Überblick: Finanzpolitischer Spielraum
Weltweit sind die Haushaltszwänge der Regierungen zu eng
Im November trafen sich die Staats- und Regierungschefs der führenden Wirtschaftsnationen auf Bali zum G20-Gipfel. Sie hatten eine gewaltige Agenda, wobei die Verhandlungen dadurch erschwert wurden, dass Russland Mitglied der G20 ist und sein Einmarsch in die Ukraine viele globale Herausforderungen verschärft hat. Der Wirtschaftsprofessor Iwan J. Azis aus Indonesien sagte mir in einem Interview, dass der Gipfel doch eine stärkere Erklärung herausgab, als er erwartet hatte.
Die Inflation ist derzeit ein besonders hartnäckiges Problem. Die Zentralbanken konzentrieren sich auf die Länder, für die sie zuständig sind, achten aber kaum darauf, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen jenseits ihrer Grenzen haben. Wie André de Mello e Souza, ein brasilianischer Wirtschaftswissenschaftler, auf unserer Website ausführt, verschärft der starke Dollar die Schwierigkeiten, mit denen die Regierungen international konfrontiert sind.
Paradigmenwechsel
Eine offensichtliche Möglichkeit, den fiskalischen Spielraum zu vergrößern, besteht darin, mehr Steuern zu erheben. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Selbst Länder mit hohem Einkommen, die einen Großteil des Bruttoinlandsprodukts als Staatseinnahmen verbuchen können, brauchen mehr Geld. In weniger wohlhabenden Ländern ist die Situation noch schwieriger. In den Augen von Professor Praveen Jha von der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi würde ein internationaler Paradigmenwechsel helfen. Er fordert eine Besteuerung von Einkommen und Vermögen und erläutert auf unser Plattform, warum die Nationalstaatsideologie gescheitert ist.
Der Paradigmenwechsel ist vielleicht sogar schon im Gange. Die einkommensstarken Länder haben in den vergangenen Jahren im Rahmen der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development), eines Clubs reicher Länder, ihre Bemühungen zur Verhinderung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung koordiniert. Außerdem fordern sie seit vielen Jahren, dass die Entwicklungsländer mehr inländische Ressourcen erwirtschaften sollen, was im Wesentlichen eine Erhöhung der Staatseinnahmen bedeutet. Laut dem in Nairobi lebenden Journalisten Alphonce Shiundu hat Kenias neuer Präsident William Ruto die Botschaft gehört. Er hat tatsächlich Maßnahmen ergriffen, um Effizienz und Reichweite des Steuersystems zu erweitern.
Wachsende Schuldenprobleme
Wenn ein Land seine Staatsschulden nicht mehr bedienen kann, reicht eine bessere Steuerpolitik allein nicht aus. Dann ist eine Entlastung nötig, und multilaterales Handeln wird unabdingbar. Die deutsche Bundesregierung befürwortet die Einrichtung eines internationalen Mechanismus für den Umgang mit Staatsinsolvenzen. Im März schrieb Kathrin Berensmann vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS) einen Kommentar für uns, in dem sie erörterte, warum ein solcher Mechanismus sinnvoll wäre.
Es darf nie vergessen werden, dass eine übermäßige Staatsverschuldung eine Wirtschaftskrise auslösen oder verschlimmern kann. Die schwächsten Bevölkerungsgruppen sind am stärksten betroffen, darunter vor allem Frauen und Mädchen. Sundus Saleemi, Postdoktorandin am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, untersuchte die Situation in Pakistan, einem Land mit einer instabilen Regierung, das im vergangenen Sommer ein neues Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) benötigte und von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht wurde.
Bislang gibt es jedoch keinen internationalen Mechanismus für den Umgang mit jedem zahlungsunfähigen Staat. In Situationen, in denen die Schulden eine Volkswirtschaft überfordern, kann die politische Stabilität leiden und die Krise verschärfen. Ein aktuelles Beispiel ist Sri Lanka, wie der Journalist Arjuna Ranawana berichtet.
Ein Problem Sri Lankas besteht darin, dass ein Großteil seiner Schulden von chinesischen Institutionen gehalten wird. Bisher waren sie großzügig, was den Zahlungsaufschub angeht, aber sehr strikt, was Umschuldung und Schuldenerlass betrifft. Sambia ist ein weiteres Land, das eine Umschuldung benötigt, und es wurden diesbezüglich Verhandlungen aufgenommen, an denen auch China beteiligt ist. Daher konnte der IWF der Regierung ein neues Darlehen gewähren. Ohne einen sich abzeichnenden Schuldenerlass wäre das unmöglich gewesen, denn der IWF darf nur dann Geld verleihen, wenn das Schuldnerland realistischerweise mit der Rückzahlung rechnen kann. Peter Mulenga, Chibvalo Zombe und Chrales Chinanda von der Copperbelt University bewerteten das Szenario in Sambia auf www.dandc.eu.
Die Verhandlungen über die Umschuldung wurden in Sambia nur dank des Common Framework for Debt Treatment (CF) der G20 in Gang gesetzt. Der CF wurde Anfang 2020 als Reaktion auf die Corona-Pandemie verabschiedet. Er gilt jedoch nur für Länder mit niedrigem Einkommen, hilft also Ländern mit mittlerem oder hohem Einkommen in Krisensituationen nicht. Der argentinische Wirtschaftswissenschaftler José Siaba Serrate hat Vorschläge zur Verbesserung des Common Framework gemacht.
Die Sicht internationaler Finanzinstitutionen
Aus pragmatischen Gründen hat sich unser kleines Team weitgehend auf Sri Lanka konzentriert, aber auch viele andere Länder sind in Schwierigkeiten. Der World Development Report 2022 der Weltbank beschäftigte sich damit, wie sich die Situation im Zuge der Covid-19-Pandemie verschlechtert hat. Unsere indische Kollegin Roli Mahajan las den Bericht und fasste seine Botschaften im April zusammen.
Auch der IWF hat sich in ähnlicher Weise geäußert und er spielt immer eine wichtige Rolle, ob Niedrigeinkommensland oder nicht. Kristina Rehbein und Malina Stutz bemängeln den Ansatz des IWF. Sie arbeiten für erlassjahr.de, eine deutsche zivilgesellschaftliche Organisation, die sich mit dem Thema Schulden beschäftigt. Sie wiesen auf unserer Plattform darauf hin, dass die Rhetorik des IWF tendenziell progressiver ist als seine tatsächliche Haltung gegenüber einzelnen Ländern.
Wenn der fiskalische Spielraum einer Regierungen nicht ausreicht, können Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden dazu beitragen, dass unverzichtbare Investitionen etwa in den Klimaschutz oder die Anpassung an den Klimawandel dennoch möglich sind. Tatsächlich haben Institutionen aus Asien und Lateinamerika eine Vorreiterrolle übernommen, wenn es darum geht, den Finanzsektor so auszurichten, dass er einen größeren Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. Ulrich Volz von der University of London hat in E+Z/D+C dargelegt, was Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden tun können – und sollten.
Die Herausforderungen sind gewaltig. Wir leben in einer Polykrise, und die Regierungen brauchen dringend mehr finanziellen Spielraum. Eine kurze Zusammenfassung dieser Probleme habe ich in meinem Leitartikel für die Dezemberausgabe 2022 unserer digitalen Monatsausgabe geschrieben.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu