Unsere Sicht

Digitalisierung erfordert Privatwirtschaft und Staatshandeln

Selbst in den am wenigsten entwickelten Ländern hat sich digitale Technik in den vergangenen zwei Jahrzehnten schnell etabliert. Dafür haben Privatunternehmen gesorgt. Handys sind relativ billig, und ihr Betrieb erfordert weder ein aufwendiges Festnetz noch komplexe Stromversorgung. Solare Ladegeräte reichen.
Mobiltelefone und digitaler Zahlungsverkehr sind in Afrika heute Normalität. KO Mobiltelefone und digitaler Zahlungsverkehr sind in Afrika heute Normalität.

Der digitale Fortschritt verläuft schneller als in vielen anderen Sektoren, für die sich die Entwicklungspolitik interessiert. In Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen haben viele Städte heute Technologieparks, in denen Start-ups nützliche Apps entwickeln, die das Alltagsleben erleichtern.

Dass Privatunternehmen Mobilfunk und mobilen Zahlungsverkehr in Afrika möglich machten, ist weithin bekannt. Weniger bekannt ist, dass staatliche Geber­institutionen auch eine Rolle spielten. Die DEG, die zur KfW-Bankengruppe gehört und Privatinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern fördert, war eine frühe Anteilseignerin von Celtel. Mo Ibrahim hatte die Firma gegründet, um afrikanische Mobilfunknetze aufzubauen.

Später unterstützte dann das britische Entwicklungsministerium (DfID – Department for International Development) die Entwicklung von M-Pesa, dem digitalen Geldtransfersystem in Kenia. Leider wurde DfID im Zuge des Brexit ins Außenministerium eingegliedert und dient nicht mehr als kreativer Impulsgeber der internationalen Entwicklungspolitik.

Schulen werden noch wichtiger  

Damit ein Land digitale Technik optimal nutzen kann, muss seine Regierung Verantwortung übernehmen. Formale Bildung wird immer wichtiger. Zwar gibt es Apps für Analphabeten, aber wer lesen kann, hat Zugang zu viel mehr Information. Internationale Debatten laufen zudem auf Englisch, Französisch und Spanisch, nicht in afrikanischen oder asiatischen Regionalsprachen.

Anfänglich wuchs die Digitalwirtschaft weitgehend ohne Regulierungen. Bis in die 1990er-Jahre waren Silicon-Valley-Konzerne dafür bekannt, kaum Lobbyarbeit in Washington zu betreiben. Heute gehören sie zu den Lobbyriesen. Der Wendepunkt war das Kartellverfahren gegen Microsoft.

Wie schon mehrfach zuvor in der Wirtschaftsgeschichte war deutlich geworden, dass monopolistische Strukturen entstehen, wenn Marktkräfte sich selbst überlassen bleiben. Folglich bemühen sich IT-Konzerne heute, politische Debatten in ihrem Sinne zu steuern. Tatsächlich brauchen wir bessere internationale Regeln. Die sozialen Medien, die für die öffentliche Meinungsbildung wichtiger werden, gehören gewinnmaximierenden Unternehmen, die nach Gutdünken agieren. Sie entscheiden, wie sie mit Lügen und Propaganda umgehen, und es steht ihnen auch frei, ihre Regeln nicht konsistent einzuhalten.

Die Unternehmen werden ihrer Verantwortung oft nicht gerecht. Hassrhetorik und antidemokratische Agitation sind weit verbreitet. Zudem bleiben in afrikanischen und asiatischen Sprachen Inhalte meist völlig unmoderiert.

Die Menschenrechtsorganisation Freedom House warnt, dass immer mehr Regierungen Grundrechte im Netz beschränken. Diese Rechte gilt es also in internationalen und multilateralen Kontexten zu verteidigen.

Die Menschheit steht vor riesigen Herausforderungen, etwa der Klimakrise. Digitale Technik kann zu den Lösungen beitragen. Wenn sie dem Gemeinwohl dienen soll, darf sie aber nicht einfach dem Markt überlassen bleiben. Staatshandeln darf Fortschritt nicht unterbinden – muss aber oligopolistische Macht verhindern. Für künstliche Intelligenz gilt das besonders.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu