Interkontinentale Freihandelszone

Ein Meilenstein für Afrikas Handel

Am 1. Januar 2021 fiel das Startsignal für die afrikanische kontinentale Freihandelszone (African Continental Free Trade Area – AfCFTA). Für den Kontinent bietet das riesige Chancen und weckt die Hoffnung, dass sich viele Handelsbarrieren schrittweise lösen könnten.
Die neue kontinentale Freihandelszone schafft Chancen für Afrika: Arbeiter einer Fabrik für Natrium­silikat in Kenia. Ron Giling/Lineair Die neue kontinentale Freihandelszone schafft Chancen für Afrika: Arbeiter einer Fabrik für Natrium­silikat in Kenia.

Das Abkommen tritt zu einer Zeit in Kraft, in der sich ein Großteil der Welt von Kooperation und Freihandel abwendet. Die Weltwirtschaft befindet sich aufgrund der Covid-19-Pandemie zwischen Stagnation und Rezession. Für Afrika ist die Schaffung des riesigen, regionalen AfCFTA-Marktes eine große Chance: Sie kann den Ländern helfen, ihre Exporte zu diversifizieren, das Wachstum zu beschleunigen und ausländische Direktinvestitionen anzuziehen.

Noch immer sind viele afrikanische Länder auf Einnahmen aus Rohstoffexporten angewiesen, während die Industrialisierung auf sich warten lässt. Investitionsgüter oder Lebensmittelerzeugnisse werden überwiegend von außerhalb des Kontinents importiert. Mit einem Welthandelsanteil von weniger als drei Prozent hat Afrika die Diversifizierung seiner Exporte erst noch zu leisten. Und: Nur 17 Prozent der afrikanischen Exporte sind intrakontinental, verglichen mit 68 Prozent in der Europäischen Union.

Der innerafrikanische Handel bleibt also weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Wichtige Voraussetzungen für Veränderung wären, nichttarifäre Hemmnisse zu beseitigen. Dazu gehören unkoordinierte bürokratische Verfahren, lange Wartezeiten an der Grenze oder zeitraubende und hinderliche Ausfuhrbestimmungen. Derlei erhöht bislang die Handelskosten auf dem Kontinent. Hinzu kommt eine unzureichende Verkehrs- und Logistikinfrastruktur. Afrika hat sich deshalb schneller mit dem Rest der Welt als innerkontinental verbunden.

Mit der AfCFTA soll sich das nun ändern. Es entsteht – gemessen an der Anzahl der Länder – die größte Freihandelszone der Welt. Der Pakt verbindet 1,3 Milliarden Menschen in 54 Ländern mit einem kumulierten Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3,4 Billionen Dollar.

Ziel der AfCFTA ist es, Handelskosten zu senken und Afrika eine weitere Integration in die globalen Lieferketten zu ermöglichen. Über 90 Prozent der innerafrikanischen Zölle sollen beseitigt, nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut und ein einheitlicher Binnenmarkt mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr geschaffen werden. Gleichzeitig sollen Bürokratie abgebaut und Zollverfahren vereinfacht werden. Diese Maßnahmen werden zu erheblichen Einkommensgewinnen führen. Über den Handel hinaus befasst sich AfCFTA auch mit der Bewegung von Personen und Arbeitnehmern, Wettbewerb, Investitionen und geistigem Eigentum.


Überkontinentaler Handel

Langfristig soll nicht nur der innerafrikanische Handel, sondern auch der Handel mit anderen Kontinenten von der Freihandelszone profitieren. Sie soll beispielsweise Investitionen und Handel mit Partner aus der EU erleichtern. Zudem soll sie nachhaltiges Wirtschaftswachstum und regionale Integration auf dem heute stark fragmentierten afrikanischen Kontinent fördern. Richtig umgesetzt, kann sie das Wirtschaftswachstum Afrikas ankurbeln und nachhaltige Arbeitsplätze für Millionen von Menschen schaffen. Damit kann die AfCFTA zur Verringerung der Armut beitragen, da sie die strukturellen wirtschaftlichen Gründe von Entwicklungsrückständen angeht.

Das sieht auch die Weltbank so. Sie geht davon aus, dass die AfCFTA das regionale Einkommen bis 2035 um sieben Prozent oder 450 Milliarden Dollar steigern wird. Besonders profitieren sollen demnach von dem zu erwartenden Lohnwachstum bis 2035 mehr als 30 Millionen Menschen, die aus der extremen Armut befreit werden könnten. Gleichzeitig erwartet die Weltbank, dass auch die Löhne für qualifizierte und ungelernte Arbeitskräfte um rund 10 Prozent steigen werden.


Arbeitsplätze schaffen

Bei erfolgreicher Umsetzung kann das Abkommen die Exporte Afrikas um 560 Milliarden Dollar steigern, hauptsächlich im wichtigen verarbeitenden Gewerbe (siehe World Economic Forum, 2021). Dadurch würden dringend benötigte Arbeitsplätze für die jungen Bevölkerungen Afrikas geschaffen werden. Laut der Mo Ibrahim Foundation könnte die AfCFTA bei erfolgreicher Umsetzung bis 2030 kombinierte Konsum- und Geschäftsausgaben von 6700 Milliarden Dollar generieren. Darüber hinaus werden Märkte und Volkswirtschaften in der Region umgestaltet, was zur Schaffung der dringend benötigten weiterverarbeitenden Industrien und zur Expansion von Schlüsselsektoren führen wird. Im Ergebnis würde dies die afrikanischen Länder global wettbewerbsfähiger machen.

Die AfCFTA kann aber noch mehr leisten, wenn sie gelingt. Durch das Konzept der „Handelsintegrität“ besteht die Möglichkeit, gute Regierungsführung in vielen Ländern Afrikas von einer ganz neuen Seite her zu fördern. Da der Handel innerhalb der Freihandelszone auf eine einheitliche Rechtsbasis gestellt wird, die auf den Prinzipien der Legalität und Transparenz aufbauen, würde die Verbreitung von illegal beschafften oder produzierten Waren automatisch erschwert werden. Das gilt etwa für den Verkauf von illegal geförderten Rohstoffen oder Gütern, die durch Kinderarbeit hergestellt wurden. Im Umkehrschluss müssten die Mitgliedsländer die Einhaltung der vereinbarten Standards strenger selbst kontrollieren, was die Qualität ihrer Regierungsführung verbessern würde.


Anstehende Herausforderungen

Gleichzeitig müssen wir auch die noch zu lösenden Herausforderungen bei dem historischen Unterfangen AfCFTA benennen. Gute Intentionen reichen nicht. Auf die Umsetzung kommt es an. Allen voran muss es deshalb nun gelingen, die Implementierung des Abkommens kontinuierlich weiter voranzubringen. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel des Afrikanischen Zentrums für wirtschaftliche Transformation zeigt auf, wie das Abkommen die wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen und Afrika helfen wird, „dem kolonialen Erbe zu entkommen“. Das Zentrum betont jedoch, dass „der Teufel in der Umsetzung steckt“, und empfiehlt einen Bottom-up-Ansatz, der sich auf nationale Probleme konzentriert, die grenzüberschreitende Lösungen wie gemeinsame Wasserressourcen sowie regionale Infrastrukturprojekte erfordern.

Das Thema Infrastruktur spielt für den Erfolg der AfCFTA eine Schlüsselrolle. Laut der Afrikanischen Entwicklungsbank ist der Infrastrukturbedarf Afrikas mit 130 bis 170 Milliarden Dollar pro Jahr beträchtlich. Die Finanzierungslücke liegt zwischen 68 und 108 Milliarden Dollar. Europa sollte die Chance ergreifen und zur Schließung dieser Lücke und der Realisierung der notwendigen Infrastrukturprojekte beitragen. Die EU könnte dafür einen gemeinsamen Infrastrukturfonds auflegen.

Der Fonds könnte dadurch nicht nur die Weiterentwicklung der afrikanischen Freihandelszone effektiv unterstützen, sondern deutsche und europäische Unternehmen könnten in Infrastrukturprojekten in Afrika tätig werden. Diese werden aktuell noch viel zu oft von der unsicheren Finanzierungslage möglicher Projekte abgeschreckt, was dazu führt, dass Investitionen nicht getätigt werden.

Deutschland und die EU sollten ihre Bemühungen dafür intensivieren, dass mit Hilfe der AfCFTA der innerafrikanische Handel verstärkt wird. Beispielsweise müsste die AU-Kommission bei den Verhandlungsprozessen gestärkt werden, damit die in der Afrikanischen Union (AU) getroffenen Entscheidungen durch die nationalen Regierungen auch zügig umgesetzt werden. Die Umsetzung des Abkommens, die fortschreitende Integration der Freihandelszone und die Verhandlungen zum Abbau von Handelshemmnissen zwischen ihnen werden noch einige Zeit entscheidend bleiben.

Um konkrete Ergebnisse zu erzielen, muss aber auch sichergestellt werden, dass der Privatsektor die neuen Marktchancen nutzen kann. Um Investitionen anzuziehen – ob lokal, regional oder aus Drittländern –, müssen die afrikanischen Länder die Rahmenbedingungen weiter verbessern und Handelserleichterungen realisieren. Auch hier kann die Europäische der Afrikanischen Union unterstützend zur Seite stehen. Eine vollständig umgesetzte AfCFTA wäre nicht nur ein Meilenstein für Afrika, sondern könnte auch die Tür zu einem ganz neuen Kapitel der Beziehungen zwischen Afrika und Europa öffnen.


Link
World Economic Forum (WEF), 2021: 6 reasons why Africa’s new free trade area is a global game changer
https://www.weforum.org/agenda/2021/02/afcfta-africa-free-trade-global-game-changer


Christoph Kannengießer ist Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft e.V.
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www.afrikaverein.de