Multilaterale Politik
Lokale Bevölkerung einbinden, um Biodiversitätsziele zu erreichen
E+Z/D+C: Beim Biodiversitätsgipfel von Kunming-Montreal Ende 2022 einigte sich die Weltgemeinschaft darauf, 30 Prozent der globalen Meeres- und Landfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen. Wie geht es nun weiter?
Jochen Flasbarth: Der Erfolg der Konferenz hat in den gegenwärtigen geopolitisch aufgewühlten Zeiten über die Biodiversität hinaus Bedeutung. Im Kontext von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Gipfel gezeigt, dass Multilateralismus auch jetzt funktionieren kann. Globale Probleme erfordern multilaterale Lösungen.
Das Ergebnis der Konferenz ist ein konkreter Zielrahmen bis 2030. Neben der multilateralen Ebene – etwa dem Global Biodiversity Framework Fund – geht es jetzt um die Umsetzung nationaler Biodiversitätsstrategien und -aktionspläne. Ihre Funktionsweise ist angelehnt an die NDCs (Nationally Determined Contributions) im Klimaschutz. Deutschland unterstützt Partnerländer systematisch dabei, deren nationale Biodiversitätspläne umzusetzen.
Sie selbst haben in Montreal maßgeblich zum Schlusskonsens beigetragen. Wie lief das ab?
China hatte die Präsidentschaft inne und die Fäden in der Hand. Nach bewährtem Vorgehen wurden die großen Streitpunkte zum Schluss hin verdichtet. Dann wurden sogenannte Fazilitator*innen beauftragt, den Konsens zu finden, der bei großen internationalen Konferenzen immer nötig ist.
Eine große Diskussion ging um das Ziel, 30 Prozent aller Flächen als Schutzgebiete auszuweisen. Dass Schutzgebiete wichtig sind, ist unbestritten. Noch wichtiger ist aber, Land und Meere nachhaltig und biodiversitätsfördernd zu nutzen. Die Frage, wie wir weltweit Landwirtschaft betreiben, ist wichtiger als jene, ob es nun 28 oder 32 Prozent Schutzgebiete sind. Aber diese Zahl 30 hatte eine so große symbolische Bedeutung erlangt, dass der Erfolg der Konferenz davon abhing. Also musste geliefert werden – was letztlich auch gelang. Wichtige weitere Punkte waren Verfahren zum Schutz genetischer Ressourcen und Finanzierung.
Sie selbst waren Fazilitator für das Thema Finanzierung, gemeinsam mit Jeanne d’Arc Mujawamariya, der ruandischen Umweltministerin.
Wir kannten uns, weil wir bei Klimagipfeln schon zusammengearbeitet hatten. Es war offenbar bekannt, dass wir gut miteinander können – was wichtig ist. Gut war auch, dass die Präsidentschaft die drei Verhandlungsteams in einem ständigen Austausch hielt. Aber der Erfolg kam nicht zum Nulltarif.
Was meinen Sie damit?
Der Finanzbedarf ist gigantisch, und es ist gut, dass wir uns auf Ziele geeinigt haben: So sollen bis 2030 mindestens 500 Milliarden US-Dollar an ökologisch schädlichen Subventionen pro Jahr abgebaut werden. Zudem sollen bis 2030 mindestens 200 Milliarden US-Dollar jährlich aus öffentlichen und privaten Quellen für Biodiversitätszwecke bereitgestellt werden. Und von den Industrieländern sollen bis 2025 jährlich mindestens 20 Milliarden US-Dollar, bis 2030 jährlich mindestens 30 Milliarden US-Dollar als Teil des Gesamtfinanzbedarfs an Entwicklungsländer fließen. Das ist mehr, als Jeanne d’Arc Mujawamariya und ich vorgeschlagen hatten. Wir hatten auch für 2025 kein Ziel vorgeschlagen – das kam von der Präsidentschaft.
Weshalb hatten Sie darauf verzichtet?
Wir sahen, dass die klassischen Geberländer in den kommenden Jahren in den überall angespannten Budgetlagen ihre Haushalte für internationalen Biodiversitätsschutz nicht derart würden hochfahren können. Wenn man aber sieht, dass die Finanzierung auch bei bestem Willen kaum zustande zu bringen ist, könnten diese konkreten Ziele auch zu einer enormen Bürde für die weitere Zusammenarbeit werden, weil Vertrauen verloren geht.
Umstritten war auch, ob der Global Biodiversity Framework Fund eine unabhängige Institution wird oder an bestehende Strukturen angehängt wird. Wir Fazilitator*innen wollten ihn an die Globale Umweltfazilität (GEF) angliedern – mit einer Governance-Struktur, die den Bedenken der Entwicklungsländer Rechnung trägt und nicht westlich geprägt ist. Das fand Zustimmung.
Welche Bedenken hatten die Entwicklungsländer?
Die Entwicklungsländer sind – genauso wie die Industrieländer – kein monolithischer Block mit einheitlichen Positionen. Einigen war es wichtig, dass eine unabhängige Fonds-Struktur die Entwicklungsländer mindestens paritätisch einbezieht. Es gab aber auch taktische Interessen. Einige lateinamerikanische Länder haben vehement einen unabhängigen Fonds gefordert – mit dem eigentlichen Ziel, die Zahlungen nach oben zu schrauben.
Aus Sicht des BMZ und anderer Geberinstitutionen bringt die Anbindung an die GEF mehr Effizienz und Effektivität. Neue Fonds sind keine Erfolgsgarantie. An bestehende Strukturen anzudocken, verursacht weniger Bürokratie – und erleichtert damit den Zugang vor allem für Länder mit schwachen Kapazitäten.
Gibt es ein Grundrezept, um multilaterale Verhandlungen erfolgreich abzuschließen?
„One size fits all“ gibt es auch hier nicht. Nötig ist zunächst ein starker Glaube daran, dass internationale Verhandlungen zu einer gewissen Verbindlichkeit führen. Die Entscheidungen von Kunming-Montreal sind politisch und völkerrechtlich ein starkes Signal. Erfolg hängt aber noch von vielen anderen Umständen ab. In der Schlussphase kommt es darauf an, dass Akteur*innen dabei sind, die wechselseitige Interessenslagen verstehen. Das ist die Rolle, die besonders Fazilitator*innen zukommt. Dabei muss man zwingend eigene nationale Interessen zurückstellen, um eine global akzeptierte Lösung voranzubringen. Es geht darum, einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten zu finden.
Wie unterscheiden sich die Interessen von Ländern mit hohen, mittleren und niedrigen Einkommen?
Die Interessen aller Länder hängen von verschiedenen Faktoren ab. Die Least Developed Countries (LDCs) wollen möglichst direkte und unkomplizierte finanzielle Unterstützung. Bei den Schwellenländern ist es komplizierter. In Brasilien beispielsweise fordert die jetzige Regierung von Präsident Lula da Silva internationale Unterstützung für Wald- und Klimaschutz. Die Demokratische Republik Kongo will dagegen dafür entschädigt werden, dass sie Ressourcen nicht so nutzt, wie das Industrieländer in der Vergangenheit getan haben. Das ist eine hochkomplizierte Diskussion, und man muss sich sehr genau überlegen, ob man sich auf diesen Weg begibt. Ein weiteres Beispiel ist Costa Rica, wo die Wiederbewaldung zum besonders erfolgreichen Modell wurde. Costa Rica spielt eine positive, vermittelnde Rolle.
Kommt es auch auf die Zivilgesellschaft an?
Es gibt eine starke Community von Nichtregierungsorganisationen im Bereich Biodiversität und Naturschutz. Sie ist nicht ganz einheitlich, agiert in wichtigen Fragen aber zusammen. Daneben gibt es Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Belange der indigenen Bevölkerung einsetzen. Indigenen- und Naturschutzrechte gehen teils Hand in Hand. Einige Indigenen-Organisationen fürchten jedoch auch, dass in ihren Siedlungsgebieten globaler Naturschutz zu ihren Lasten durchgesetzt wird. Letztlich muss die örtliche Bevölkerung generell in lokale Maßnahmen einbezogen werden. Wer Schutzgebiete groß macht, muss auch für Akzeptanz sorgen, damit die Biodiversitätsziele wirklich erreicht werden.
Inwiefern hängt Deutschlands Zukunft von Naturschutz in fernen Weltregionen ab?
Nicht nur die Zukunft Deutschlands, sondern aller Länder hängt davon ab, denn die globalen Umweltkrisen verstärken sich wechselseitig. Wenn wir beim Biodiversitätsschutz nicht vorankommen, werden wir auch das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Wenn es gelingt, die Wälder, Moore und Ozeane so zu schützen und zu bewirtschaften, dass sie CO2 aufnehmen und binden können, dann kommen wir auch beim Klimaschutz voran. Umgekehrt gilt leider auch: Die globale Erhitzung verändert Ökosysteme und beschleunigt den Biodiversitätsverlust.
Gibt es eine spezifisch entwicklungspolitische Perspektive auf Biodiversität?
Das hat viele Ausprägungen. Ein Beispiel: Ökosystemschutz kann einen enormen Beitrag dazu leisten, lokal Arbeitsplätze zu schaffen. In Projekten zur Wiederbewaldung und Wiedervernässung von Mooren, der Wiederherstellung von Mangroven oder Flusssystemen steckt ein enormes Potenzial für die kurz-, mittel- und langfristige Schaffung von Jobs. Insofern kann Biodiversitätsschutz auch dabei helfen, Einkommen zu schaffen.
Jochen Flasbarth ist der Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
https://www.bmz.de