Forschung
Wege aus extremer Armut und Hunger
Das Forschungsprojekt vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) untersuchte viereinhalb Jahre „Wege aus extremer Armut, Vulnerabilität und Ernährungsunsicherheit“. Dafür identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Ländern Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Kambodscha und Kenia sogenannte Good-Practice-Vorhaben in den Schwerpunktthemen soziale Sicherung, Landrechte und Wertschöpfungsketten und untersuchten ihre Wirksamkeit. Daraus leiteten sie Empfehlungen für die deutsche Entwicklungspolitik ab.
Eine Erkenntnis des Forscherteams ist, dass Ultra-Armen ohne soziale Sicherungssysteme nicht aus der Armut geholfen werden kann. Bislang sehen sich Geber und selbst auf Armutsminderung fokussierte Nichtregierungsorganisationen (non governmental organisations – NGOs) meist nicht in der Lage, extrem Arme und Ultra-Arme zu erreichen.
Dies muss sich nach Ansicht der Forscher ändern. Optimal wäre ihnen zufolge, in den ärmeren oder extrem armen Ländern soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Dabei gäbe es zwei verschiedene Modelle, zum einen direkte, unkonditionierte Geldzahlungen für Individuen oder Familien, in denen niemand erwerbsfähig ist. Zum anderen könnte es versicherungsbasierte Lösungen für die Menschen geben, die zwar erwerbsfähig sind, aber keine Chance auf eine Arbeit haben (siehe Beitrag von Hans Dembowski im Monitor des E+Z/D+C e-Papers 2019/11).
Ärmere Länder benötigen für den Aufbau beider Systeme zumindest zeitweise finanzielle Unterstützung, wozu auch Deutschland seinen Beitrag leisten sollte. Ein wichtiger Punkt ist hier auch, die Vulnerabilität von Menschen zu sehen, die knapp oberhalb der Armutsgrenze leben. Es ist ebenso wichtig, die extrem armen Bevölkerungsgruppen dabei zu unterstützen, sich aus der Armut zu befreien („Graduierung“), wie auch vulnerable Haushalte vor dem (erneuten) Abrutschen in die Armut zu bewahren.
Nach Auffassung der International Labour Organization (ILO, 2014) sollte überall auf der Welt ein System nachhaltiger sozialer Sicherung etabliert werden, das Menschen vor dem Fall unter die Armutsgrenze bewahren kann (zunächst in Form von Kranken- und Rentenversicherungen).
Förderung im Agrarbereich
Die Untersuchungen belegen, dass eine Förderung im Bereich der Agrarproduktion nicht allein für Betriebe mittlerer Größe, sondern auch für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sinnvoll ist. Bislang greifen entsprechende Maßnahmen gerade für arme Bevölkerungsgruppen und in weniger begünstigten Klimazonen oft zu kurz. Im Mittelpunkt steht bislang zumeist die Förderung der landwirtschaftlichen Produktion selbst. Daneben wird die Sicherheit von Landrechten und -nutzung sowie die Notwendigkeit, die natürlichen Ressourcen zu erhalten, nicht immer hinreichend berücksichtigt (siehe unseren Beitrag im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Papers 2017/07).
Idealerweise sollten entwicklungspolitische Maßnahmen im Agrarbereich Folgendes leisten:
- Maßnahmen für langfristige Nutzungsrechte fördern – gerade auch für Frauen. Dabei dürfen zum Beispiel bei der Eintragung von Landtiteln auch traditionelle Nutzungsrechte nicht wegfallen. Individuelle Landtitel sind nicht überall die beste Lösung. Auch sekundäre (sich überlagernde, unklare oder umstrittene) Nutzungsrechte sind zu berücksichtigen. Ein Beispiel ist der Konflikt zwischen Ackerbauern und Wanderviehhirten in den Sahelländern Burkina Faso, Mali, Niger oder Tschad (siehe Beitrag von Djeralar Miankeol im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Papers 2017/07).
- Boden- und wasserschützende Maßnahmen sollten überall umgesetzt werden, wo dies notwendig und sinnvoll ist. Auch die Wiederherstellung und vor allem Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und damit der Produktivität sind wichtige Maßnahmen, auf die andere Förderschritte aufbauen. Eine Änderung der Landnutzung kann dabei sinnvoll sein wie zum Beispiel die Einführung von Bewässerung, die Diversifizierung der Anbauprodukte oder die Anlage von (Obst-)Baumkulturen.
- Begleitend zur Förderung der Landwirtschaft ist der Aufbau der Infrastruktur wichtig, um etwa durch Zugangsstraßen den Zugang zu Märkten zu ermöglichen oder die Verarbeitung von Produkten durch die Anbindung an ein Stromnetz und eine gute Wasserversorgung zu fördern. Die Strategie sollte insgesamt in Richtung integrierte ländliche Entwicklung gehen.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass Kleinbauern Zugang zu Krediten erhalten – etwa über einen Gruppen- oder Kooperativansatz mit z.B. Produktlager als Sicherheiten. Kredite werden oft auch bereits für die Produktion benötigt, etwa für die Rekrutierung zusätzlicher Arbeitskräfte während kurzer Pflanzperioden.
Ebenso ist eine zeitliche Streckung der Rückzahlung der Kredite zwei bis vier Monate über die Erntezeit hinaus relevant, damit die Produzenten von Preissteigerungen profitieren können und nicht gleich nach der Ernte zu einem niedrigen Preis verkaufen müssen. Angesichts eines Bedarfs an (einfacher) Mechanisierung in einer Vielzahl von Ländern sollten zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten über zwei bis drei Jahre geschaffen werden. Hierdurch können sich auch ärmere Haushalte zum Beispiel Geräte wie einen Handtraktor anschaffen.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass analog zur gemeinschaftlichen Förderung der Produktion auch verstärkt an kooperative Modelle zum Ressourcenmanagement gedacht werden sollte. Gute Beispiele für erfolgreiche Arbeit liefern hier Äthiopien und Burkina Faso. Notwendig wären zudem Kooperationsstrukturen für ganze Wassereinzugsgebiete, was bisher z. B. in Äthiopien der Staat leistet, allerdings mit einem Top-down-Ansatz.
Die Zusammenarbeit und Organisation von Produzenten bis hin zur regionalen und nationalen Ebene bietet sich auch an, um Marktmacht aufzubauen sowohl für den Verkauf eigener Erzeugnisse als auch für die Beschaffung von Inputs und Gerätschaft. Ein Projektbeispiel aus Kenia hat zudem gezeigt, dass darüber hinaus auch Lobbyfunktionen (etwa von Frauenorganisationen) wahrgenommen werden können, die ebenso stärker gefördert werden sollten.
Literatur
Bliss, F., 2020: Soziale Sicherungssysteme als unverzichtbarer Beitrag zur Bekämpfung von extremer Armut, Vulnerabilität und Ernährungsunsicherheit. Analysen und Empfehlungen. AVE-Studie 24. Duisburg (INEF).
Gaesing, K., 2020: Zugang zu Land und Sicherung von Landrechten in der Entwicklungszusammenarbeit. Analysen und Empfehlungen. AVE-Studie 22. Duisburg (INEF).
Institut für Entwicklung und Frieden, 2016–2020: Good Practice-Berichte sowie umfassende Fallstudien und Strategiepapiere zu dem Forschungsvorhaben unter:
https://www.uni-due.de/inef/inef_projektreihen.php
ILO, 2014: World social protection report. Building economic recovery, inclusive development and social justice. Geneva.
Frank Bliss ist Professor für Ethnologie an der Universität Hamburg und freier entwicklungspolitischer Gutachter.
bliss.gaesing@t-online.de
Karin Gaesing ist Geographin und Raumplanerin an der Universität Duisburg-Essen und freie entwicklungspolitische Gutachterin.
kgaesing@inef.uni-due.de