Saatgut

Optimaler Schutz

Im Jahr 2050 werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die ernährt werden müssen. Der Fleischkonsum nimmt zu, doch ist die Produktion tierischer Erzeugnisse weit aufwendiger als die pflanzlicher Lebensmittel. Weil durch Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Verstädterung landwirtschaftliche Flächen schwinden, müssen künftig weniger Äcker mehr Ertrag bringen. Das ist ohne ­innovative Pflanzenzüchtung nicht möglich.


[ Von Christoph Herrlinger ]

In Deutschland vervierfachte sich zwischen 1952 und 2005 der Ertrag von Winterweizen – rund 40 Prozent davon dank Pflanzenzüchtung. Ähnlich sieht es bei anderen Getreidearten aus. Auch in Entwick­lungsländern stiegen die Weizenerträge zwischen 1950 und 2004 um 400 Prozent. Dieses Phänomen wurde als „Green Revolution“ bekannt; Norman Borlaug erhielt für seine Verdienste den Friedensnobelpreis.

Innovative Pflanzenzüchtung kann viel bewirken, ist aber aufwendig. Es dauert selbst mit modernen Methoden rund zehn Jahre, eine neue Pflanzensorte zu entwickeln. Je Sorte kostet das in Europa mindestens drei Millionen Euro. Pflanzenzüchter investieren etwa 16 Prozent ihres Umsatzes in die Entwicklung neuer Sorten (BDP-Geschäftsbericht 2009/10) – mehr als andere forschungsintensive Branchen.

Ist das Saatgut – das die „Fabrik“ zu seiner Vermehrung gleich mitliefert – einer neuen und guten Sorte einmal aus der Hand gegeben, gelangt es schnell in viele andere Hände. Die Allgemeinheit profitiert – der Züchter aber geht unter Umständen leer aus und kann keine neuen Sorten mehr züchten. Damit das nicht passiert, ist Schutz geistigen Eigentums für Pflanzenzüchter besonders wichtig.

Aufgaben und Formen geistigen Eigentums

Schutz geistigen Eigentums hat viele Formen. Dazu zählen:
– Betriebsgeheimnisse,
– Verträge,
– Marken,
– Patente und
– Sortenschutz.

Patente, Marken und Sortenschutz wirken gegen­über jedermann. Das hat Vorteile: Der Schutzrechtsinhaber kann der Welt sein Wissen zur Verfügung stellen – bei Patenten ist das Erteilungsvoraussetzung –, aber niemand kann seine Erfindung nutzen, ohne ihn zu beteiligen. Schutzrechte sind daher grundsätzlich innovationsfreundlich.

Schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hielt man das Patentrecht für den Schutz von Pflanzensorten nicht für optimal. Häufig fehlte es an den Patentierungskriterien der Erfindungshöhe und der Wiederholbarkeit der Ergebnisse, denn viele Züchtungsziele, wie etwa Ertragssteigerungen, und auch die Wege dorthin – Kreuzung und Selektion –, sind zwar mühsam, letztlich aber naheliegend und nicht erfinderisch.

Der Sortenschutz

Das optimale Schutzrecht für Pflanzensorten ist der Sortenschutz gemäß der UPOV-Konvention. Um Sortenschutz zu erlangen, muss eine Sorte
– unterscheidbar (distinct),
– homogen (uniform),
– beständig (stable) sowie
– neu sein.

Anhand dieser DUS-Kriterien sind neue Sorten leicht prüfbar. Auch kleine Züchter, für die Schutzrechtsrecherchen und -anträge zu teuer wären, können so Züchtungen anmelden. Das Schutzrecht wird am äußeren Erscheinungsbild der Sorte, dem Phänotyp, festgemacht. Züchter und Landwirte erkennen sofort, ob es sich um eine geschützte Sorte handelt.

Aus den DUS-Kriterien und dem Neuheitserfordernis folgt auch, dass traditionelle Sorten nicht geschützt werden können. Landwirte haben also die Wahl zwischen freien oder geschützten Sorten.

Der Sortenschutz nach UPOV 1991 sieht Ausnahmen vor. Subsistenzlandwirte etwa dürfen zur Existenzsicherung auch geschütztes Material nutzen. Die Mitgliedstaaten der UPOV können außerdem bestimmen, dass Landwirte bestimmtes Erntegut im eigenen Betrieb wieder aussäen dürfen – sofern sie dem Züchter eine angemessene Entschädigung zahlen. Vielerorts sind Kleinlandwirte von der Entschädigungspflicht ausgenommen.

Züchtervorbehalt

Entscheidendes Merkmal des Sortenschutzes ist aber der Züchtervorbehalt (Lange, 1993). Demnach darf jeder geschützte Sorten zur Züchtung neuer Sorten frei verwenden und so entwickelte neue Sorten frei vermarkten. Sortenschutz schützt nicht die Gene, sondern deren einmalige Kombination, die in ihrer phänotypischen Ausprägung die Sorte ausmacht. Diese ist geschützt. Der Züchter darf aber niemandem verbieten, die genetischen Bausteine neu zu kombinieren.

So wie Farben nicht einem einzelnen Maler gehören, sind die Gene grundsätzlich nicht Eigentum des einzelnen Züchters. Beide haben Anspruch auf Schutz ihres Werkes, müssen aber akzeptieren, dass andere aus den Farben bzw. den genetischen Bausteinen ihrer Komposition wieder Neues erschaffen.

Der Züchtervorbehalt ist an den Vorgang des Züchtens gebunden. Jeder, der kreuzt und selektiert, kann ihn in Anspruch nehmen. Die Bezeichnung „Züchtungsvorbehalt“ wäre daher treffender.

Dem Missbrauch des Züchtervorbehalts beugt der Sortenschutz durch das Konzept der im Wesentlichen abgeleiteten Sorte vor: Sorten, die gegenüber der geschützten Ausgangssorte in einzelnen Eigenschaften verändert sind, ihr ansonsten aber stark gleichen, sind von der Ausgangssorte abhängig, wenn diese beim Züchten vorwiegend verwendet wurde. Die Vermarktung der im Wesentlichen abgeleiteten Sorte ist von der Zustimmung des Züchters der geschützten Ausgangssorte abhängig. Dies fördert Züchtungsfortschritt und Sortenvielfalt; davon profitieren besonders die Landwirte, da sie zwischen einer Vielzahl von Anbietern und Produkten wählen können.

Biopatentrichtlinie

Das Patentrecht hat in der Pflanzenzüchtung ergänzende Bedeutung. Sorten sind nur in den USA patentierbar.

Patente sind wichtig
– für den Schutz von Innovationen vor der Sortenentwicklung oder
– für isolierte Gene, die in genetische Hintergründe eingebracht werden, in denen sie natürlicherweise nicht vorkommen.

Die sogenannte Biopatentrichtlinie der EU hat kein neues Recht begründet, sondern versucht, Klarheit in die bestehende Praxis zu bringen – was jedoch nicht vollständig gelungen ist. So ist beispielsweise nicht geklärt, was unter einem „im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen“ zu verstehen ist, das von der Patentierbarkeit ausgenommen ist. Derzeit liegt diese Frage als „Brokkoli-Fall“ der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes vor. Unklar ist auch, wie weit Verfahrenspatente auf Pflanzen als unmittelbare Erzeugnisse dieser Verfahren reichen und ob es sich nach wiederholter Vermehrung noch um ein „unmittelbares“ Verfahrenserzeugnis handelt.

Problematisch ist auch die Schnittstelle zwischen Patent und Sortenschutz. Seit der „Novartis-Entscheidung“ kann ein Patent auch für eine sortenzugehörige Pflanze erteilt werden, wenn der Gegenstand der Erfindung nicht auf diese eine Sorte beschränkt ist. Die Schutzrechte überschneiden sich somit potentiell.

Die Schnittstelle zwischen Sortenschutz und Patentschutz

Das Patentrecht kennt keinen Züchtungsvorbehalt, ist also restriktiver als der Sortenschutz. Pflanzen, für die Patent und Sortenschutz gelten, sind für Züchtungszwecke nicht mehr nutzbar. Der Züchtervorbehalt droht damit ins Leere zu gehen. Zum Glück erlaubt das Patentrecht in Deutschland und Frankreich die Nutzung patentierten biologischen Materials zumindest zu Züchtungszwecken: Der Züchter kann weiter züchten, muss aber den Patentinhaber fragen, wenn er neue Sorten mit der patentgeschützten Eigenschaft vermarkten will.

Das Patentrecht darf die Grundsätze des Sortenschutzes nicht unterlaufen. Der Sortenschutz ist für den Aufbau einer auf die örtlichen Verhältnisse ausgelegten Pflanzenzüchtung in Entwicklungsländern und damit zur Bewältigung der Herausforderung „Welternährung“ besonders geeignet.