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Interview

„Die Bevölkerung ist kriegsmüde“

Sheikh Sharif Sheikh Ahmed heißt der neue Präsident Somalias – gewählt Ende Januar im Exil in Djibouti. Vor zwei Jahren regierte er an der Spitze der Union der Islamischen Gerichte schon einmal Somalia, wurde dann aber vertrieben, als die Äthiopier einmarschierten. Dass der äthiopische Regierungschef Meles Zenawi heute Sheikh Sharif unterstützen will, zeugt aus Sicht von Wolfgang Heinrich vom Evangelischen Entwicklungsdienst von Lernfähigkeit beiderseits.


[ Interview mit Wolfgang Heinrich, Evangelischer Entwicklungsdienst ]

Die äthiopische Militäraktion in Somlia hat rund 10 000 Menschen das Leben gekostet und rund 1 Million aus ihrer Heimat vertrieben. An der Küste ist eine regelrechte Piratenbranche entstanden. Hat der Krieg irgendetwas gebracht?
Nein, die Situation ist jetzt noch schwieriger als zuvor. Sheikh Sharif ist ein pragmatisch-moderater muslimischer Führer. In der Bevölkerung genießt er zwar weiterhin hohe Anerkennung, aber er hat nicht mehr die Autorität, die er noch 2006 hatte. Der Kampf gegen die Besatzungsmacht hat die Radikalen in der Union der Islamischen Gerichte gestärkt.

Kann Sheikh Sharif seine alte Macht wiedergewinnen?
Klar ist, dass die Bevölkerung in hohem Maße kriegsmüde ist. Die Menschen haben wirklich die Nase voll, das höre ich von meinen Gesprächspartnern in der Region. Nun bleibt abzuwarten, ob die radikalen Al-Shabab-Milizen wie angekündigt wirklich den militärischen Kampf gegen Sheikh Sharif aufnehmen oder nicht. Viele Menschen haben diese Truppen im Kampf gegen das äthiopische Militär unterstützt, weil sie es als Besatzer empfanden. Das würden sie aber im Kampf gegen Sheikh Sharif kaum tun. Auf Dauer dürften sich Al-Shabab-Leute nicht durchsetzen, sie können aber sicherlich noch große Schwierigkeiten machen.

Der äthiopische Premier Meles Zenawi hat sich mit Sheikh Sharif verbündet, den er 2007 vertrieben hatte. Wie ist das zu verstehen?
Das zeugt von Lernfähigkeit beiderseits. Sheikh Sharif hat Interesse an entspannten Beziehungen zum großen Nachbarn, damit sein Land zur Ruhe finden kann. Meles wiederum hat öfter zu verstehen gegeben, dass er auf Drängen des Weißen Hauses in Somalia interveniert hat, um dort das von der US Administration befürchtete Vordringen des Islamismus zu begrenzen, obwohl aus äthiopischer Sicht die Grenze eigentlich sicher war. Er hat auch gesagt, dass er von Präsident George Bush enttäuscht wurde, der eine AU-Friedenstruppe für Somalia versprochen hatte, die aber nicht zustande kam. Meles fühlt sich reingelegt und hat auch schon von einem „Fehler“ gesprochen. Sein grundsätzliches Ziel bleibt aber bestehen: Er will einen handlungsfähigen somalischen Staat, der aber von Äthiopien abhängt – und zwar aus mehreren Gründen: Er sieht sein Land als Regionalmacht, braucht Zugang zur Küste, will Eritrea in Schach halten und hat im eigenen Land Konflikte mit einer somalischen Minderheit.

Spielt der Amtsantritt von Präsident Barack Obama in den USA eine Rolle? Immerhin hat er Sheikh Sharif zur Wahl gratuliert.
Was die Obama-Regierung tun wird, ist im Detail noch nicht abzusehen. Klar scheint mir, dass sie am Horn von Afrika weiterhin eine dominante Rolle spielen will, das aber nicht mehr nur oder primär mit militärischen Mitteln durchsetzen wird. Vermutlich stellt sich Meles auch schon darauf ein, dass die neue US-Regierung ihm aufgeschlossen, aber nicht so unkritisch gegenübertreten wird wie die alte. Es ist bezeichnend, dass er den Rückzug aus Somalia noch in Bushs Amtszeit abgeschlossen hat. Er hat sich aber in einem anderen Sinne vorbereitet, indem er die Gesetzgebung über regierungsunabhängige Organisationen in Äthiopien verschärfen ließ. NROs, die mehr als zehn Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland bekommen, gelten seither als „ausländisch“ und dürfen zu Governance-Themen nicht mehr Stellung nehmen. Er hat damit Fakten geschaffen, die er mit den neuen Gesprächspartnern in Washington nicht mehr diskutieren muss, und die ihm eine rechtliche Handhabe geben, gegen Kritik vorgehen zu können.

Was müssen die USA denn tun, um den islamistischen Radikalismus in der Region zu begrenzen?
Eine differenziertere Politik der USA, aber auch der Europäer wäre sicherlich hilfreich. Aus der Sicht der Muslime am Horn von Afrika hat der alte US-Präsident Islam und Terror einfach gleichgesetzt, und diesen Nährboden haben die radikalen Kräfte nach Möglichkeit genutzt. Wenn die USA künftig die politischen Akteure und Entwicklungen differenzierter betrachten, würde das die Radikalen schwächen. Dass Obama selbst afrikanische Wurzeln hat und einen muslimischen Namen trägt, kann dabei bestimmt nicht schaden.
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Hu­man Rights Watch wirft den äthiopischen Truppen, aber auch anderen Parteien schwere Verbrechen vor. Ist das ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag?
Human Rights Watch hat den äthiopischen Einmarsch in Somalia, aus meiner Sicht völlig zu Recht, von Anfang an sehr kr­itisch gesehen und sich dadurch von manch anderem amerikanischen Think Tank deutlich unterschieden. Jetzt sagen Ver­treter der Organisation, sie hätten genug Beweismaterial für einen ICC-Prozess ge­gen die äthiopische Regierung oder auch de­ren Militärführung. Sheikh Sharif gibt sich in dieser Sache äußerst zurück­hal­tend. Wie schon gesagt, mir scheint, er will entspannte Beziehungen mit Äthiopien.

Der ICC müsste bei der Aufarbeitung des Krieges sicherlich auch somalische Täter zur Rechenschaft ziehen. Sheikh Sharif hat vielleicht Recht, all diese Traumata erst mal ruhen zu lassen will, auch wenn uns das juristisch nicht optimal erscheint.
Wir müssen Geduld haben. Wir sollten die Aufarbeitung der schrecklichen Kriegsgeschichte wirklich den Somalis überlassen, anstatt mit westlichen Gerechtigkeitsvorstellungen neuen Druck von außen zu machen.

Fragen von Hans Dembowski.

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