Psychische Probleme
Gewalt am Arbeitsplatz
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben jeden Tag 5 000 Menschen bei Arbeitsunfällen oder an Berufskrankheiten. Das Problem hat globale Dimensionen. Gesundheitsprobleme, die am Arbeitsplatz entstehen, werden rund um die Welt viel zu selten gemeldet. Der ILO zufolge werden in Lateinamerika nur 20 bis 25 Prozent der Arbeitsunfälle sowie maximal fünf Prozent der Berufskrankheiten offiziell registriert.
Die Globalisierung verschärft die Situation zusätzlich. Sie schwächt bestehende Regelungen, verstärkt soziale Ungleichheit und schafft immer prekärere Arbeitsbedingungen. Der technologische Wandel kommt erschwerend hinzu. Und während Präventionssysteme bröckeln, falls sie überhaupt existieren, entstehen neue Probleme. Studenten, die sich im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz (Occupational Safety and Health – OSH) spezialisieren, stehen vor komplexen Herausforderungen. Um sie zu meistern, brauchen sie eine gute Ausbildung.
Obwohl die psychische Gesundheit im Arbeitskontext eine große Rolle spielt, wird sie oft vernachlässigt. Die Studenten eines internationalen OSH-Masterstudiengangs konzentrieren sich deshalb in ihren empirischen Studien genau auf diese Lücke. Der Studiengang ist eine Initiative des Center for International Health an der Ludwig-Maximilians-Universität München (CIH-LMU) gemeinsam mit mehreren Universitäten in Lateinamerika. Ziel ist es, mehr Spezialisten auszubilden und Süd-Süd-Kooperationen in dem wichtigen Forschungsfeld zu fördern (siehe Kasten).
Um die Herausforderungen zu bewältigen, muss man nicht nur die psychosozialen Risiken in der Arbeitswelt verstehen, sondern auch, wie sie mit anderen Gesundheitsproblemen zusammenhängen. Fundierte Forschungsergebnisse aus der ganzen Welt zeigen, dass schlechte psychosoziale Arbeitsbedingungen die psychische Gesundheit, das Herz-Kreislauf-System sowie das Muskel-Skelett-System schädigen. Ein Arbeitsumfeld ist dann psychosozial belastend, wenn Arbeitnehmer anspruchsvolle Aufgaben perfekt meistern müssen, ohne dabei eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Meistens stehen sie unter hohem Leistungsdruck und bekommen weder Unterstützung noch Anerkennung für ihre Arbeit.
Die beiden Standardmethoden „Job Demand Control“ und „Effort Reward Imbalance“ untersuchen diese Faktoren. Unsere Studenten haben beide angewandt und konnten belegen, dass sich psychische Belastungen tatsächlich negativ auf das Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-System auswirken.
Auch körperliche und psychische Gewalt am Arbeitsplatz haben schwere Gesundheitsfolgen. Diesen Aspekt untersuchen die beiden oben genannten Modelle allerdings nicht. Gewalterfahrungen betreffen nicht nur das Opfer, sondern schaden auch Zeugen und Familienmitgliedern. Gewalt am Arbeitsplatz kann in unterschiedlichen Formen auftreten:
- Mobbing und Schikane,
- sexuelle Belästigung,
- unhöfliches und ungehobeltes Verhalten,
- verbale und/oder körperliche Aggression,
- Androhen von Gewalt oder sogar Morddrohungen.
Jede Art von Gewalt ist inakzeptabel. Und trotzdem ist der Arbeitsplatz kein geschützter Raum. Gewalt kann etwa von der Geschäftsführung ausgehen oder von Angestellten gegenüber ihren Vorgesetzten sowie Kollegen. Dahinter steckt ein unausgewogenes Machtgefüge, in dem sich ein Klima der Angst leicht ausbreiten kann. Das Problem geht häufig mit der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse einher. Übergriffe durch Kunden und andere Betriebsfremde trugen ebenfalls zum Angstklima bei.
Mehrere CIH-LMU-Studenten haben die Thematik in Lateinamerika erforscht. Eine Studie aus Peru hat gezeigt, dass Mobbing bei Krankenhaus-Reinigungskräften zu Asthmasymptomen geführt hat. Mobbing war deutlich folgenschwerer als andere psychosoziale Faktoren wie etwa zu wenig Unterstützung oder hohe Ansprüche an die Arbeitsleistung.
Eine weitere Studie hat bewiesen, dass Gewalterfahrungen bei Bergarbeitern in drei verschiedenen Andenländern psychische Probleme ausgelöst haben. Auch bei Feuerwehrleuten mit Gewalterfahrung in Guatemala waren entsprechende Symptome stärker ausgeprägt als bei jenen ohne solche Erlebnisse.
Auch Muskel-Skelett-Erkrankungen waren Gegenstand der Forschung. Sie treten nicht nur bei harter körperlicher Arbeit auf (schwere Gewichte, schädliche Arbeitshaltungen, ständig wiederholte Bewegungsabläufe et cetera), sondern rühren oft auch von psychischer Belastung her. Langanhaltende starke Schmerzen sind ein großes Problem in verschiedenen Bereichen und Ländern. Sie hängen oft mit mentalem Druck zusammen.
Um den Master an der LMU zu machen, müssen die Studenten empirische Forschung betreiben. Das bereitet sie einerseits gut auf ihre künftige Arbeit vor und erweitert andererseits das internationale Expertenwissen im Bereich OSH. Der Masterstudiengang liefert zudem neue Erkenntnisse über die Bedingungen, Rechts- und Gesundheitsfragen in der Arbeitswelt Lateinamerikas und würdigt die noch zu wenig erforschte Problematik von Gewalt am Arbeitsplatz und Schmerzen.
Prävention ist möglich und sollte schnell vorgenommen werden. Dieses Jahr wird die ILO voraussichtlich eine Konvention zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz verabschieden. Diese Konvention kann den einzelnen Regierungen den entscheidenden Anstoß geben. Allerdings braucht es auch einen global koordinierten Ansatz. International angelegte Forschung kann hierfür eine treibende Kraft sein.
Manuel Parra ist Psychiater mit einer Spezialisierung in Arbeitssicherheit und -gesundheit. Er ist praktizierender Psychiater am San Borja-Arriarán-Krankenhaus in Santiago de Chile und an einer Klinik für Arbeiter. Er unterrichtet auch am Center for International Health an der Ludwig-Maximilians-Universität München (CIH-LMU) und koordiniert dessen Experten-Netzwerk in Lateinamerika mit.
manuelmpg@gmail.com