Entwicklung und
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Global governance

Am Wendepunkt

Der WTO-Gipfel in Nairobi hat wichtige neue Abkommen beschlossen. Dennoch steckt die multilaterale Organisation in einer Krise und wird ihre Doha-Entwicklungsrunde vermutlich aufgeben.
WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo und Kenias Außenministerin Amina Mohamed wollten die Relevanz der multilateralen Organisation unter Beweis stellen. picture-alliance/dpa WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo und Kenias Außenministerin Amina Mohamed wollten die Relevanz der multilateralen Organisation unter Beweis stellen.

Die alle zwei Jahre stattfindenden Ministerkonferenzen sind das wichtigste Entscheidungsforum der Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization). Beschlüsse erfordern Konsens, was unter mehr als 160 Mitgliedsländern schwer zu erreichen ist. Entsprechend gab es auch lange kaum Fortschritt.

Der Nairobi-Gipfel im Dezember markierte aber einen Wendepunkt. Es gab mehrere wichtige, wenn auch kleine Abkommen. Zugleich wurde der Dissens über die „Doha Development Round“ explizit benannt. So heißt die Verhandlungsrunde, die vor 14 Jahren in Katar gestartet wurde und vor allem die Chancen von Entwicklungsländern verbessern sollte. Sie kommt seit Jahren nicht voran. Das Eingeständnis von Dissens bedeutet in dem konsensbasierten System nun Scheitern.

Dennoch brachte der Gipfel echte Ergebnisse. So beschloss er etwa, dass Mitgliedsländer Dienstleistungen aus den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs – Least Developed Countries) für weitere 15 Jahre im Wettbewerb bevorzugen dürfen. Obendrein werden Handelspräferenzen für Güter aus LDCs nun leichter möglich.

Ein weiteres neues Abkommen betrifft die Informationstechnik (IT). Zölle für 201 Produkte – von Hightech-Halbleitern über MRT-Geräte bis hin zu Videospielkonsolen – entfallen. Diese Produkte machen etwa zehn Prozent des Welthandels aus, schätzt das unabhängige International Centre for Trade and Sustainable Development, das den einflussreichen Newsletter „Bridges“ herausgibt.

Elektronische Güter werden also billiger. Das kann dazu beitragen, den digitalen Graben, der Computernutzer von denen trennt, die keinen Zugang haben, kleiner zu machen. Allerdings spielen die ärmsten Länder im IT-Handel keine große Rolle, was den Entwicklungseffekt begrenzen dürfte.


Agrarfortschritte

Die wichtigsten neuen WTO-Beschlüsse betreffen indessen die Landwirtschaft:

  • Exportsubventionen werden bis 2020 abgeschafft, und der Einsatz anderer Methoden zur Ausfuhrförderung (etwa Kredite oder Nahrungsmittelhilfe) wird strenger begrenzt als bisher.
  • Es wird Regeln geben, die Entwicklungs- und Schwellenländern erlauben, temporär Zölle zu erheben, wenn Nahrungsmittelpreise auf dem Weltmarkt stark schwanken. Die Details müssen aber noch ausgehandelt werden.
  • Entwicklungs- und Schwellenländern wird staatliche Vorratshaltung genehmigt, damit sie die Lebensmittelversorgung zu erschwinglichen Preisen sicherstellen können. Permanente Regeln gibt es dafür noch nicht, aber zunächst gelten bestehende, befristete Regeln weiter.

Diese Dinge sind entwicklungspolitisch sehr wichtig. Agrarsubventionen verzerren nämlich den globalen Wettbewerb. Große, hochtechnisierte Höfe in reichen Ländern profitieren von staatlicher Förderung, während Kleinbauern in ärmeren Weltgegenden das nicht tun. Vielfach werden sie von ihren lokalen Märkten verdrängt, weil sie mit der ausländischen Konkurrenz nicht mithalten können. Sie steigen dann aus der Landwirtschaft aus oder werden zu Subsis­tenzbauern.

Das Abkommen von Nairobi besagt, dass die Exportausfuhren noch in diesem Jahr beendet werden, wobei für einige Ausnahmen die Frist noch bis 2020 läuft. Exportkredite werden auf 18 statt bisher 24 Monate Laufzeit begrenzt. Reiche Länder werden verpflichtet, in der Nothilfe auf Nahrungsmittel-Sachleistungen zu verzichten, wenn diese örtliche und regionale Märkte stört. Zudem wurde das Ausmaß, in dem ihre Institutionen Nahrungsmittelhilfe verkaufen dürfen, um Geld für Entwicklungsprojekte aufzutreiben, strenger begrenzt.

Diese Schritte sind wertvoll. Allerdings verzerren andere Agrarsubventionen wei­terhin den Wettbewerb. Als die DohaRunde 2001 lanciert wurde, erhofften die Entwicklungs- und Schwellenländer sich mehr – und früher.

Tatsächlich haben die reichen Handelsmächte ihre Förderpolitik geändert. Die EU beispielsweise subventioniert jetzt nicht mehr jeden Liter Milch, jedes Kilo Fleisch oder jeden Zentner Getreide. Ihre Zahlungen richten sich nun vor allem nach der Fläche, die ein Hof bewirtschaftet. Je mehr Hektar das sind, desto höher sind die Subventionen, und umso leichter fällt es den Eignern, in moderne Technik zu investieren. Für landwirtschaftliche Betriebe bedeutet das: Sie müssen wachsen oder weichen.


Enttäuschte Doha-Hoffnungen

Die Unterhändler aus benachteiligten Weltgegenden wollten in Doha die Wettbewerbsbedingungen für ihre Landwirte verbessern. Der Wandel von produkt- zu flächenorientierten Subventionen hilft ihnen etwas, aber sie hatten deutlich mehr erhofft. Entsprechend ist die Enttäuschung über das Stocken der Doha-Runde groß.

Ein anderer wichtiger Aspekt sind die sogenannten Singapur-Themen. Die Industrieländer wollten sie in die Doha-Runde aufnehmen, die anderen wehrten sich dagegen. Es geht vor allem um die Rechte von Investoren, das Wettbewerbsrecht und staatliche Ausschreibungen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer fürchten, Regeln für diese Dinge würden ihren wirtschaftspolitischen Spielraum so einschränken, dass sie zu den reichen Nationen nicht mehr aufholen könnten.

Um den Gipfel in Doha nicht scheitern zu lassen, waren EU und USA letztlich bereit, die Runde ohne die Singapur-Themen zu starten. Wenige Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 war ihnen ein Signal der weltweiten Einheit wichtig. Es zeichnete sich aber schnell ab, dass sie auf Regeln für die Singapur-Themen nicht wirklich verzichten wollten.

Versuche, derlei wieder auf die WTO-Tagesordnung zu setzen, scheiterten, und bald zeigten EU und USA wachsendes Interesse an bilateralen Handelsabkommen. Das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel ist die Trans-Pacific Partnership (TPP), auf die sich zwölf Regierungen 2015 geeinigt haben, die aber noch von den Parlamenten ratifiziert werden muss. Ein weiteres Beispiel ist die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), über die EU und USA noch verhandeln.

TTP und TTIP sind beide hoch umstritten. Eine Sorge ist, dass sie nicht nur die WTO, sondern auch entwicklungsfreundliche bilaterale Abkommen aushöhlen werden (siehe Artikel von Clara Weinhardt und Florian Bohnenberger und von Theresa Krinninger). Kritiker urteilen, dass alle Staaten die Regeln werden befolgen müssen, die für die USA, die EU und Japan gelten, weil dies die wichtigsten Märkte sind. Eine andere Sorge ist, dass TTP und TTIP ausländischen Investoren so umfassende Rechte gewähren, dass nationale Gesetzesreformen kaum noch möglich sind (siehe Artikel von Alan Robles).

Spitzenpolitiker in Schwellenländern wissen überdies, dass US-Präsident Barack Obama ständig wiederholt, TPP solle globale Regeln festlegen, damit China und andere aufstrebende Mächte das nicht tun. Die Regierungen der Schwellenländer ärgert diese Art von Ausgrenzung.

Der wichtigste Aspekt ist aber, dass ein multilaterales Handelsregime allen dienen würde, weil die Regeln relativ einfach wären. Viele verschiedene Abkommen führen dagegen zu einer Regelkomplexität, die einer „Spaghetti-Schüssel“ gleicht, wie der prominente Ökonom Jagdish Bhagwati regelmäßig warnt (siehe Artikel von Jagdish Bhagwati). Wenn unterschiedliche Regeln gelten, je nach dem, welches Land involviert ist, profitieren davon in erster Linie teure Fachanwälte, welche sich die ärmsten Akteure nicht leisten können.


Der Stand der Dinge

Der Welthandel ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Die Einschätzungen darüber, was die Nairobi-Beschlüsse bedeuten, weichen deutlich voneinander ab. Joseph Stiglitz, der frühere Chefvolkswirt der Weltbank, bedauert das Ende der Doha-Runde und wirft der reichen Welt – und vor allem den USA – Egoismus vor. Aus Sicht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind dagegen das Ende der Exportsubventionen für Agrargüter und die mögliche Bevorzugung der LDCs wertvolle Entscheidungen. Diese Urteile widersprechen sich nicht.

Aus Sicht der Londoner Financial Times war es höchste Zeit, die Doha-Runde abzubrechen – unter anderem, weil die Volkswirtschaften der Schwellenländer in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten so rasant gewachsen seien, dass sie nicht mehr als Entwicklungsländer gelten könnten. Indische Zeitungen dagegen äußern tiefe Enttäuschung. Tatsächlich sind seit der Gründung der WTO im Jahr 1995 die Chancen der LDCs auf den Märkten der reichen Welt deutlich besser geworden, aber nicht die anderer Entwicklungsländer.

Das institutionelle Eigeninteresse der WTO ist beachtenswert. Durch den Abschluss neuer Abkommen hat sie bewiesen, dass sie für globale Regulierung relevant bleibt. Kritiker hatten zuletzt nur noch ihr Streitschlichtungssystem als wichtig bezeichnet, weil es Länder bestrafen kann, die WTO-Regeln brechen.

Dank des Eingeständnisses, dass über die Doha-Runda kein Konsens besteht, hat die WTO kleine, aber wichtige Fortschritte erzielt. Darauf kam es vermutlich WTO-General-Direktor Roberto Azevêdo und der kenianischen Außenministerin Amina Mohamed, als Gastgeberin des Gipfels und ehemaliger WTO-Funktionärin, besonders an.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

Link:
Bridges – International Centre for Trade and Sustainable Development:
http://www.ictsd.org/bridges-news/bridges/overview

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.