Ernährungssicherheit

Wegbereiter für urbane Landwirtschaft

Mit einer Agrarreform in den 1990er Jahren wurde Kuba zum Pionier urbaner Landwirtschaft. Den Anstoß dafür gaben besondere politische und soziale Umstände.
Urban Gardening in Havana. Still Pictures/Lineair Fotoarchief Urban Gardening in Havana.

Kuba drohte Anfang der 1990er Jahre eine Nahrungsmittelkrise. Urbane, ökologische Landwirtschaft war der erfolgversprechendste Weg aus der Krise. Die kommunistische Regierung kooperierte mit Basisorganisationen und schaffte Anreize für die Stadtbewohner, lokal zu produzieren und zu vermarkten. Dieser Bottom-up-Ansatz war für ein autoritäres Regime ziemlich untypisch.

Die Reform erlaubte es den Menschen, selbst zu entscheiden, was sie anbauen wollten. Die Landnutzung wurde entsprechend neu organisiert. Ein freier Markt für urbane Produkte entstand. Die Gemeinden konnten selbst über die ehemals verstaatlichte Ernährungswirtschaft entscheiden, und administrative Funktionen wurden dezentralisiert.

Seit diesem Beispiel aus den 1990er Jahren hat sich Urban Gardening in vielen Städten der Welt etabliert. Jede Stadt und jedes Land hat ein eigenes System. Der Vorreiter Kuba hat das Potenzial des biologischen Anbaus auch im kleinen Stil gezeigt.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts gab es mehrmals drastische Wechsel in Kubas Volkswirtschaft und im Ernährungssystem. Durch die Revolution von 1959 kam das kommunistische Regime an die Macht, das den Staatsapparat zentralisierte. Landwirtschaftliche Flächen wurden verstaatlicht, Maschinen hielten Einzug in den Betrieben.

Während des Kalten Krieges verhängten die USA ein Handelsembargo gegen Kuba, woraufhin das Land eine symbiotische Handelsbeziehung mit dem sowjetischen Ostblock entwickelte. Es exportierte Zuckerrohr, Tabak und Früchte zu fast doppeltem Weltmarktpreis dorthin. Im Gegenzug erhielt Kuba Treibstoff, Tierfutter, Getreide, Fleisch und andere subventionierte Produkte. In den 1980er Jahren importierte Kuba 57 Prozent seiner Lebensmittel sowie 90 Prozent der Dünger und Pestizide. Der günstige Austausch mit dem Ostblock half dem Karibikstaat, zu gedeihen. Im Rückblick gelten die 1980er Jahre als „die Jahre der fetten Kuh“.

1989 fiel die Berliner Mauer, 1990/91 zerfiel die Sowjetunion. Durch die drastischen Veränderungen der Handelsmuster erlitt Kuba einen wirtschaftlichen Schock. Der Verlust von 80 Prozent seines Lebensmittelhandels führte zu einer ernsten Nahrungsmittelknappheit – die Menschen bekamen durchschnittlich nur noch zwei Drittel der benötigten Kalorien. Für die Kubaner war das die „besondere Hungerperiode“.

Die Regierung reagierte mit radikalen Reformen. Bis dahin gab es industrielle, staatlich betriebene Farmen, die Rohstoffe für den Export produzieren sollten. Nun änderte sich das Paradigma. Jetzt ging es darum, lokale Produkte ohne teure Vorleistungen wie Sprit und Dünger zu beziehen. Die Regierung änderte Vorschriften zur Landnutzung und führte Marktreformen durch, um die lokale Wirtschaft für Nahrungsmittel anzukurbeln. Sie stützte sich auf bisher unbeachtete Fachkenntnisse, vom traditionellen Wissen der Alten bis zu wissenschaftlichen Gutachten, um die Lebensmittelproduktion an die neue geopolitische Lage anzupassen. Flächendeckend wurden Methoden des Bio-Anbaus wie Kompostierung, Fruchtfolge, Bodenschutz et cetera angewendet.


Landwirtschaft in Havanna

Havanna hat etwa 2 Millionen Einwohner. Die Stadt ist nicht dicht besiedelt, Lage und Klima sind ideal für urbane Landwirtschaft. Angesichts der schwachen Wirtschaft richtete das Agrarministerium städtische Ackereinheiten ein, um Nahrungsmittel zu produzieren und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

Bis in die 1990er Jahre hinein gehörten 80 Prozent der Äcker Kubas – einschließlich der Flächen für Rinderzucht – zu großen Staatsbetrieben. Nur 20 Prozent wurden von Kleinbauern bewirtschaftet. Monokulturen, Mechanisierung, Bewässerung und viel Chemie prägten die Landwirtschaft. Die Arbeiter waren in Teams organisiert, jedem waren nach strengen Vorgaben bestimmte Aufgaben zugewiesen.

Das funktionierte nach dem Ende der Sowjetunion nicht mehr, da Kuba nicht mehr an wichtige Ressourcen herankam, die es von dort importiert hatte. Die Regierung stellte auf selbstverwaltete Lebensmittelproduktion auf lokaler Ebene um. Das Motto des Amtes für urbane Landwirtschaft lautete 1991: „Produktion in der Gemeinschaft, durch die Gemeinschaft, für die Gemeinschaft“. Die Landwirte verantworteten fortan die gesamte Produktion für ein bestimmtes Stück Land, die Vergütung war an den Ertrag gekoppelt.

Bei der Vergabe von Land an Kleinbauern in städtischen Gebieten kooperierte das Amt für urbane Landwirtschaft mit partizipativen Nachbarschaftsorganisationen, die „Poder Popular“ (Volksmacht) genannt wurden. Voraussetzung war, dass Lebensmittel produziert wurden. Allein in Havanna vergaben die Behörden 25 000 Gärten als Anbauflächen an Familien. Dutzende großer „Organopónicos“ wurden gegründet – 200 Quadratmeter bis einige Hektar große Stadtgärten, die von fünf bis sechs Arbeitern biologisch bewirtschaftet wurden.

Staatliche Betriebe wurden eingestellt, die genossenschaftliche Landwirtschaft begann, und Kuba übergab vier Fünftel der staatlichen Äcker an die Arbeiter. Jede Untereinheit der neu gegründeten Genossenschaften wählte demokratisch einen Anführer. Dessen Aufgabe war es, die landwirtschaftlichen Aktivitäten zu überwachen, Produktionspläne zu erstellen, Landwirte in städtischer Landwirtschaft zu schulen und neue Technologien zu fördern. Die Anführer  fungierten auch als Vertreter gegenüber dem Landwirtschaftsministerium.

Die Kontrolle über die landwirtschaftliche Produktion wurde dezentralisiert. Obwohl das Ackerland weiterhin dem Staat gehörte und die Bauern Produktionsquoten erreichen mussten, wurden die Kollektive zu Eigentümern ihrer eigenen Lebensmittelproduktion. Die Bauern konnten überschüssige Waren auf lokalen Märkten verkaufen.

Aufklärungskampagnen förderten die Entwicklung der urbanen Landwirtschaft. Die Regierung bezog Wissenschaftler in die Erforschung von Methoden und Innovationen des Bio-Anbaus ein und lud Genossenschaftsmitglieder zu Seminaren und Kursen ein, damit sie neue Fähigkeiten erwerben und ihr Wissen weitergeben konnten.


Fazit

Havannas Agrarrevolution war Folge einer Nahrungsmittelkrise. Lebensmittel sogar in der Hauptstadt anzubauen war Teil des Krisenmanagements, das sich als effektiv erwies. 1995 erklärte die Regierung die Krise für beendet. 1996 bezog Havanna 8 500 Tonnen an Agrarerzeugnissen, 4 Millionen Blumen, 7,5 Millionen Eier und 3 650 Tonnen Fleisch aus städtischer Landwirtschaft.

An Kuba zeigt sich, dass städtischer Anbau die Ernährungssicherheit deutlich erhöhen kann. Allerdings ist das nicht nur eine politische Frage. Durch eigene Produkte können lokale Gemeinschaften ihre Lebensqualität verbessern und sich vitaminreicher ernähren. Internationale Studien zeigen, dass Menschen in ärmeren Gegenden oft nicht an frische Lebensmittel kommen. Ob staatlich gefördert oder nicht, gemeinschaftlich orientierte urbane Landwirtschaft kann viel bewirken.

Durch lokalen Anbau werden die Menschen zudem unabhängiger vom Weltmarkt. Auch im Zeitalter der Globalisierung können Menschen so Kontrolle über ihr Leben behalten – dank traditionellen Wissens und entsprechender Innovationen.

 

Katie Cashman ist Beraterin für Stadtrecht bei UN-Habitat (United Nations Human Settlements Program) in Nairobi. Als sie diesen Beitrag schrieb, war sie Doktorandin für Urban Management an der Technischen Universität Berlin. Ihr Studiengang gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).
kcashman23@gmail.com