Internationaler Klimaschutz

„Man kann nicht immer auf alle warten“

Die Klimakrise bringt auch reiche Länder an ihre Grenzen, analysiert der Klimaexperte Mojib Latif. Er plädiert für mehr Offenheit im Umgang mit der Bevölkerung – und für verstärkte internationale Kooperation.
Das Guohua-Kohlekraftwerk in Nordchina. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Ng Han Guan Das Guohua-Kohlekraftwerk in Nordchina.

Global betrachtet war 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Zugleich stiegen die Emissionen von Klimagasen auf einen neuen Höchstwert. Wie stehen die Chancen, die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 noch einzuhalten?

Wenn man sich die geopolitische Lage ansieht, sind die Vorzeichen extrem schlecht. Die Klimakrise ist ein globales Problem: Es ist irrelevant, wo ein Gas wie Kohlendioxid in die Atmosphäre entweicht – ob in Deutschland, China, den USA oder anderswo. Es verweilt so lange in der Luft, dass es sich um den Erdball verteilt und überall wirksam ist. Das Klimaproblem können nur alle Länder gemeinsam lösen. Es braucht deutlich mehr internationale Kooperation. Allerdings sind die Eigeninteressen vieler Länder stark. Geht es weiter wie bisher, werden wir die Paris-Ziele krachend verfehlen.

Andererseits haben wir alle Möglichkeiten, das Problem zu lösen, das ja in erster Linie ein Energieproblem ist. Wir verfügen über erneuerbare Energien im Überfluss, wir wissen, wie wir sie nutzen können, und haben auch das Geld für die nötigen Investitionen. In einer Welt, in der alle an einem Strang ziehen und die gemeinsamen Interessen im Vordergrund stehen, ließe sich das innerhalb weniger Jahrzehnte lösen.

In welchen Bereichen sind wir global vorangekommen?

Der globale CO2-Ausstoß wächst zwar, aber nicht mehr so stark wie noch vor 20 Jahren. Das mag auch an diversen Krisen liegen – beispielsweise an Covid-19 und der Beeinträchtigung der Weltwirtschaft, etwa durch den Ukrainekrieg. Aber zumindest einen Teil dürfte auch der Klimaschutz beigetragen haben. Es ist also etwas passiert, wenn auch viel zu wenig. Während der Corona-Pandemie hatten wir den stärksten Rückgang der weltweiten Emissionen seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das sieht man aber im CO2-Gehalt der Atmosphäre so gut wie nicht, der geht einfach weiter nach oben. Wir müssen auf einen Bruchteil des heutigen Ausstoßes kommen. Es ist eine Herkules­aufgabe. Die gegenwärtigen Bemühungen sind völlig unzureichend. Die Frage ist, ob man überhaupt von Bemühungen sprechen sollte oder nicht besser von Verweigerung.

Auf dem jüngsten Klimagipfel in Dubai im Dezember 2023 wurden erstmals Mittel für den neuen Loss and Damage Fund bereitgestellt. Auch eine Abkehr von fossilen Energieträgern wurde beschlossen. Sind das nicht Fortschritte?

Ich verstehe nicht, weshalb das in den Medien so hochgejubelt wurde. Die Ergebnisse sind völlig inakzeptabel. Es hätte viel mehr kommen müssen, auch an Unterstützung für ärmere Länder. Der Gipfel in Dubai war die 28. Weltklimakonferenz. Seit der ersten ist der globale CO2-Ausstoß explodiert. Man muss ehrlich fragen: Welchen Sinn haben diese Konferenzen?

Was den CO2-Ausstoß angeht, sind sie offenbar nicht zielführend. Immerhin lenken sie den Blick der Weltöffentlichkeit immer wieder auf das Thema Klima, das ist positiv. Außerdem haben die armen Länder dort eine Stimme. Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht zuletzt deshalb in das Pariser Klimaabkommen aufgenommen worden, weil die kleinen Inselstaaten darauf bestanden. Ich halte dieses Ziel allerdings nicht für sinnvoll, weil es aus meiner Sicht nicht zu schaffen ist. Wenn man ein gesetztes Ziel absehbar reißt, führt das bei vielen Menschen zu Frustration.

Wenn sich die Eskalation der Klimakrise kaum mehr vermeiden lässt, sollten mehr Mittel in Anpassung fließen?

Das Hauptziel des Pariser Klimaabkommens ist, deutlich unter 2 Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit zu bleiben, was noch möglich ist. Dazu müssen wir dringend die CO2-Emissionen senken. Was genau, sagen wir, bei 1,9 Grad passieren wird, wissen wir nicht. Denn das System Erde ist zu komplex. Die Grenze der Vorhersagbarkeit ist eine der drei Grenzen, die ich in meinem Buch „Countdown“ beschreibe, in Anlehnung an den Bericht „Grenzen des Wachstums“. Die zweite Grenze ist die der Anpassungsfähigkeit. Wie sollte sich ein Land an Extremereignisse wie etwa die Flutkatastrophe in Pakistan 2022 anpassen? Das ist nicht möglich. Drittens: die Grenzen der Finanzierbarkeit. Wie soll das alles bezahlt werden, wenn schon ein reiches Land wie Deutschland finanziell an seine Grenzen gelangt? Andere Staaten verfügen über wesentlich weniger Spielraum in ihren Haushalten.

Es ist klar, dass die reichen Industrieländer ihrer Verantwortung beim Klimaschutz in besonderer Weise gerecht werden müssen.

Deutschland und in geringerem Maß die USA gehören zu den Ländern, die ihren Ausstoß gesenkt haben. Sie emittieren aber noch immer zu viel und verantworten einen wesentlichen Teil des historischen Ausstoßes. In den Industrieländern müssen wir noch stärker begreifen, dass die Klimakrise auch uns trifft. Der Staat wird die Menschen bei großen Klimakatastrophen absehbar nicht mehr ausreichend kompensieren können. Das kann enorme soziale Spannungen nach sich ziehen. Unser wirtschaftliches und politisches System steht auf dem Spiel. Diese Brisanz haben weder Politik noch Bevölkerung bisher ausreichend erkannt.

Gilt das auch in globalem Maßstab?

Natürlich. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Meist wird über Emissionen geredet, aber eigentlich kommt es auf den CO2-Gehalt in der Atmosphäre an. Und der geht Jahr für Jahr steil nach oben. Das wird kaum thematisiert. Politisch Verantwortliche vermitteln oft den Eindruck, es würde genügen, etwas weniger zu fliegen und auf das Elektroauto umzusteigen. Wir brauchen aber systemische Veränderungen.

Welche Rolle spielen dabei die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die ihren Kreis im vergangenen Jahr erweitert haben, auch um ölreiche Staaten?

Sie sind entscheidend dafür, die Erderhitzung einzudämmen. Allerdings lebt Russland von fossilen Brennstoffen, und ich glaube nicht, dass Wladimir Putin sich überzeugen lässt, davon Abschied zu nehmen. China ist inzwischen der größte Verursacher von CO2. Das Land stößt gut acht Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr aus, ungefähr so viel wie Deutschland und mehr als der EU-Durchschnitt. China scheint aber nicht bereit zu sein, seinen Ausstoß in den kommenden Jahren zu verringern. Trotz schwächelnder Konjunktur ist er 2023 gegenüber dem Vorjahr gewachsen.

Indien, das bevölkerungsreichste Land der Erde, hat noch einen extrem geringen Pro-Kopf-Ausstoß von etwa zwei Tonnen CO2 pro Jahr. Sollte Indien auf das Niveau Chinas gelangen, wäre das eine Katastrophe. Und wir dürfen nicht vergessen: Afrika hat noch gar nicht angefangen.

Autokratische Regime haben einen erheblichen Anteil am globalen CO2-Ausstoß. Die jüngere Geschichte lehrt aber, dass mit ihnen im Hinblick auf Umwelt- und Klimaschutz wenig anzufangen ist. Die große Schwierigkeit ist, sie dazu zu bewegen, das zu ändern.

Wie könnte das gelingen?

Es müsste eine Allianz der Willigen geben. Die Länder, die ernsthaft Klimaschutz betreiben wollen, sollten vorangehen und einen eigenen Wirtschaftsraum mit strengen Nachhaltigkeitskriterien aufbauen. Die EU kann dafür als Beispiel dienen. Man kann nicht immer auf alle warten.

Ist das denn realistisch? Nachhaltigkeit kann sehr teuer sein, es drohen erhebliche Wettbewerbsnachteile.

Es müssten Schutzzölle und Ähnliches diskutiert werden. Aber sollte dieser Wirtschaftsraum erfolgreich sein, kann es sehr schnell passieren, dass sich andere anschließen. Wir brauchen jetzt den Mut, die Zukunft zu gestalten.

Wie sehen Sie die Zukunft von Ländern mit geringem Einkommensniveau?

Diese Länder wollen sich entwickeln – zu Recht. Wir müssen Modelle finden, in denen sie gemeinsam mit den Industrieländern versuchen, dies nachhaltig zu gestalten. Am Ende müssen das die Industrieländer bezahlen. Sonst ist zu erwarten, dass sich die aufstrebenden Länder so entwickeln wie einst die Industriestaaten oder jüngst China: mit fossilen Brennstoffen.

Angesichts der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird diskutiert, das Klimagas abzuscheiden und unterirdisch zu speichern (CCS – Carbon Capture and Storage). In Deutschland spaltet diese Frage sogar die Umweltverbände: Manche befürworten sie, andere sehen unkalkulierbare Risiken.

Eine solche Wette auf die Zukunft würde ich ungern eingehen. Es gibt zwar bereits CCS-Projekte, etwa in Norwegen, aber bis heute keine Technologie, die im großen Maßstab risikofrei anwendbar wäre. Wir sollten in dieser Richtung weiter forschen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt komplett darauf zu setzen, wäre verantwortungslos gegenüber nachfolgenden Generationen. Ich habe den Eindruck, viele möchten sich einfach nicht von den fossilen Brennstoffen verabschieden und sehen diese Technologie als Rettungsanker. Der sicherste Weg ist aber, CO2 gar nicht erst auszustoßen.

Literatur

Latif, M., 2022: Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können. Freiburg, Herder.

Mojib Latif ist Meteorologe und Seniorprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR).
mlatif@geomar.de