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Coronavirus

Plötzlich überfordert

Der Iran war nach China eins der ersten Länder, das schwer vom Coronavirus (Covid-19) getroffen wurde. Schon die offiziellen Zahlen waren erschreckend, aber die tatsächliche Situation war sicher schlimmer. Menschen vertrauen den Informationen der Regierung nicht – daher war es schwierig, die Situation unter Kontrolle zu bringen.
Ein eher symbo­lischer Akt: Desinfektion eines Basars in Teheran. Rouzbeh Fouladi / picture alliance/ZUMA Press Ein eher symbo­lischer Akt: Desinfektion eines Basars in Teheran.

Irans Gesundheitssystem war unvorbereitet. Das lag unter anderem an den bevor­stehenden Parlamentswahlen und den Festlichkeiten zum Jahrestag der Islamischen Revolution. Eine Zeit lang vertuschte die Regierung, dass Covid-19 bereits im Land war.

Am 19. Februar gab sie offiziell bekannt, dass zwei Menschen infiziert waren. Nur wenige Stunden später wurde ihr Tod vermeldet. Das würde eine Sterblichkeitsrate von 100 Prozent bedeuten und war ein sicheres Zeichen dafür, dass viele Fälle entweder nicht diagnostiziert oder vertuscht worden waren. Der Ausbruch war offensichtlich bereits außer Kontrolle geraten.

Im Iran herrscht wenig Vertrauen. Viele Menschen glauben dem autokratischen Regime nicht und befolgen daher auch die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden nicht. Zudem lässt der Mangel an verläss­lichen Informationen Verschwörungstheorien gedeihen.

Ein Gerücht war, dass Alkoholkonsum Covid-19 verhindere. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Kommentars Mitte März waren mehr als drei Dutzend Menschen an einer Methanolvergiftung gestorben. Auf Schwarzmärkten wurde schwarzgebranntes Methanol verkauft – die Covid-19-Angst beflügelte die Nachfrage.

Gleichzeitig hatte Covid-19 mehr als 300 Menschen getötet und etwa 9 000 infiziert, wie der Economist aus London berichtete. Eine beträchtliche Anzahl von Regierungs- und Parlamentsmitgliedern ist infiziert. Deren scheinbar hohe Infektionsrate ist wohl die Folge ungleicher Diagnose­möglichkeiten. Privilegierte Menschen haben Zugang zu den knappen Testkits, während gewöhnliche Iraner nur bei ernsten Krankheitsanzeichen getestet werden. Patienten mit milderen Symptomen bewegen sich vermutlich frei und infizieren unabsichtlich andere. Die Situation ist zweifellos schlimmer, als die offiziellen Statistiken abbilden.

Das neue Virus trifft Arme und Reiche. Aber nicht nur die Testkits sind knapp: Medizinische Produkte im Allgemeinen sind schwer zu bekommen. Die Behandlung ist daher teuer – und für Arme oft unbezahlbar.

Trotzdem sind iranische Ärzte und Krankenpfleger überlastet. Beiträge auf Social-Media-Plattformen zeigen überfüllte Krankenhäuser, in denen Patienten auf Betten im Flur liegen. Und sie zeigen Gesundheitspersonal ohne Schutzhandschuhe und Masken. Laut offiziellen Zahlen starben in weniger als 20 Tagen nach dem Auftreten der ersten Fälle rund 20 Angehörige der Gesundheitsberufe an Covid-19. Die Situation in den Krankenhäusern wird sich noch einige Zeit verschlechtern.

Die US-Sanktionen haben die internationale Hilfe verlangsamt. Rein rechtlich lassen es die Sanktionen zu, humanitäre Produkte an den Iran zu verkaufen, aber Banken scheuen die Risiken, die der Handel mit dem Iran mit sich bringt. Zudem stoppen reiche Nationen zunehmend den Export von Waren, die sie selbst für die Covid-19-Bekämpfung brauchen.

Im Iran leben arme Menschen häufig in kleinen Häusern mit großen Familien zusammen. Ihre Viertel sind meist dicht besiedelt. Selbstquarantäne und soziale Dis­tanzierung sind für sie kaum eine Option.

Noch ist unklar, welchen Tribut die Krankheit im Iran fordern wird. Die Bevölkerung ist relativ jung, so dass die Sterblichkeitsrate vermutlich vergleichsweise niedrig bleiben wird. Covid-19 trifft ältere Menschen am stärksten. Die Wirtschaft und die Gesellschaft im Allgemeinen sind jedoch fragil.

Der Iran gehört nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern. Der Gesundheitssektor gilt als recht stark, leidet jedoch unter Wirtschaftssanktionen und dem allgemeinen Mangel an Vertrauen. Unter diesen Umständen erscheint Covid-19 überwältigend. Die Vorstellung, was vor uns liegen könnte, ist beängstigend. Trotzdem dürfte sich die Krankheit in den am wenigsten entwickelten Ländern als noch verheerender erweisen, vor allem dort, wo autoritäre Herrschaft als Folge von kolonialem Despotismus das Vertrauen der Menschen in die Behörden untergraben hat.


Shora Azarnoush arbeitet für das Farsi-Programm der Deutschen Welle.
shora.azarnoush@dw.com