Indigene Rechte

Mangelhafte Umsetzung

Die Rechte indigener Völker in Lateinamerika werden heute weitaus besser geschützt als früher. So schreiben 15 der 19 lateinamerikanischen Staaten eine Beteiligung betroffener indigener Gruppen beim Rohstoffabbau gesetzlich vor. In der Praxis sind die Anhörungen jedoch häufig mangelhaft. Anstatt Konflikte zu entschärfen, tragen sie in manchen Fällen sogar zu deren Eskala­tion bei.
Angehörige indigener Völker machen Musik auf einer Demonstration für ihre Rechte in Santiago, Chile. Demotix/picture-alliance Angehörige indigener Völker machen Musik auf einer Demonstration für ihre Rechte in Santiago, Chile.

Lateinamerika erlebt einen Rohstoffboom. Seit den 1990er Jahren nehmen die Exporte von Gütern aus dem Bergbau-, Erdöl- und Erdgassektor stark zu, seit der Jahrtausendwende schnellen außerdem die ausländischen Investitionen in diesen Bereichen in die Höhe. Häufig geschieht der Rohstoffabbau in Gegenden mit indigener Bevölkerung (siehe hierzu Artikel von Sheila Mysorekar). Deren Rechte werden seit den 1990er Jahren verstärkt anerkannt. 1991 trat das ILO-Übereinkommen 169 über die Rechte indigener Völker in Kraft; 15 lateinamerikanische Staaten haben es ratifiziert.

Von besonderer Bedeutung ist das Recht auf vorherige Anhörung, das die Studie „Rohstoffabbau in Lateinamerika: Fehlende Bürgerbeteiligung schürt Konflikte“ des GIGA-Instituts für Lateinamerikastudien untersucht. Demnach müssen indigene Gruppen, die von Gesetzen oder Projekten betroffen sind, vor deren Verabschiedung beziehungsweise Durchführung konsultiert werden. Dieses Recht geht über das Recht der nichtindigenen lokalen Bevölkerung hinaus, die zwar ebenfalls über Großprojekte informiert, aber nicht in gleichem Umfang beteiligt werden muss.

Die Konsultationen indigener Gruppen sollen mögliche Menschenrechtsverletzungen und Bedenken der Anwohner im Zusammenhang mit geplanten Projekten sichtbar und gemeinsame Lösungen möglich machen. Diese können zum Beispiel in einer Veränderung des Projekts, in Kontrollmechanismen oder in einer Teilhabe der Betroffenen an den erwarteten Gewinnen bestehen. Ziele sind auch Umweltschutz und der Erhalt der Biodiversität.

Die Autoren der Studie haben allerdings große Mängel bei der Umsetzung der Mitbestimmungsrechte indigener Völker im Zusammenhang mit dem Rohstoffabbau festgestellt. Sowohl lateinamerikanische Regierungen als auch die großen Rohstoffkonzerne boykottieren demnach die entsprechenden Gesetze. Konsultationen fänden entweder gar nicht statt oder zu spät, sie würden unter Zeitdruck durchgezogen oder falsche oder mangelhafte Informationen zur Verfügung gestellt.

Auch die indigenen Gruppen trifft Kritik: Sie nutzten die Anhörungen vor allem dazu, möglichst hohe Entschädigungen und Zuwendungen auszuhandeln. Der Schutz von Menschenrechten und der Umwelt stehe hingegen nicht im Vordergrund.

Die Autoren der Studie identifizieren drei Hauptgründe für die Mängel der gegenwärtigen Form der Beteiligung:

  • Extreme Machtunterschiede zwischen Staat und Unternehmen auf der einen und indigenen Organisationen auf der anderen Seite machen einen gleichberechtigten Dialog fast unmöglich.
  • Gemeinsame Lösungen und echte Kompromisse werden nicht ernsthaft angestrebt. Die Anliegen und Vorschläge konsultierter Gruppen werden nicht ernst genommen.
  • Den staatlichen Institutionen fehlen politischer Wille und Unabhängigkeit, um für einen gerechten Interessenausgleich zwischen wirtschaftlichen Zielen und sozialen, kulturellen und ökologischen Anliegen zu sorgen.

Fehlende oder mangelhafte Bürgerbeteiligung schürt in vielen Ländern Lateinamerikas Konflikte und führt zu Protesten der Bevölkerung, die zum Teil in Gewalt münden. Allein in Peru, dessen Parlament das Gesetz zur vorherigen Anhörung 2011 verabschiedet hat, starben seitdem Dutzende Menschen in Ressourcenkonflikten. Somit trägt das verbriefte Recht in der Realität wenig zum Schutz indigener Rechte bei. Stattdessen bergen mangelhafte Beteiligungsverfahren der Studie zufolge das Risiko, dass marginalisierte Gruppen noch weiter marginalisiert werden und dass die Positionen sich verhärten und Konflikte eskalieren.

Katja Dombrowski


Links:
GIGA-Studie:
https://www.giga-hamburg.de/de/publication/rohstoffabbau-in-lateinamerika-fehlende-b%c3%bcrgerbeteiligung-sch%c3%bcrt-konflikte
Atlas über Ressourcenkonflikte:
http://ejatlas.org

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.