden zwar die Toiletten kopiert, und in einem Fall kamen sogar Gemeinden zusammen, um gemeinsam ein Schulgebäude zu errichten. Ansonsten blieben die Nachbarn selbst jedoch weitgehend passiv.
Das Projekt zeigt: Um langfristige, nachhaltige Veränderungen zu erzielen, braucht es einen langen Atem – und Geld. In zehn Jahren Projektlaufzeit betrugen die Kosten 350 000 Euro. Die Village Health Clinics und Toiletten wurden mit zusätzlichen 160 000 Euro durch die Agnes-Philippine-Walter-Stiftung in Schwäbisch Gmünd finanziert.
Olaf Hirschmann ist Difäm-Weltweit-Referent für Primary & Mental Health.
hirschmann@difaem.de