Philippinen

Frieden für Muslime, Christen und Lumads

Seit 35 Jahren wird im Süden der Philippinen Krieg geführt. Mal sind es Scharmützel, mal großflächige Auseinandersetzungen zwischen der philippinischen Armee und unterschiedlichen Befreiungsfronten. Seit den Anschlägen am 11. September 2001 suchen zudem die Amerikaner in der Inselwelt Südostasiens islamistische Terroristen. In dieser Gemengelage unterstützt der Evangelische Entwicklungsdienst zivilgesellschaftliche Friedensinitiativen. Erfolg beruht auf der Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen.

[ Von Hannelore Börgel ]

Nur kurz hallen die Schüsse wider. Alle 30 Minuten schießen Soldaten der philippinischen Armee aus einem Palmenhain in die Luft. Am 3. Februar 2007, einem Samstag, steht der fragile Waffenstillstand zwischen den regulären Truppen der Armee und der Islamischen Befreiungsfront (MILF) vor dem Zusammenbruch. In der Nacht gab es bereits einen Toten. Die Region um Midsayap auf Mindanao liegt in den Unruhegebieten. Nach zwei Stunden gehen die Soldaten zum Artilleriebeschuss über, auf der Strasse patrouilliert das Militär.

In diesem Moment greifen Aktivisten der Zivilgesellschaft in und außerhalb der Dörfer zu ihren „Waffen“ – dem Mobiltelefon. Per SMS schildern sie die Lage der Siedlungen unter Beschuss. Die Nachrichtenkette der Friedenswilligen steht. Die Forderung nach sofortigen Krisengesprächen erreicht das Quartier der MILF sowie Politiker in Manila. Sollte der Waffenstillstand nicht sofort wiederhergestellt werden, droht den Friedensverhandlungen, die relativ weit gediehen sind, das Aus.

Zwei Tage später schweigen die Waffen. Schon in der Nacht zum Sonntag wird nicht geschossen, und von Montag an herrscht endgültig Ruhe. Mittlerweile ist die Internationale Monitoring Group unter malaysischer Führung in Midsayap eingetroffen und zwischen die verfeindeten Linien gegangen. Es wird weiter verhandelt.


Verwirrende Verhältnisse

Auf Mindanao stehen sich die philippinische Regierung mit ihrem Militär einerseits und die MILF andererseits gegenüber. Daneben gibt es eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die kriminelle Machenschaften nur notdürftig mit politischen Forderungen verbrämen. Dazu gehören diverse kommunistische, maoistische und islamistische Splitter- und Terrorgruppen wie die international bekannte Abu Sayyaf.

In die Machenschaften solcher Banden sind manch­mal auch die örtliche Polizei oder Bürgermeister verwickelt. Es gibt private Schutztruppen offizieller Funktionsträger, die besser ausgerüstet sind als die reguläre Polizei. Sie werden eingesetzt, um „claims“ abzustecken, die korrupte Politiker und Familienverbände geltend machen. Hinzu kommt „rido“, die örtliche Tradition der Blutrache.

Seit mehr als 35 Jahren kämpfen muslimische Minderheiten, „Moros“ oder „Bangsamoros“ genannt, im Süden der Philippinen um Autonomie beziehungsweise Unabhängigkeit. Die beiden größten efreiungsbewegungen sind die Moro National Liberation Front (MNLF) und die MILF. Der Konflikt und zahlreiche Aufstände kommunistischer Gruppen haben bislang 160 000 Menschen das Leben gekostet.

Seit der Unabhängigkeit der Philippinen 1946 wurden christliche Siedler von den nördlichen Inseln zur Abwanderung in den ressourcenreichen Süden ermutigt. Im Süden leben traditionell überwiegend Muslime. Die Binnenmigration vor allem katholischer Christen machte sie aber zur Minderheit. Ende der sechziger Jahre begannen Muslime ihre Rechte einzufordern. 1972 verhängte Präsident Marcos das Kriegsrecht über das Land. Muslimische Aktivisten entschieden sich für den bewaffneten Kampf in der MNLF, sie brachten weite Teile Mindanaos und der benachbarten Insel Sulu unter ihre Kontrolle. 1976 gestand die Regierung der MNLF in einer Vereinbarung 13 Provinzen für eine Autonome Region der Muslime in Mindanao (ARMM) zu. Nach Unterzeichnung des Abkommens trennte sich eine radikale Gruppe von der MNLF und gründete die MILF. Die MILF fordert von Anfang an einen unabhängigen Staat, und sie legt den Islam rigoroser aus als die MNLF. Der Krieg ging weiter.

Erst 1996 schloss die Regierung einen Friedensvertrag mit der MNLF. Zu diesem Zeitpunkt befehligte die MILF rund 12 000 bewaffnete Rebellen. Im Jahr darauf startete die Regierung Friedensverhandlungen mit der MILF. Seit 2006 sind diese Gespräche in einer entscheidenden Phase. Verhandelt werden vor allem Landfragen. Die MILF will – nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen der MNLF mit dem ersten Friedensabkommen – möglichst viel im Detail regeln. Die Regierung hat das Recht auf Selbstbestimmung anerkannt, das Autonomie aber nicht Unabhängigkeit vorsieht.


Verteidigung von Pfründen

Den Friedensprozess bedrohen recht unterschiedliche Interessen. Es gibt einflussreiche lokale muslimische Clans, die Gemeinden und einige lukrative Posten in den Kommunalverwaltungen kontrollieren. Einige von ihnen sind Allianzen mit lokalen Armeekommandeuren gegen die MILF-Führung und die Friedensverhandlungen eingegangen. Es gilt Pfründe zu verteidigen.

Die Lumads – nicht islamisierte traditionelle Einwohner Mindanaos – fühlen sich von der MILF nicht angemessen vertreten. Die MILF erhebt aber den Anspruch, für alle traditionellen Bewohner Mindanaos zu sprechen. Mit schnellem Eingreifen hat die Internationale Monitoring Group (IMG), die unter malaysischem Kommando steht, Scharmützel immer wieder unter Kontrolle gebracht. Zum Teil reicht das Auftauchen der IMG in den Dörfern aus, dass die privaten Milizen abtauchen.

Die Konflikte sind zäh. Bereits geklärte Landstreitereien werden von denselben Parteien ein Jahr später wieder in Frage gestellt. In einigen Fällen mussten IMG-Soldaten Bauern wiederholt beim Einbringen der Ernte schützen. Scharmützel toben meist um kleine Landflächen, bei großen Ländereien scheinen die Verhältnisse „geklärt“. Der Einfluss der Großgrundbesitzer hat andere Reichweiten. Nicht immer sitzen Christen unrechtmäßig auf ihren paar Hektar. Manche haben das Land den Muslimen vor vielen Jahren abgekauft. Es fehlen allerdings eindeutige Unterlagen. Nicht alles wurde schriftlich festgehalten, manchmal vertraute man dem Handschlag.


Zivilgesellschaftliche Mediatoren

In dieser unübersichtlichen Gefahrenlage sind zahlreiche Friedensinitiativen in der Zivilgesellschaft entstanden. Die meisten wurden am Ende der Marcos-Ära gegründet, andere haben ihren Ursprung im Kampf gegen Marcos. Nicht wenige waren ursprünglich kommunistische oder kirchliche Widerstandsgruppen, die zum Teil miteinander kooperierten. In den neunziger Jahren gaben viele ehemals kommunistische Aktivisten den revolutionären Anspruch auf. Evolutionäre Entwicklung ohne gewaltsame Verwerfungen schien angemessener.

Als die kriegerischen Auseinandersetzungen unter Präsident Joseph Estrada wieder eskalierten, gründete sich im Jahr 2000 die Mindanao Peoples’ Peace Movement (MPPM). Diese Bewegung schließt drei Bevölkerungsgruppen ein: Lumads, Bangsamoro/Muslime und christliche Siedler. MPPM ist heute auf fünf südlichen Inseln der Philippinen etabliert. Mehr als 100 Organisationen haben sich angeschlossen. Dem Council des MPPM gehören je 20 Angehörige der Bangsamoros, der Katawhang Lumad und der Mindanao Migranten an.

Bereits 2002 forderte das Bündnis ein von den UN überwachtes Referendum, um die Probleme Minadanaos zu lösen. In diesem Referendum sollen die Bangsamoros in ihren Siedlungsgebieten auf Mindanao und Palawan, Basilan, Sulu und Tawi-tawi entscheiden, ob sie unter einer autonomen Regierung als föderaler Staat in den Philippinen verbleiben oder die Unabhängigkeit wollen. Erst 2006 erkannte die philippinische Regierung das Recht der Bangsamoros auf Selbstbestimmung an und schlug ihrerseits ein Referendum vor.


Leistungen der Friedensbewegung

Zu den Erfolgen der MPPM gehören Friedensgespräche Ende 2005 auf der Insel Sulu. Die Zivilbevölkerung hatte die MPPM als Mediator eingeladen. Auf Sulu verfolgte im November 2005 die Armee Terroristen der Abu Sayyaf – ohne Rücksicht darauf, dass sie dadurch das Friedensabkommen mit der MNLF in Frage stellte, die in diesem Gebiet ihre Truppen hatte.

Bomben fielen, Menschen wurden aus Helikoptern beschossen, Soldaten plünderten, obwohl die MNLF, die Bevölkerung und die lokale Regierung die kriminellen Abu-Sayyaf-Aktivitäten eindeutig verurteilten. Gleichzeitig wunderte sich die Bevölkerung über die Anwesenheit von Amerikanern, die auf Bitten der philippinischen Regierung in zivil-militärischen Projekten engagiert waren. Teile der philippinischen Armee misstrauten der Zivilbevölkerung, die ihrerseits mehrheitlich den Abzug der Truppen wünschte.

Die Probleme in Sulu wurden schließlich durch die Einbeziehung traditioneller Strukturen, den „councils of elders“, gelöst. Alle ethnischen Gruppen haben „Ältestenräte“. Unter der Moderation einer 11-köpfigen MPPM-Gruppe verhandelten Ältestenräte, Vertreter der Regierung, der philippinischen Armee und des US-Militärs miteinander. Danach bildeten sich lokale Gruppen, um den Friedensprozess sowie die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.

In einigen Gemeinden gilt der „council of elders“ als Nukleus der demokratischen Entwicklung. Es gibt auch councils, die mehrere Ethnien umfassen. In den Räten sind nicht nur ältere Männer vertreten, sondern auch Frauen und – trotz des traditionellen Namens – auch junge Menschen. Auf Lebak und Sulu sprechen diese Councils in der Gemeindeplanung mit. Ihre Mitglieder werden von engagierten Nichtregierungsorganisationen ausgebildet.

Schulen und Universitäten unterstützen den Friedensprozess mit Ausbildungsprogrammen. Vorreiter in der Verbindung theoretischer Ausbildung mit praktischer Anwendung ist das Southern Christian College (SCC) der United Church of Christ in the Philippines in Midsayap. Das SCC gründete ein Institut für die Aufgaben der tri-partiten Gruppen (Lumads, Bangsamoros und Christen). Es organisiert unter anderem eine jährliche „Summer School“ mit 30 Teilnehmern aus den drei Bevölkerungsgruppen. Der Evangelische Entwick­lungsdienst fördert mit eigenen Mitteln und Unterstützung aus dem BMZ das Projekt zur Friedenssicherung im Rahmen des SCC. Lehrer und Studenten des SCC beraten und arbeiten in den Dörfern mit den drei Bevölkerungsgruppen und nichtstaatlichen Organisationen. Der Schwerpunkt liegt auf ökologischem Landbau.


Fazit

Im schwierigen Umfeld von Mindanao sind friedensorientierte Programme möglich. Die Präsenz der „community worker“, Ansprechpartner in den konfliktträchtigen Dörfern, und formelle Partnerschaften zwischen dem SCC mit den Dörfern sind Mechanismen, die zur Krisenprävention eingesetzt werden können. Der Ansatz, unterschiedliche Gemeinschaften in Entwick­lungskonzepte, Dialogprogramme, Netzwerke und politische Lobbyarbeit einzubinden, hat sich bewährt. Frühwarnsysteme und politische Mobilisierung können das Gewaltpotenzial reduzieren. Zugleich wird mit landwirtschaftlichen Programmen und Beratung die Armut bekämpft.

Damit dies nachhaltig gelingt, müssen staatliche und regierungsunabhängige Organisationen in die Arbeit langfristig eingebunden werden. Das SSC gibt mit seiner praxisbezogenen Ausbildung dabei wegweisende Anstöße. Sehr nützlich ist die Kooperation des College mit der Friedensbewegung MPPM.

Insgesamt gilt, dass friedenssichernde Programme Wirkung vor allem im unmittelbaren Umfeld der jeweiligen Maßnahmen erzielen. Rahmenbedingungen setzen dem Programm der Armutsbekämpfung und der Friedenssicherung Grenzen.

Bei Aufbau und Leitung von Kommunalverwaltungen benötigen ehemalige Befreiungskämpfer ohne administrative Erfahrung Unterstützung. Für den Friedensprozess auf den Philippinen wird das Demokratieverständnis oder besser das Demokratiedefizit des philippinischen Establishments weiterhin eine unberechenbare Größe bleiben.

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