Unsere Sicht
Industrieländer müssen beim Klimagipfel in Glasgow liefern
Schon jetzt haben wir die Erde durch den Ausstoß von Treibhausgasen um mehr als ein Grad erwärmt. Und selbst in den optimistischsten Szenarien des aktuellen Sachstandsberichts des Weltklimarats wird die globale Oberflächentemperatur vorerst weiter steigen – mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts. Es bleibt also kaum Zeit, um das Ziel von Paris einzuhalten: die globale Erhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, möglichst auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius.
Zu diesem Ziel müssten eigentlich auch die nationalen Klimapläne der Länder passen, die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDC). Sie zeigen, wie ambitioniert die Regierungen ihre Emissionen verringern. Glasgow ist auch deshalb so wichtig, weil dort die aktualisierten Klimapläne zur Debatte stehen.
Leider haben aber viele Staaten ihre Klimapläne bis jetzt noch nicht aktualisiert, obwohl sie dazu verpflichtet sind, wie das Projekt Climate Action Tracker (CAT) berichtet. Nicht viel besser machen es jene, die ihre Pläne zwar aktualisiert haben, allerdings nur unzureichend. Das gilt für viele reiche Industriestaaten, auch für die EU und die USA. Aktuell sind viel zu wenige nationale Pläne mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar.
Das mangelnde Engagement der Industriestaaten ist inakzeptabel. Sie tragen eine besondere Verantwortung, weil sie einen relativ hohen Anteil der Treibhausgasemissionen seit der Industrialisierung verursacht haben. Zugleich leiden gerade Länder mit niedrigen Einkommen besonders unter den Folgen des Klimawandels. Das ist zutiefst ungerecht. Die Entwicklungsländer erheben vor Glasgow deshalb gemeinsame Forderungen: eine schnellere Verringerung der Emissionen; mehr finanzielle Unterstützung durch reiche Länder; und eine transparente Berichterstattung über Fortschritte. Sie tun das mit Recht.
Neben der moralischen Verpflichtung haben die Industrieländer auch ein großes Eigeninteresse daran, den Temperaturanstieg niedrig zu halten. Zwar können sie sich relativ gut vor den Klimafolgen schützen. Auch für sie gilt aber: Neben den Auswirkungen auf Leib und Leben werden allein schon die wirtschaftlichen Folgen gravierend sein: Bei einer 2-Grad-Erwärmung bis 2050 würde das Bruttoinlandsprodukt von Nordamerika um 6,9 Prozent niedriger liegen als in einer Welt ohne Klimawandel, so die Prognose von Swiss Re, einem führenden Anbieter von Rückversicherungen. Für Europa rechnen die Schweizer mit einem Minus von 7,7 Prozent. Je stärker die Erwärmung, desto stärker die ökonomischen Einbußen.
Einen größeren Eindruck als solche Zahlen dürften für viele Menschen in Industrieländern aber die Ereignisse des Sommers 2021 hinterlassen: In den USA wüten an der Westküste verheerende Waldbrände, die Ostküste versinkt in Überschwemmungen. In Kanada treibt eine Hitzewelle den Temperaturrekord auf unglaubliche 49,5 Grad Celsius. In Japan verursachen Starkregen tödliche Erdrutsche und Hochwasser. Und in Deutschland sterben mindestens 180 Menschen bei einer Flutkatastrophe, die Schäden gehen allein hier in die Milliarden. Nicht alle Unwetterkatastrophen lassen sich zwar kausal auf die Klimakrise zurückführen. Aber klar ist: Mit fortschreitender Erhitzung werden immer mehr extreme Wetterereignisse auftreten.
Für die Industrieländer sollte der vergangene Sommer deshalb eine letzte Warnung gewesen sein: Sie müssen ihre Pläne endlich ernsthaft am Paris-Ziel ausrichten. Es liegt in erster Linie an ihnen, ob der Gipfel in Glasgow zur Enttäuschung gerät – oder doch zu einem Moment der Hoffnung.
Jörg Döbereiner ist Redakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit/D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu