Heutzutage

Eine neue Existenz

Egal, wie gut es ihnen in der Heimat ging – nach ihrer Flucht in den Libanon stehen viele Syrer vor dem Nichts. Selbsthilfeorganisationen unterstützen Frauen beim Neuanfang.
Mona Naggar Mona Naggar Mona Naggar

Maryam hält ein Stück Stoff in der Hand, das sie mit rotem Garn bestickt. Seit drei Tagen sitzt die 35-Jährige an dieser Arbeit, einer Tasche mit einem bunten Blumenmuster. Jeden Werktag kommt Maryam in diese Werkstatt für Handarbeit in Beirut. Hier sitzt sie mit anderen Frauen in einem großen Raum und stickt.

Mit dem Verkauf der Taschen, Kissenbezüge oder Schals kann Maryam, die aus der syrischen Stadt Homs stammt, zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen. Darauf ist die Mutter von sieben Kindern stolz: „In Syrien habe ich auch gestickt, aber als privates Vergnügen. Jetzt kann ich damit Geld verdienen."

Im Mai 2013 eröffnete die Organisation Basmeh & Zeitoneeh (auf Deutsch: ein Lächeln und eine Olive) in Beirut diese Werkstatt für syrische Flüchtlingsfrauen. Die 48-jährige Um Jihad, eine erfahrene Stickerin, leitet sie. Bereits im Alter von zehn Jahren habe sie mit dem Kunsthandwerk angefangen, erzählt die schmächtige Frau aus Damaskus. Nun bringt sie es anderen Frauen bei. Die exilsyrische Organisation stellt den Frauen das Material zur Verfügung, kauft ihnen die fertigen Arbeiten ab und vermarktet sie. „Wir kommen kaum nach mit den Bestellungen. Es läuft sehr gut", sagt Um Jihad. Basmeh & Zeitoneeh verkauft die Stickereien auf Märkten in Beirut und bekommt sogar Aufträge aus dem Ausland.

Ungefähr 100 Frauen arbeiten in zwei Schichten in der Werkstatt. Sie kommen aus verschiedenen Teilen Syriens. Sie gehören zu der rund einen Million Syrer, die seit Ausbruch des Krieges in das Nachbarland Libanon geflüchtet sind. Die Hilfe, die sie von humanitären Organisationen bekommen, wie kleinere Geldbeträge für Winterkleidung und Lebensmittel, reicht kaum zum Leben. Syrer, die in ihrer Heimat gut über die Runden kamen, finden sich im libanesischen Exil plötzlich in völliger Armut wieder.

So ging es auch Um Nour – die 39-jährige Grundschullehrerin lernte deswegen bei Basmeh & Zeitoneeh sticken. „In Syrien ging es mir gut. Ich wollte ein Auto kaufen, aber dann mussten wir weg. Ich hatte nichts dabei, keinen Koffer – nichts", sagt die zierliche Frau mit den braunen Haaren. In Beirut musste die Mutter eines Kindes wieder bei null anfangen. Mit dem Geld, das sie durch die Stickerei verdiene, könne sie nun jeden Monat genug für die Miete verdienen.

Ein Ende des Krieges in Syrien ist nicht in Sicht. Die Flüchtlinge im Libanon und humanitäre Organisationen müssen sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen.

Gefragt sind jetzt Projekte, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und eine länger­fristige Perspektive eröffnen – wie zum Beispiel Basmeh & Zeitoneeh.

 

Mona Naggar ist Journalistin und Medientrainerin. Sie lebt in Beirut.
mona.naggar@googlemail.com