Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Weltpolitik

Internationalen Versprechen Geltung verschaffen

Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar ist die Zukunft noch stärker bedroht, als vorher schon aus klimapolitischer Perspektive, wegen globaler Ungleichheiten und der Fragilität der Demokratie erkennbar war. Westliche Regierungen müssen sich für das globale Gemeinwohl einsetzen und vor moralischer Überheblichkeit hüten.
Vier Länder votierten mit Russland gegen die Ukraine-Resolution, aber dass 38 sich enthielten belegt große Distanz zum Westen. picture alliance / EPA / JUSTIN LANE Vier Länder votierten mit Russland gegen die Ukraine-Resolution, aber dass 38 sich enthielten belegt große Distanz zum Westen.

Der Krieg in der Ukraine führt zu Zerstörung, Tod und großer menschlicher Not. Er hat die Systemrivalität zwischen Demokratie und Autokratie noch einmal massiv verschärft. Gleichzeitig wird deutlich, dass nationalistische Autokratie zugunsten oligarchischer Eliten keine Zukunftsperspektive bietet.

Krieg und Systemrivalität ziehen aber auch Aufmerksamkeit und Ressourcen von der dringenden und unverzichtbaren sozialökologischen Transformation ab – zu Klimaneutralität, zu wirksamem Artenschutz, zur Beendigung existenzieller Armut.

Die internationale Gemeinschaft darf diese Transformation jedoch nicht vertagen. Diese Aufgaben stehen nicht erst an, wenn wichtigere Probleme gelöst sind. Wenn wir die globale Umweltkrise und eklatante Ungerechtigkeit jetzt nicht angehen, werden die anderen Probleme nur größer. Schon in diesem Sinne war der Einmarsch in die Ukraine ein Angriff auf die gesamte Menschheit (siehe Hans Dembowski auf www.dandc.eu). Die Verteuerung von Lebensmitteln und anderen wichtigen Rohstoffen macht das noch deutlicher.   

Wir müssen daher nicht nur Demokratie und Völkerrecht verteidigen, sondern uns auch mit aller Kraft für das globale Gemeinwohl einsetzen. Dieses wird an den Verbesserungen für die ärmsten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen und die vulnerabelsten Länder gemessen und an Fortschritten beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Ohne eine starke internationale Zusammenarbeit geht das nicht.

Deutliche Distanz zum Westen

Wer das Ergebnis der UN-Abstimmung über die Resolution zum Ukraine-Krieg als breite Zustimmung zum Westen wertet, irrt. 35 Enthaltungen – darunter China, Indien, Südafrika – sind Beleg für deutliche Distanz zu USA, NATO und EU. Verteidigt wurden vor allem das UN-Prinzip der territorialen Unversehrtheit und das Gewaltverbot.      

Partner aus Entwicklungs- und Schwellenländern beklagen regelmäßig, der Westen predige gern Multilateralismus, folge selbst aber wo immer möglich nationalen Egoismen (siehe zum Beispiel Saleemul Huq auf www.dandc.eu). Die G7, die EU und die NATO sollten sich vor moralischer Überheblichkeit hüten und politisches Handeln nicht mit zweierlei Maß messen. Unsere Öffentlichkeit blendet leider oft aus, wann und wo wir selbst internationale Versprechen nicht einhalten.

Nein, in der Covid-19-Pandemie haben unsere Nationen nicht wie vereinbart dafür gesorgt, dass Medikamente, medizinisches Material und Impfstoff überall verfügbar sind. Nein, in der Klimakrise halten wir seit 2020 bereits 2009 gemachte Finanzzusagen nicht ein. Nein, die meisten Hocheinkommensländer bringen nicht die seit Jahrzehnten versprochenen 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit auf. Diese Liste ließe sich leicht verlängern.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat diese Problematik am 1. März in ihrer Rede vor der UN-Sonderversammlung in New York angesprochen, als sie ihre Bereitschaft dazu erklärte, „unser eigenes Handeln, unser früheres Engagement in der Welt kritisch zu hinterfragen“. Wir – Europa, die G7, der Westen – müssen alles tun, um nicht in eine neue bipolare Konfrontation zu verfallen, in der die Interessen der Kleinen und Marginalisierten schnell geopfert werden, wie das während des Kalten Krieges geschah.

Dringender Reformbedarf

All das macht eine Reform unserer Außenbeziehungen nötig, die alle Stärken der Außen- und Entwicklungspolitik zusammenbringt. Wir brauchen eine wirkliche 360°-Sicht auf globale Herausforderungen, welche die gesamte Weltgemeinschaft betreffen. Unabdingbar ist ein Verständnis von globalem Gemeinwohl, das nationale, regionale und lokale Konzepte von Gemeinwohl in Einklang bringt.

Imme Scholz ist seit Anfang April Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Dieser Kommentar beruht auf ihrer Abschiedsrede als stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik Ende März.
Twitter: @imme_scholz
www.boell.de