Unsere Sicht
Gemeinsame Grundlagen
Erstere sind gefährlich und handeln letztlich undemokratisch. Sie grenzen nämlich nicht nur alle aus, die ihr jeweiliges Bekenntnis nicht teilen, sondern beanspruchen obendrein ein höheres Mandat als das gewählter Gesetzgeber. Die zweite Vorgehensweise entspricht dagegen der Demokratie. Sie richtet sich an alle und betont typischerweise das Gemeinwohl.
Wir leben in turbulenten Zeiten. Rechtspopulisten haben rund um die Welt Boden gewonnen. Viele von ihnen – jedoch nicht alle – manipulieren religiöse Einstellungen. Zu den prominenten Beispielen gehören Narendra Modi in Indien und Jair Bolsonaro in Brasilien. Wer sich auf göttliche Autorität beruft, tut sich nun mal leichter damit, demokratische Normen und Verfassungsprinzipien außer Kraft zu setzen. Selbst US-Präsident Donald Trump, der sich nicht streng an christliche Werte hält, kümmert sich aufmerksam um evangelikale Wähler.
Solche Haltungen mit der von Papst Franziskus zu vergleichen ist aufschlussreich. Er tritt bescheiden auf und prahlt nicht. Er spaltet nicht, sondern akzeptiert andere. Seine Botschaft beruht auf der Bibel, aber er argumentiert so, dass er auch Menschen mit anderen Weltbildern erreichen kann.
Führungspersönlichkeiten vieler verschiedener Religionen handeln ähnlich. Auch Politiker können das. Im indischen Befreiungskampf mobilisierte Mahatma Gandhi, ein gläubiger Hindu, massenhaft zu gewaltfreiem, zivilem Ungehorsam. Sein weniger bekannter muslimischer Verbündeter Abdul Ghaffar Khan unterstützte ihn. Als US-Präsident Jimmy Carter, Israels Premierminister Menachem Begin und das ägyptische Staatsoberhaupt Anwar el-Sadat 1978 in Camp David Frieden schlossen, waren alle drei von ihrem Glauben inspiriert. Carter ist Protestant, Begin war Jude und el-Sadat Moslem.
Alle Weltreligionen predigen Frieden, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Weltweit gibt es Schulen und Krankenhäuser von Religionsgemeinschaften. Alle Glaubensrichtungen fordern Selbstbegrenzung, wie sie unter anderem für ökologische Nachhaltigkeit nötig ist. Lange arbeiteten Geberinstitutionen zwar in gewissem Maß mit Glaubensgemeinschaften zusammen, hielten sich aber grundsätzlich an einen missverstandenen Säkularismus, dem zufolge der Staat mit Religion möglichst nichts zu tun haben sollte. Besser interpretiert, erfordert Säkularismus aber die Äquidistanz zu Religionen, deren ethische Grundlagen in vielen Punkten übereinstimmen. Diese Gemeinsamkeiten können helfen, positiven gesellschaftlichen Wandel zu bewirken.
Religion prägt das Leben vieler Menschen – und zwar besonders in Entwicklungsländern. Ja, sie kann für Identitätspolitik missbraucht werden, aber es macht auch niemanden kooperativ, zu sehen, wie der eigene Glaube zurückgewiesen wird. Dagegen ist der Appell an gemeinsame Werte oft sinnvoll. Es ist also stimmig, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und andere Institutionen nun gezielt die Kooperation mit Religionsführern und Glaubensgemeinschaften suchen.
Unser Planet ist klein. Wenn wir Frieden wollen, müssen wir kooperieren – und das schließt Religionen ein. Das Motto der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung ist dabei anschlussfähig: Niemand darf zurückgelassen werden.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu