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Katz und Maus

Die Einsätze der Mission Atalanta vor Somalias Küste gelten als erfolgreich. Doch zu keinem Zeitpunkt waren die EU-Einheiten in der Lage, das Piraterieproblem zu lösen. In Somalia gibt es seit Jahrzehnten kein staatliches Gewaltmonopol.

Von Lorenz Hemicker

Horn von Afrika, Mitte August. Ein Schiff der deutschen Marine kreuzt vor der somalischen Küste. Die „Sachsen“ gehört zur EU NAVFOR, einem militärischen Seeverband der Europäischen Union, der Piraterie verhindern soll. Sie ist erst vor einer Woche zum Verband gestoßen, da erreichen ihre Kommandobrücke schon Nachrichten der „La Fayette.“ Die französische Fregatte hat ein verdächtiges Boot ausgemacht. Kurz darauf steigt ein Bordhubschrauber vom Achterdeck der „Sachsen“ auf. Gleichzeitig startet in Dschibuti ein Aufklärungsflugzeug, um das riesige Seegebiet von oben abzusuchen.

Die Piloten werden fündig. Deutschlands „Sachsen“ setzt Kurs auf das verdächtige Boot, eine Dhau, und fährt volle Kraft voraus. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Die Piraten versuchen, mit mehreren Geiseln, sich an die Küste zu retten. Am Ende eines dreitägigen Wettlaufs siegen die Marinesoldaten. Die somalischen Piraten werfen ihre Waffen weg, geben den Geiseln, Besatzungsmitglieder der Dhau, das Schiff zurück. Als Freibeuter werden sie dann nach Rotterdam geschafft. Auf sie wartet ein Gericht.

Piratenjagden wie diese, mit glücklichem Ausgang, lesen die Deutschen gern. Sie stehen im Atalanta-Blog der Deutschen Marine, geschrieben von Maike H., einem 25-jährigen weiblichen Oberleutnant zur See. Ihr Bericht erhärtet das Bild einer sinnvollen EU-Mission unter Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das deutsche Bürger ohnehin haben. Besonders überzeugend ist der humanitäre Zweck. Deshalb nimmt die Bundesrepublik auch ständig mit mindestens einem Flugzeug oder Schiff am Flottenverband teil.

332 Soldaten der Bundeswehr sind aktuell im Atalanta-Einsatz. Das laufende Mandat des Deutschen Bundestags würde es sogar erlauben, bis zu 1400 Soldaten dorthin zu schicken. Deutschlands Auftrag entspricht auch den Zielen der übrigen Entsendestaaten Europas: Sie wollen verhindern, dass Lieferungen des Welternährungsprogramms in die Hände von Piraten gelangen. Außerdem soll die EU-Flotte, zusammen mit Nato-Verbänden und Kriegsschiffen anderer Staaten, den zivilen Schiffsverkehr auf einer wichtigen globalen Schifffahrtsroute sichern.

Riesige Zusatzaufgaben

Teilnehmer der Operation Atalanta kämpfen damit gegen Geiselnahmen, Schifffahrtsentführungen und Lösegelderpressungen. Um Somalia zu stabilisieren, werden auch logistische Transporte der Somalia-Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) geschützt. Die durchschnittlich vier bis sieben Schiffe sowie zwei bis drei maritimen Aufklärungsflugzeuge übernehmen dabei gewaltige Aufgaben in einem Seegebiet, das mittlerweile vom südlichen Roten Meer über den Golf von Aden bis weit in den Indischen Ozean reicht. Es ist vier Millionen Quadrat­kilometer groß – zehnmal größer als Deutschland.

Was ihren Primärauftrag – die Sicherung der Nahrungsmittelhilfe – angeht, kann die Europäische Union eine makellose Weste vorweisen. Hundert Prozent der mit Nahrungsmitteln beladenen Schiffe des Welternährungsprogramms (WFP) gelangten seit Beginn der Operation im Dezember 2008 sicher ans Ziel. Der Begleitschutz läuft stets ähnlich, wie ihn die Offizierin Maike H. im Atalanta-Blog beschreibt: Sie schildert, wie ihre „Sachsen“ einen mit Mais, Keksen und Weizen beladenen Frachter des WFP vor der Hafenstadt Bebera in Empfang nimmt und entlang der nordsomalischen Küste eskortiert, wo die meisten Piraten-Stützpunkte liegen. Zwei Tage lang geht es gen Osten bis Boosaaso im Norden der Provinz Puntland. Dort übergibt die Fregatte das Schiff des WFP an die Hafenbehörde, und seine Besatzung kann sich neuen Aufgaben widmen – wie etwa dem Sekundärziel, dem Schutz der zivilen Schifffahrt.

Seestraße weiter bedroht

In diesem Bereich sind die Soldaten weniger erfolgreich. Rund um das Horn von Afrika führt eine der am dichtesten befahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Als Hauptschlagader verbindet sie Asien und Europa, das durch den Golf von Aden die Hälfte seines Außenhandels verschifft – Waren im Wert von 335 Milliarden Euro. Seeräuber können dort ständig Beute machen. Für den Zeitraum von 2009 bis Mitte September 2012 verzeichnet die EU Naval Force insgesamt 423 Angriffe auf zivile Schiffe. Ihr zufolge schafften es Piraten in 123 Fällen, Schiffe zu kapern. Gegenwärtig befinden sich sechs größere Zivilschiffe in der Gewalt von Piraten; schätzungsweise 177 Geiseln sind gefangen, manche von ihnen seit Jahren.

Die ständige Bedrohung ist der Bundesregierung ein Dorn im Auge, zählt doch der ungehinderte Welthandel zu den wichtigsten Zielen deutscher Sicherheitspolitik. Zwar ging die Zahl der Angriffe durch Piraten in den vergangenen Monaten zurück. Das könnte am in diesem Jahr besonders starken Sommermonsun liegen, der die Freibeuter durch hohen Seegang einschränkt, oder auch an den privaten Schutzkräften, die inzwischen auf vielen Handelsschiffen angeheuert wurden.

Auch die Präsenz der internationalen Seestreitkräfte mag ihren Anteil haben. Als alleinige Ursache taugt sie indes nicht, schon wegen der Größe des Seegebiets. Zu keinem Zeitpunkt waren die EU-Einheiten bisher in der Lage, auch nicht gemeinsam mit Nato-Verbänden und Schiffen anderer Staaten, das gesamte Einsatzareal im Indischen Ozean zu kontrollieren. Selbst eine seeseitige Blockade in Küstenähe würde nichts nützen, heißt es aus militärischen Kreisen. Mit den gegenwärtigen Einheiten wäre sie „so löchrig wie ein Schweizer Käse“.

Um die schätzungsweise 3000 bis 5000 Piraten wirksam zu bekämpfen, müssten die Europäer deren Camps an Land auflösen, ihre Logistik und ihre Schiffe zerstören. Inzwischen ist das zwar erlaubt, aber auch nur eingeschränkt. Für deutsche Einsatzkräfte gilt ein Streifen von bis zu 2000 Metern, in dem sie gegen Piraten vorgehen dürfen – und auch nur aus der Luft, nicht vom Boden aus.

Führende Vertreter im deutschen Verteidigungsministerium gestehen ein, dass das Problem damit ungelöst bleibt. „Was wir auf See und am Strand machen, ist Symptombekämpfung“, sagte Ende August Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. „Wenn wir nicht an die Wurzeln der Piraterie gehen, werden wir Atalanta noch in 50 Jahren betreiben.“ Um das Problem dort zu packen, müssten in Kossendeys Augen Somalia und seine benachbarten Regionen eigenständig gegen die Piraterie vorgehen können. Dazu aber fehlt in Somalia auch nach den Präsidentenwahlen im September ein halbwegs funktionierender Staat. Und ohne staatliches Gewaltmonopol ist eine positive Entwicklung unmöglich.

Die Europäische Union hat darum begonnen, in der Region Sicherheitskräfte auszubilden. In Uganda bilden Europäer seit 2010 im Rahmen der European Training Mission Somalia (EUTM) zusammen mit ugandischen Streitkräften Tausende Soldaten der somalischen Regierung aus. Hinzu kommt seit Sommer dieses Jahres eine zivile Mission: EUCAP Nestor hilft beim Aufbau von Küstenwachen in Somalia und den Anrainerstaaten.

Manche Stimmen in Deutschland fordern noch mehr, etwa konsequenter gegen die hinter den Piraten stehenden Führer, Unterhändler und Investoren vorzugehen. Es reiche nicht, jene zu bekämpfen, die ein Schiff angreifen, es müssten auch alle juristisch verfolgt werden, die von Lösegeld und anderen Erlösen krimineller Geschäfte profitieren, heißt es.

„Die Krux an der Sache“, sagt ein deutscher Admiral, „ist letztlich, dass die Piraterie nur dann verschwindet, wenn wir mit aller Macht einen somalischen Staat aufzubauen helfen.“ Doch das braucht Zeit. Die EU-Mission Atalanta läuft noch bis 2014. Besteht das Piraterieproblem weiter, so viel scheint sicher, wird sie verlängert.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.