Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Entwicklungsfinanzierung

Neue Messweise

Die Geberregierungen legen fest, was als offizielle Entwicklungshilfe (ODA) gilt. Sie denken über eine Reform des ODA-Systems nach. Der beste Weg, ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen, wäre, die Entwicklungsländer mitentscheiden zu lassen.
Auf dem BRICS-Gipfel im Juli wurde die Gründung einer neuen Entwicklungsbank angekündigt. Sie wird Entwicklungsfinanzierung machen, aber ob sie zur offiziellen Entwicklungshilfe beitragen wird, ist eine andere Frage. AP Photo/picture-alliance Auf dem BRICS-Gipfel im Juli wurde die Gründung einer neuen Entwicklungsbank angekündigt. Sie wird Entwicklungsfinanzierung machen, aber ob sie zur offiziellen Entwicklungshilfe beitragen wird, ist eine andere Frage.

Jedes Jahr im Mai ziehen die für Entwicklung zuständigen europäischen Minister eine Bilanz ihrer Ausgaben. Dieses Jahr zeigte sich, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Jahr 2013 zusammen 56,5 Milliarden Euro Official Development Assistance (ODA) gezahlt haben. Das war zwar mehr als die gezahlten 55,3 Milliarden im Jahr zuvor. Aber der Anteil der ODA am EU-Bruttonationaleinkommen (BNE) blieb konstant bei 0,43 Prozent.

Das ist weniger als angestrebt. 2005 hatten die EU und ihre Mitglieder versprochen, bis in zehn Jahren 0,7 Prozent des europäischen BNE für ODA auszugeben. Um dieses Versprechen zu halten, müsste Europa im nächsten Jahr etwa 96 Milliarden Euro bereitstellen. Es ist sehr unrealistisch, dass sich eine so große Finanzierungslücke so schnell schließen ließe. Dennoch gaben die Minis­ter eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie kryptisch alle „individuellen und kollektiven ODA-Versprechen“ bestätigten, während sie jedoch auch die „außergewöhnliche Haushaltslage berücksichtigen“ müssten.

Auch andere Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in der die Industrieländer vereinigt sind, haben ihre ODA-Ziele nicht erfüllt. Die Glaubwürdigkeit aller OECD-Mitglieder steht daher auf dem Spiel. Es muss auch besprochen werden, was nach 2015 passieren soll. Schließlich muss dann die Agenda, die die Millenniumsziele ablösen wird, finanziert werden und ODA wird dabei eine Rolle spielen. Als Beitrag zu dieser Debatte wird dieser Artikel kurz die Geschichte der ODA skizzieren, dann beleuchten,  was als ODA gilt, um schließlich das allgemeinere Thema der globalen Verantwortlichkeit für Entwicklung zu betrachten.


Kurzer Überblick

Die Geschichte der ODA begann Ende der 1950er Jahre, als der Weltrat der Kirchen mit Sitz in Genf sich für eine Erhöhung der finanziellen Hilfe für Entwicklungsländer einsetzte. Nach langen Diskussionen auf vielen Ebenen einigte sich die UN-Generalversammlung 1970 darauf, dass die „wirtschaftlich entwickelten Länder“ anstreben sollten, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung als ODA bereitzustellen.

Anfangs sollten die Geber dieses Ziel bis Mitte der 1970er Jahre erreichen, was aber nicht geschah. Stattdessen „bestätigten“ sie ihre 0,7-Prozent-Verpflichtung immer wieder in verschiedenen internatio­nalen Erklärungen. Jahrzehntelang kamen nur die skandinavischen Länder und die Niederlande diesem Versprechen nach.

Es beschädigt  die Glaubwürdigkeit der OECD-Mitglieder, dass sie selbst definieren, was als ODA gilt. Die Geber melden ihre ODA-Ausgaben an den OECD-Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee – DAC). Zurzeit ist das Hauptkriterium, dass es öffentliche Ausgaben sind, die primär der Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Lebensbedingungen in einem vom DAC als Empfänger definierten Land dienen. Zudem müssen die Zahlungen einen konzessionären Charakter haben.

Über die Jahre hat der DAC allerdings einige Ausgaben akzeptiert, die nicht den ODA-Kriterien entsprechen. Als relevant werden zum Beispiel auch die Kosten für die ODA-Verwaltung, die Finanzierung für Aufklärungskampagnen für die Notwendigkeit von Entwicklungshilfe in OECD-Ländern sowie die Unterstützung von Flüchtlingen in OECD-Ländern akzeptiert.

Andererseits entsprechen andere ­Finanzleistungen weitgehend den ODA-Kriterien, zählen aber nicht als solche. Dazu gehören Bürgschaften für Privatunternehmen, die in Entwicklungsländern investieren und Steuerfreibeträge für Bürger, die für wohltätige Zwecke spenden. Natürlich spielen diese Zahlen in den nationalen Haushalten eine Rolle und sind für Entwicklung relevant, aber sie zählen nicht als ODA, weil sie nicht direkt in die Entwicklungsländer fließen. Tatsächlich akzeptiert das DAC derzeit Bürgschaften nur dann als ODA, wenn sie gezahlt werden, um Unternehmen für ihre Verluste zu kompensieren. Es wäre sinnvoller, alle diese Gelder als ODA einzustufen.

Die Geberregierungen reichen ihre ODA-Zahlen jährlich beim DAC-Sekretariat ein, das daraufhin die Statistiken erstellt und veröffentlicht. Dadurch entsteht ein nicht zu unterschätzender Gruppendruck, da kein Land schlechter dastehen will als ein anderes in Bezug auf das 0,7-Prozent-Ziel. Allerdings möchte im derzeitigen „Aus­teritätsklima“ auch keine Regierung unbedingt mehr bezahlen als andere. Das ODA-System hat weitere Kehrseiten. Allzu oft wiegen statistische Kriterien  (zählt etwas als ODA?) schwerer als Entwicklungskriterien (was wäre am effektivsten?). Noch schlimmer ist aber, dass die gemeldete ODA das widerspiegelt, was die OECD-Regierungen als entwicklungsrelevant erachten, ohne die Vorstellungen der Entwicklungsländer einzubeziehen.


ODA-Relevanz in der Zukunft
 
Trotz einiger kleiner Änderungen ist die ODA-Definition über die Jahre hinweg größtenteils gleich geblieben. Ein Grund dafür ist, dass die OECD-Regierungen den Vorwurf kreativer Buchführung scheuen. Ihre Erfolgsbilanz ist sowieso nicht besonders überzeugend.

Eine weitere Hürde ist, dass Änderungen einen einstimmigen Beschluss erfordern, davon in der Regel aber einige OECD-Mitglieder mehr profitieren als andere. Reformvorschläge werden daher meist über lange Zeit hin diskutiert. Zum Beispiel plädieren die USA dafür, einige militärische Ausgaben, die der Stabilisierung fragiler Staaten dienen, in die ODA-Liste aufzunehmen. Die meisten anderen OECD-Mitglieder hingegen wollen keine „Militarisierung“ der ODA.

Multilaterale Gipfel haben sich darauf geeinigt, dass Mittel zur Anpassung an den Klimawandel und zur Abmilderung des Phänomens nicht als ODA zählen sollen, sondern zusätzlich bereitgestellt werden müssen. OECD-Mitglieder haben sich aber noch nicht darüber verständigen können, wie sie „zusätzlich“ und wie sie „Klimafinanzierung“ definieren. Die Länder beurteilen das Thema unterschiedlich und sind sich uneinig, ob ein Teil der Klimafinanzierung als ODA angerechnet werden soll.

Eine andere Streitfrage ist, wie „weich“ ein Kredit sein muss, um als ODA zu gelten. Einige Regierungen argumentieren, ein Kredit sei konzessionär, wenn die Zinsrate niedriger als der Marktstandard ist. Andere dagegen sehen das nicht wirklich als konzessionär. Die gegenwärtige Definition einzuengen, würde die Länder treffen, die sich sehr um konzessionäre Finanzierung ihrer ODA im Verhältnis zu ihrem BNE bemüht haben wie Frankreich, Deutschland und die Europäische Union.

Ob, wie erwartet, eine gemeinsame Entscheidung zu alledem im Oktober gefunden wird, ist ungewiss. Sicherlich sollte auch berücksichtigt werden, was den Fortschritt in den Entwicklungsländern effektiv unterstützt. Viele der am wenigsten entwickelten Länder sind weiter von ODA abhängig, aber die heimischen Steuereinnahmen sind in den meisten Entwicklungsländern von großer Bedeutung. Die Überweisungen von Migranten und ausländische Direktinvestitionen treiben in vielen Ländern das Wachstum voran. Diese Gelder sind insbesondere in Ländern, in denen die Entwicklung an Tempo gewinnt, sogar relevanter als ODA. Die Herausforderung besteht darin, die ODA an diese Gegebenheiten anzupassen und neu auszurichten.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass die Zahlungen großer aufstrebender Märk­te wie China oder Indien nicht zur globalen ODA gezählt werden. Genauso wenig berücksichtigt sie die immer wichtigeren nichtstaatlichen Institutionen, wie etwa die großen und einflussreichen philan­thropischen Stiftungen.

Abgesehen von den erwähnten Bedenken, gibt es einen weiteren Grund, warum die ODA in ihrer jetzigen Form kein guter Maßstab für die Entwicklungsfreundlichkeit der OECD-Mitglieder ist. Ihre Politik in Bezug auf Wirtschaft, Landwirtschaft, Migration und andere Themen hat ebenfalls Auswirkungen auf die Entwicklungsländer. Das Handeln der OECD-Länder in regionalen und multilateralen Organisatio­nen beeinflusst ebenso internationale Entwicklung.

Die OECD-Regierungen wissen um diese Herausforderungen. Eine Konsequenz waren die Paris-Erklärung zur Effektivität von Entwicklungshilfe im Jahr 2005 und die nachfolgenden Konferenzen bis hin zum High-Level-Meeting in Mexiko in diesem Jahr. Zudem hat der DAC begonnen, Zahlen zur Entwicklungsfinanzierung von Nichtmitgliedern zu sammeln, und relevante Akteure eingeladen, zu diesem Vorhaben beizutragen.  

Im Sinne einer Reformierung des ODA-Systems forderten die OECD-Minis­ter im Dezember 2012, mit dem Total Official Support to Development (TOSD) ein neues Maßsystem zu entwickeln. Jüngste Vorschläge weisen darauf hin, dass TOSD vermutlich ODA und zusätzliche Ausgaben beinhalten wird, wie etwa Beiträge zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter. ODA würde damit nicht durch TOSD ersetzt, sondern ein Teil davon werden. Es bestehen allerdings schwerwiegende methodische Probleme. Das OECD-Sekreta­riat wies auf die Notwendigkeit hin, öffentliche Ausgaben von privaten Geldern, die durch öffentliche Ausgaben mobilisiert oder angestoßen werden, abzugrenzen. Bisher gibt es keine abschließenden Entscheidungen dazu.


Die Post-2015-Agenda

Der DAC wird sicherlich weiterhin eine wichtige Rolle bei der Dokumentation von ODA sowie entwicklungsrelevanter Finanzierung spielen. Seine Beiträge zur globalen Entwicklungsagenda werden daher von großer Bedeutung sein. Um die Legitimität dieses Systems zu stärken, sollten die OECD-Regierungen nicht nur reformieren und anpassen, was und wie gemeldet wird, sondern das Dokumentations­system selbst verbessern. Es ist immer noch zu sehr nach innen gewandt und vom Konsensdruck beschränkt.

Der Fokus sollte von dem, was die OECD-Mitglieder finanzieren, hin zu dem verschoben werden, was die Empfängerländer als wichtige Unterstützung er­achten.

Die OECD sollte mehr machen als nur Meinungen einholen. Sie sollte die Entwicklungsländer an ODA-bezogenen Entscheidungen beteiligen. Ein solcher Schritt würde die Glaubwürdigkeit der OECD erhöhen sowie Druck auf China, Indien und andere Schwellenländer ausüben, sich dem System anzuschließen. Generell gesprochen, sollte die ODA-Reform im Rahmen einer breiteren und konzertierten ­Diskussion über ein internationales ­Rechenschaftssystem geführt werden. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte als Baustein für eine neue Post-2015-Agenda „ein auf Mitwirkung basierendes Monitoringsystem zur Überwachung des Fortschritts und ­gegenseitige Rechenschaftsmechanismen für alle Akteure“. Es wäre sinnvoll, ODA zu einem Kernelement eines dezentralisierten und miteinander verbundenen Reportingsystems zu machen, das überwacht, was relevante Akteure zur Entwicklung beitragen. Berücksichtigt werden müssten dabei auch andere wichtige Aspekte wie Beiträge von privaten Akteuren, von Nichtregierungsorganisationen sowie von Regierungen, die nicht der OECD angehören.

Nur die UN haben die globale Legitimation, ein solches System zu verwalten. Das logische Umfeld dafür wäre das High-Level-Political-Forum, das die UN Conference on Sustainable Development 2012 ins Leben gerufen hat. Dieses kam im Juli dieses Jahres zum zweiten Mal zusammen und ist dabei, sein Mandat und seinen Platz im UN-System zu festigen.

 

Niels Keijzer forscht am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
niels.keijzer@die-gdi.de

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.