Interview

„Psychische Krankheiten werden völlig unterschätzt“

Nicht nur bei ernsthaften Krankheiten wie Malaria oder Aids, sondern auch bei Routinebehandlungen ist die Gesundheitsversorgung in vielen afrikanischen Staaten unzureichend. Wie man dies verbessern könnte, erklärt die UN-Gesundheitsexpertin Speciosa Wandira Kazibwe aus Uganda Sheila Mysorekar im Gespräch.
Die Gesundheit von Müttern und Kindern ist entscheidend für Entwicklung: Gesundheitszentrum in Uganda. Ron Giling/Lineair Die Gesundheit von Müttern und Kindern ist entscheidend für Entwicklung: Gesundheitszentrum in Uganda.

In afrikanischen Ländern gibt es unterschiedliche Ansätze, um die medizinische Versorgung der Armen zu verbessern. Uganda hat sich für die allgemeine Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage) entschieden. Wie wird das im Land aufgenommen?
Die Regierung spricht sich für die allge­meine Gesundheitsversorgung aus, aber das Gesundheitspersonal ist dagegen. Der Grund ist, dass die Gebühren für die Patienten abgeschafft wurden. Diese konnten sich Ärzte und Krankenschwestern früher auf ihr Gehalt draufschlagen. Mit dem Geld konnten sie aber auch Medikamente, Material und andere notwendige Anschaffungen für die Einrichtungen bezahlen. Ärzte sind zwar maßgeblich an der Entwicklung des Gesundheitswesens beteiligt, erkennen oft aber nicht das große Ganze. Sie konzentrieren sich auf die individuelle Behandlung, aber nicht auf das Gemeinwesen. Vor der Einführung des neuen Systems waren die Menschen zu arm, um die Behandlungen zu bezahlen. Als die Gebühren abgeschafft wurden, rannten sie den Gesundheitszen­tren die Türen ein. Die Leute selbst wissen, was sie brauchen, aber das Gesundheitssystem lässt sie im Stich. Wir müssen die Menschen mobilisieren, um die allgemeine Gesundheitsversorgung durchzusetzen.

Was ist für Sie unerlässlich in der Gesundheitsversorgung?
Eine allgemeine Versorgung sollte sich zumindest mit der Gesundheit von Frauen und Kindern beschäftigen – also Fürsorge für Mutter und Kind. Dies ist entscheidend für die Entwicklung einer Nation. Augenblicklich ist die Kinder- und Müttersterblichkeit zu hoch. Ursachen sind HIV/Aids, aber auch Armut und eine unzureichende Behandlung.

Sind Kleinspargruppen eine Lösung als Krankenversicherung für arme Leute?
Ja, das können sie sein. Allerdings müssen diese Gruppen über eine nationale Krankenversicherung rückversichert werden. Wir wollen mit den Menschen über Gemeindegruppen arbeiten. Der entsprechende Vorschlag wird gerade in der ugandischen Regierung diskutiert. Wir arbeiten an einer Strategie für eine ganzheitliche Gesundheitsversorgung im Lande. Hoffentlich werden wir eines Tages einen aufeinander abgestimmten Plan für ganz Ostafrika haben.

Das klingt wie ein sektorübergreifender Ansatz. Arbeiten Sie mit verschiedenen politischen Bereichen zusammen, um die ugandische Gesundheitsversorgung auf internationalen Standard zu heben?
Ein sektorübergreifender Ansatz geht alle notwendigen Elemente an, um die gesundheitlichen Ziele des Landes zu erreichen. Zum Beispiel könnte das Curriculum beim Medizinstudium besser auf die Ausbildung von Gesundheitspersonal ausgerichtet sein. Wir arbeiten diesbezüglich mit dem Bildungsministerium zusammen, das dafür verantwortlich ist.

Es gibt in Uganda von der UN und der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, ein gemeinsames Programm zur Gleichstellung der Geschlechter. Hat dies Einfluss auf Gesundheitsthemen?
Die Gleichstellung der Geschlechter ist Teil des Themenkatalogs Gesundheit. Dieser übergreifende Ansatz betreffs Geschlechterfragen ist sehr nützlich, wenn es um Gesundheitsreformen geht.

International wird Uganda als positives Beispiel für effektives hochrangiges Agieren gegen HIV/Aids gewertet, wodurch die hohe Zahl der Neuinfizierungen, die es in den 1990ern gab, erheblich verlangsamt wurde. Warum ist dies gerade Uganda gelungen?
Nach der Diktatur von Idi Amin waren keine institutionellen Strukturen mehr intakt, mit denen man hätte arbeiten können – nicht die traditionellen und auch keine neuen. Man musste ganz bei null anfangen. Wir bekamen politische Unterstützung von höchster Ebene, aber wir hörten auch auf andere und lernten von ihnen.

Gibt es Ihrer Meinung nach ein wichtiges Gesundheitsproblem in Afrika, das im internationalen Diskurs nicht zur Sprache kommt?
Ja, psychische Krankheiten werden in Afrika völlig unterschätzt und bekommen kaum Aufmerksamkeit. Der Fokus liegt auf Malaria und HIV/Aids. Wenn zu wenig Geld vorhanden ist, geraten psychische Störungen in den Hintergrund. Wenn Leute psychische Probleme haben, gehen sie zu traditionellen Heilern, aber dies ist auch stigmatisiert. Die Menschen leiden unter Stress aus den unterschiedlichsten Gründen, zum Beispiel als Folgeerscheinung von Krieg. Heutzutage werden in Uganda mehr Fachleute für psychische Betreuung ausgebildet. Es gibt also Hoffnung für die Zukunft.

Was kann die Politik dabei tun?
Das Gesundheitssystem muss auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen reagieren. Mediziner müssen verstehen, dass Gesundheit auch Politik ist – und bei Politik geht es um die Macht, die Ressourcen zu verteilen. Ohne die Gesundheitspolitik in die generelle Makro-Politik und die Pläne der Regierung zu integrieren, werden die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen in den Entwicklungsländern ein Traum bleiben.


Speciosa Wandira-Kazibwe ist Chirurgin und war Vizepräsidentin von Uganda. Heute berät sie den Präsidenten ihres Landes und ist UN-Sondergesandte
für HIV/Aids in Afrika.
swandira@health.go.ug