E-Learning
Die digitale Revolution von oben

Im Jahr 2022 hat Vietnam sich auf den Weg gemacht, sein Bildungssystem digital zu transformieren: Während der Pandemie stellte das Land schnell auf Online- und Fernunterricht um. Ein von der Regierung initiiertes Projekt, das von 2022 bis 2025 läuft, zielt nun darauf ab, digitale Technologien auf allen Ebenen des Bildungssystems zu integrieren, um Innovationen im Lehren und Lernen zu fördern und die Qualität sowie die Zugänglichkeit der Bildungsangebote zu verbessern.
Das vietnamesische Beispiel ist besonders – nicht zuletzt aufgrund seines politischen Systems. Die Einparteienregierung verfolgt einen Top-down-Ansatz, um die digitale Transformation des Landes voranzutreiben, indem sie den Einsatz von Lernmanagementsystemen (LMS) vorschreibt und der Vermittlung digitaler Kompetenzen Priorität einräumt. Sie stützt sich dabei auf die Erfahrungen anderer asiatischer Länder wie Südkorea und Singapur, wo staatlich gelenkte Bildungsreformen wichtige Triebkräfte des wirtschaftlichen Wandels waren.
Im Jahr 2023 berichtete die UNESCO, dass neun von zehn Schulen im ganzen Land über einen Internetanschluss verfügen: „Mit einem der am schnellsten wachsenden Märkten für Online-Lernen hat Vietnam enorme Chancen, sich als führender regionaler Bildungsstandort und als globales Vorbild zu etablieren.“
Investitionen in digitale Infrastruktur
Zu diesem Zweck hat die Regierung in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investiert. Sie hat Partnerschaften mit öffentlichen Telekommunikationsunternehmen wie VNPT und Viettel geschlossen, um Internetzugang in bisher unterversorgten Regionen, insbesondere in ländlichen Gebieten, bereitzustellen. Darüber hinaus hat sie Initiativen ins Leben gerufen, um bedürftigen Schüler*innen Geräte und Internetverbindungen zur Verfügung zu stellen und benachteiligte Gruppen wie ethnische Minderheiten sowie ländliche Gemeinden zu fördern.
Auch der wachsende Bildungstechnologie-(EdTech)-Sektor Vietnams leistet einen Beitrag: Unternehmen haben Zugang zu Lern-Apps und Online-Plattformen bereitgestellt, die die Kommunikation zwischen Schüler*innen, Eltern und Schulen erleichtern. Phan An, Gründer und CEO von WordsMine, einem vietnamesischen EdTech-Unternehmen, sagt: „Wir verwenden eine KI-gestützte Plattform, um Wissen in Fächern wie Finanzen, Mathematik und Geschichte zu vermitteln – mit einem Schwerpunkt auf junge Menschen, insbesondere Schüler*innen sowie indigene Gemeinschaften in ländlichen Gebieten –, um die Wissenslücke zu schließen, die durch Sprachbarrieren entstanden ist.“
Dennoch mangelt es nach wie vor an digitalen Bibliotheken, E-Learning-Tools und Ressourcen wie E-Books, insbesondere in Regionen, in denen traditionelle Bildungsressourcen ohnehin knapp sind, wie beispielsweise in ländlichen Gebieten.
Mangel an Lehrkräften mit digitalen Kompetenzen
Ein robustes digitales Bildungssystem erfordert Lehrkräfte, die im Umgang mit modernen Tools gut geschult sind und die Schüler*innen individuell unterstützen können. Obwohl Vietnam über 2000 Lehrkräfte in digitalen Kompetenzen geschult hat, fehlen vielen Schulen noch immer die Fachkräfte, die für die Wartung der digitalen Ressourcen erforderlich sind.
„Trotz staatlicher Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes digitaler Bildung verfolgen viele Bildungseinrichtungen nach wie vor einen eher traditionellen, lehrerzentrierten Ansatz, der nicht gut auf die digitale Bildung und die für Industrie und Bildung 4.0 erforderlichen Kompetenzen abgestimmt ist“, sagt Sasha Stubbs, Learning Design Manager an der RMIT University Vietnam. Laut UNESCO variieren die Kompetenzen der Lehrkräfte erheblich, insbesondere in abgelegenen Gebieten.
Allerdings beginnen Studienprogramme, diese Lücke zu schließen. So bereitet beispielsweise der Bachelorstudiengang „Education Technology“ der Hanoi University of Science and Technology Lehrkräfte auf digitale Lernumgebungen vor. An der RMIT University Vietnam wird die Zusammenarbeit zwischen Pädagog*innen gefördert.
Nächster Schritt: KI im Klassenzimmer
Der vietnamesische Bildungssektor steht weiterhin vor großen Herausforderungen, insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen der Zugang zu Infrastruktur, digitaler Ausstattung und qualifizierten Lehrkräften begrenzt ist. Dennoch erscheint die digitale Bildungsrevolution in Vietnam insgesamt vielversprechend. Laut einer aktuellen Studie erzielten vietnamesische Schüler*innen mit Zugang zu digitalen Tools bessere Testergebnisse als ihre Altersgenoss*innen ohne solche Ressourcen. Vietnam legt den Schwerpunkt auf die Lehrerausbildung und versucht, regionale sowie geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu überwinden. Die nächsten Schritte sind bereits in Planung, mit dem Ziel, den Einsatz von KI zu erhöhen: Vielleicht werden bald Chatbots vietnamesischen Schüler*innen sagen, ob ihre Mathehausaufgaben richtig sind.
Link
Vinh, L. A., Phương, L. M., Lân, D., Mỹngọc, T., Dien, B. T., 2023: Technology in education: a case study on Viet Nam. Paper commissioned for the 2023 Global Education Monitoring Report, Southeast Asia – Technology in education.
https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000387747
Giovanni Puglisi ist Journalist, Gründer und Medienberater. Er hat einen Masterabschluss von der London School of Economics.
giovanni.puglisi@alumni.lse.ac.uk