Pressefreiheit

Hindutva Trolls

Desinformation ist in Indien ein echtes Problem. Die Regierungspartei spaltet die Gesellschaft mit selbstgerechten Mythen. Am Gemeinwohl orientierter, faktenbasierter Journalismus gerät in die Defensive.
Trauer um die ermordete Journalistin Gauri Lankesh in Kalkutta. Sonali Pal Chaudhury/picture-alliance/NurPhoto Trauer um die ermordete Journalistin Gauri Lankesh in Kalkutta.

Im April führte Indiens Ministerium für Information und Rundfunk eine neue Regel ein. Die Akkreditierung von Journalisten, die „Kake News“ verbreiten, werde suspendiert, worauf innerhalb von 15 Tagen Aufsichtsgremien über die Schuld der betroffenen Personen entscheiden sollten.

Der Vorschlag wurde schon am nächsten Tag zurückgezogen. Der öffentliche Widerstand war zu stark. Premierminister Narendra Modi griff wohl persönlich ein.

Die große Frage bleibt, ob Desinformation bekämpft werden sollte oder ob das Ministerium Journalisten von kritischer Berichterstattung über die Regierung abhalten wollte. In den Augen vieler ginge es um einen Versuch, vor den Wahlen im nächsten Jahr die Pressefreiheit einzuschränken.

Desinformation ist in Indien ein großes Problem geworden. Viele etablierte Medien haben Falschmeldungen verbreitet, aber der größte Schaden wird in den sozialen Medien angerichtet. Manche Fehler beruhen auf Versehen, aber die schlimmsten Falschinformationen werden absichtlich lanciert. Eine Armee bezahlter Internet-Trolls schafft mit politischen Zielen ein bösartiges Ökosystem der Desinformation.


Rechte Netzwerke

Seit Modi nach dem Wahlsieg seiner BJP 2014 an die Macht kam, ist eine Reihe neuer rechtslastiger Websites entstanden. Dazu gehören etwa OpIndia.com, Postcard News und Swarajyamag.com. Sie greifen nur bestimmte Nachrichten auf, verdrehen sie ihren Interessen entsprechend und erfinden Geschichten komplett.

Die BJP ist eine Partei, die Hindu-Dominanz propagiert. Sie gehört zu einem Netzwerk von Organisationen, die den Hindus neue Größe und weltweite Anerkennung versprechen. Diese Agenda spaltet die Gesellschaft, weil sie die Minderheiten ausgrenzt – und zwar besonders Indiens über 180 Millionen Muslime (fast 15 Prozent der Bevölkerung). Die Ideologie der BJP heißt „Hindutva“, und Modi ist einer ihrer aggressiveren Vertreter.

In Gujarat starben bei Unruhen 2002 mehr als 1 000 Menschen. Die meisten Opfer waren Muslime, die meisten Täter waren Hindu-Extremisten. Damals war Modi Chef der Landesregierung, aber der Pflicht, das Pogrom zu stoppen, kam er nicht nach.

Wir wissen, wie Trolls heute in Indien Desinformation verbreiten, wer sie bezahlt und wie sich das auf das politische Klima auswirkt. In ihrem Buch „I am a troll“ beschreibt Swati Chaturvedi, wie von der BJP finanzierte Akteure politische Gegner und Prominente, die sie für solche halten, angreifen. Selbst Bollywood-Superstar Aamir Khan wurde zur Zielscheibe.

All das endete nicht mit dem Wahlkampf. Aggressive Trolls machen weiter, rufen zur Gewalt auf und bedrohen Menschen. Sie wollen jegliche Opposition unterdrücken und Indien zu einem Hindu-Staat machen.

Die Hindutva-Ideologie vertreten nicht nur Menschen, die der BJP oder mit ihr verbündeten Organisationen angehören. Die Botschaft ist aber immer dieselbe, und die Weltsicht beruht nicht auf historischen Fakten, sondern auf selbstgerechten Mythen. Andere Religionen – insbesondere der Islam und das Christentum – werden lächerlich gemacht.

Hindutva-Apologeten fordern Dominanz für die ihrer Meinung nach überlegene hinduistische Kultur. Ihre Religion predigt die Herrschaft der hohen Kasten über alle anderen Menschen. Häufig sind historische Behauptungen der Anhänger dieser Ideologie bizarr – etwa antike Hindus hätten vor Jahrtausenden schon moderne Technik beherrscht.

Modi selbst sagte im Oktober 2012 in Mumbai, Inder hätten vor langer Zeit Genetik und kosmetische Chirurgie gekannt. Sein Beweis: Der Hindugott Ganesh hat einen Elefantenkopf. Modi sprach auf Hindi, seine Ausführungen sind auf YouTube dokumentiert (in Hindi: https://www.youtube.com/watch?v=NeIWu1NLuzE).

Was in den Geschichtsbüchern steht ist Hindutva-Adepten egal. Sie bezeichnen Indien als ein seit Jahrhunderten von Invasoren ausgebeutetes Land. Um ihr Minderwertigkeitsempfinden zu bekämpfen, kennen sie nur ein Mittel: die Schmähung von Muslimen, Christen und anderen Minderheiten. Sie richten sich selbstverständlich auch gegen alle Hindus – Linke, Liberale, Kommunisten –, die Minderheiten unterstützen. Wie für rechtspopulistische Bewegungen typisch, behaupten Hindutva-Adepten, sie sprächen für „die“ Nation, aber sie brauchen „die Anderen“ als permanente Feinde.

Hindu-Extremisten schüren Hass – im Netz und im realen Leben. Gewalttaten wurden mit sozialen Medien organisiert. Um neue Anhänger zu finden, wird mittlerweile auch gern über Hassverbrechen auf Facebook und Twitter berichtet.

Die aggressive Agitation klingt nicht ab, obwohl die BJP an der Macht ist. Die Modi-Regierung kann offensichtlich mit Reformen die nationale Größe, die sie versprochen hat, nicht herbeiführen. Stattdessen pflegt sie Vorurteile. Nach vier Amtsjahren tut sie immer noch so, als litten Hindus als Mehrheitsbevölkerung, während Muslime „verwöhnt“ würden. In Wahrheit ist diese Minderheit überwiegend arm, marginalisiert und zunehmend von Gewalt bedroht. Die Regierung verschärft Spannungen statt Probleme zu lösen.

Vor nicht allzu langer Zeit war Indiens Presse stolz auf ihre Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit. Heute beugen sich manche Medienhäuser dem Druck, und andere sind gleichgültig geworden. Das macht es den Trolls im BJP-Dienst leichter, Druck auf die Minderheit der Medienschaffenden zu machen, die noch faktenorientierten Journalismus mit demokratischen Prinzipien machen wollen und die Regierung in Frage stellen.

In September wurde Gauri Lankesh in Bangalore ermordet. Sie war eine kritische Journalistin, die sich schon lange gegen Hindutva-Ideen aussprach. Viele andere Journalisten werden bedrängt, bedroht und zum Schweigen gebracht. Ich selbst habe Troll-Angriffe erlebt.

Vor den Wahlen im nächsten Jahr dürfte der Druck auf Journalisten weiter wachsen. Der jüngste Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken, hat uns eine Gelegenheit geboten, gemeinsam zu opponieren. Diesmal konnten wir unabhängigen Journalismus zu verteidigen – aber der Kampf geht weiter.


Arfa Khanum Sherwani ist eine indische Fernsehjournalistin und arbeitet für die hochwertige Website TheWire. 2017 verbrachte sie im Rahmen des Medienbotschafter-Programms der Robert-Bosch-Stiftung drei Monate in Deutschland.
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