Globalisierung
Wer an Hunger stirbt, wird ermordet
„Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“, sagt der frühere UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung. Während ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel jährlich weggeworfen werde, litten 2016 laut Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization – FAO) 815 Millionen Menschen an Unterernährung. Das seien 38 Millionen Menschen mehr als im Vorjahr gewesen. Rund ein Prozent der Weltbevölkerung sterbe jährlich an Hunger und den unmittelbaren Folgen.
Wie Ziegler betont, fehlt diesen Menschen der Zugang zu Lebensmitteln, weil sie sie nicht bezahlen können. Strukturelle Faktoren seien dafür maßgeblich ursächlich, argumentiert Ziegler, und die Liberalisierung der Weltwirtschaft sei einer davon. Multinationale Konzerne kauften Ackerland im globalen Süden auf und produzierten dort Waren für den globalen Norden. Dadurch würden Subsistenzwirtschaft und Produktion für lokale Märkte zunehmend geschwächt. Hinzu kämen Klimaveränderungen und Umweltkatastrophen, die zu Hungerkrisen führen. Außerdem trieben Spekulationen mit Nahrungsmitteln die Preise in die Höhe. Das alles führe dazu, dass Menschen sich nicht ausreichend versorgen können.
Humanitäre Hilfsorganisationen sind bei akuten Hungerkrisen chronisch unterfinanziert. Ziegler verweist auf die Geberkonferenz zur Hungerkrise im Frühjahr 2017, in der Geber dem Welternährungsprogramm (World Food Programme – WFP) von den benötigten 4 Milliarden Dollar nur 247 Millionen Dollar bereitstellten. Gleichzeitig werden Privatinvestoren in die humanitäre Hilfe eingebunden. Der im September 2017 angestoßene Humanitarian Impact Bond ermöglicht es diesen, mit humanitärer Hilfe Profite zu machen. Mit 26 Millionen Schweizer Franken finanziert das internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) drei Rehabilitationszentren in der Demokratischen Republik Kongo, in Mali und Nigeria. Das Geld wurde von privaten Finanzinstitutionen bereitgestellt und wird ihnen – wenn die vereinbarten Ziele erreicht werden – erstattet, unter Umständen sogar mit höherer als vorgesehener Rendite. Für die Rückzahlung stehen unter anderem die Regierungen von Britannien, Beligen, Italien und Schweiz ein. Ziegler sieht darin einen gefährlichen Trend, der die moralische Basis der humanitären Hilfe aushöhlen könnte.
Bei einer Veranstaltung von medico international in Frankfurt sagte Ziegler im Februar, Regierungen seien weltweit zu stark mit den Finanzeliten verknüpft und staatliche Entwicklungszusammenarbeit stütze durch ihre Kooperation mit Despoten und multinationalen Konzernen Unrechtsstrukturen. Zudem verliere der Staat durch marktliberale Umstrukturierung und Globalisierung immer mehr an regulatorischer Kompetenz und Souveränität.
Eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats erarbeitet derzeit den Entwurf für ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte. Zwar kann es bis zum Inkrafttreten noch Jahre dauern, für Ziegler besteht in dem Abkommen aber die Hoffnung auf einen verbesserten Menschenrechtsschutz, der die ineffektiven freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen ersetzen würde. Staaten müssten Unternehmen dann gesetzlich dazu verpflichten, in ihren globalen Lieferketten die Menschenrechte zu achten.
Die größten Hoffnungen setzt Ziegler in die „planetarische Zivilgesellschaft“, die Widerstand gegen globale Ungerechtigkeit leistet, beispielsweise La Via Campesina, eine internationale Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern. La Via Campesina möchte das Prinzip der Ernährungssicherheit – also das Recht eines jeden Landes, sich selbst zu versorgen – durchsetzen. Dadurch soll allen Menschen der Zugang zu einer ausreichenden Menge gesunder und nahrhafter Lebensmittel ermöglicht werden.