Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Männer

Vorbildliches Engagement

In Südafrika haben Frauenorganisationen nach dem Ende der Rassentrennung Geschlechtergleichstellung als Verfassungsprinzip durchgesetzt. Damit aus Gesetzesanspruch Wirklichkeit wird, muss nun das überkommene Verständnis von Männlichkeit korrigiert werden. Das regierungsunabhängige Sonke Gender Justice Network leistet diesbezüglich wertvolle Arbeit.
Auch Männer können Wasser holen. Jon Hrusa/picture-alliance/dpa Auch Männer können Wasser holen.

Nach dem Amtsantritt Nelson Mandelas als Präsident 1994 gründeten Frauenrechtsaktivistinnen Anlaufstellen für Gewaltopfer. In Zusammenarbeit mit Juristinnen verlangten sie Rechtsreformen, beispielsweise in Bezug auf Vergewaltigung. Auch das Familien-, Arbeits-, Erb- und Landrecht wurde auf Druck zivilgesellschaftlicher Gruppen geändert.

Die Grundlage dafür war die neue Verfassung, zu der die Women’s National Coalition, ein landesweites Bündnis von Frauenorganisationen, mit konkreten Vorschlägen beigetragen hatte. Sie setzte einen umfassenden Kanon von Frauenrechten und das Gleichstellungsprinzip in der Verfassung durch. Das gelang gegen den energischen Widerstand des Congress of Traditional Leaders.

Diese „traditionellen Führungspersönlichkeiten” sind Chiefs „Häuptlinge”, denen das Apartheid-Regime in den sogenannten Homelands gewisse Macht- und Verwaltungsbefugnisse zugestanden hatte. Die meisten von ihnen hatten sich mit den rassistischen Verhältnissen arrangiert und davon persönlich profitiert. Allerdings wurden ihnen auch später wieder Privilegien eingeräumt, und eine aktuelle politische Kontroverse kreist darum, dass ihre Stellung weiter gestärkt werden soll siehe Hintergrundinfo in der Seitenleiste rechts: Staatsrecht contra Neopatrimonialismus.

Spannungen zwischen rechtsstaatlichen Ansprüchen und überkommenen Konventionen sind für Nachkriegsgesellschaften typisch. Das gilt auch für Südafrika 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Einerseits nutzten Frauenorganisationen die Chance, Rechtsreformen einzufordern. Andererseits begannen alte und neue Eliten bald wieder, ihre Interpretation traditioneller Verhältnisse als die korrekte soziale Ordnung anzupreisen. Und das, obwohl die selektive Auslegung von Traditionen vielerorts zu den Konflikt- und Gewaltursachen zählte.

Südafrikas Verfassung zufolge sind erwachsene Frauen heute eigenständige Rechtspersonen. Das gilt auch für diejenigen, die nach traditionellem Recht verheiratet wurden und von denen manche sich ihren Mann mit anderen Ehefrauen teilen müssen. Sie können heute ohne männlichen Vormund Arbeitsverträge schließen und erben. Bei ehelicher Gewalt können sie professionellen Rechtsbeistand beantragen und sind nicht länger auf das Wohlwollen männlicher Verwandter angewiesen.

Dennoch ist es oft schwierig, staatliches Recht in der Praxis durchzusetzen. Frauenrechtsorganisationen wie Tshwaranang in Johannesburg und das Women’s Legal Centre in Kapstadt sehen sich immer wieder mit autoritären Männern konfrontiert, die Kultur und Tradition einseitig interpretieren. Echten Fortschritt kann es nur geben, wenn das überkommene und historisch geprägte Verständnis von Männlichkeit sich ändert. Revidiert werden muss das martialische Rollenbild, das im Befreiungskampf geprägt wurde und eine Reaktion auf die Gewaltkultur des Apartheidregimes war. Statt des Protzens mit vielen Geliebten, womit schwarze Männer auf ständige Demütigungen durch Weiße reagierten, sollte verantwortliche Vaterschaft zum Leitbild werden.

Der große Einfluss selbsternannter Traditionshüter ist darauf zurückzuführen, dass Männer in wirtschaftlichen Krisen­zeiten um ihren sozialen Status fürchten. Viele kompensieren die eigene Verunsicherung mit autoritärem und sogar gewalttätigem Verhalten in der Familie.

In Südafrika ist Armut immer noch weit verbreitet. Besonders im ländlichen Raum ist die Infrastruktur mangelhaft. Dass die Arbeitslosigkeit hoch bleibt, ist eine Folge der miserablen Schulen. Viele Jugendliche und junge Erwachsene sind zutiefst frus­triert und orientierungslos. Sie sind eine Zielgruppe des Sonke Gender Justice Networks, das sich bewusst an das männliche Geschlecht richtet. Der Name ist Programm: Sonke heißt gemeinsam. Das Besondere an Sonke ist die Zusammenarbeit von Frauen und Männern; Sonke versteht sich als Partner von Frauenorganisationen.

Sonke ist eine unabhängige Organisa­tion und wurde 2006 von Männern gegründet, um Geschlechtergerechtigkeit in Süd­afrika zu verwirklichen. Junge Männer setzen sich dort mit Rollen- und Gewaltmustern auseinander und definieren Männlichkeit über das Engagement für eine ­gerechte, demokratische und gewaltfreie Gesellschaft. Das erfordert Mut und Überzeugungskraft, denn Mitgliedern droht oft Spott von Gleichaltrigen.

Zudem bieten Sonke-Mitarbeiter Work­shops für Lehrer und Schüler. Abends verteilen sie in Kneipen Kondome. Dreh- und Angelpunkt sind Diskussionen über Männlichkeit, verantwortungsvolles Sexualverhalten und Gewalt.


Innovative ­Diskussionsrunden

Angesichts der ökonomischen Not fällt es jungen Männern vor allem auf dem Land schwer, sozialen Erwartungen zu entsprechen. Deshalb brauchen sie innovative Foren, in denen sie ihre Sorgen äußern und ihre Situation reflektieren können. Sonke knüpft zwar an traditionelle Kommunikationsformen an, erweitert sie aber um neue Dimensionen. So finden erstmals junge Männer Gehör, die sonst im Beisein von Älteren schweigen müssen.

Sonke nutzt moderne digitale Medien. Hierdurch erhält die Landjugend Grundkenntnisse von Internet, Fotografie und Videoproduktion. Auch Beiträge für lokale Community Radios werden erstellt, die in afrikanischen Sprachen Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen erreichen. Kleine Ausstellungen in Schulen oder Gemeindezentren regen zu Diskussionen an. Mancherorts gelingt es, traditionelle Autoritäten einzubinden, denn einige Chiefs haben erkannt, dass Austausch mit Jugendlichen ihre Position stärkt. Sonke betrachtet Traditionen als wandelbar und ermutigt alle, daran mitzuwirken.

Sonke-Aktivisten mittleren Alters, die bereits gegen die Apartheid gekämpft haben, sind besonders am Dialog mit den ­lokalen Respektpersonen interessiert. Sie führen Gewalt auf Rassismus und Sexismus während der Apartheid zurück und wollen traumatische Demütigungserfahrungen konstruktiv verarbeiten. Ihr Ziel ist, die mühsam erkämpfte Demokratie in der Praxis umzusetzen und Gewaltfreiheit zu erreichen.

Relevant ist zudem die Auseinandersetzung mit HIV/Aids, ein Thema, dass viele südafrikanische Männer schlicht verdrängen. Sonke fordert lokale männliche Autoritäten auf, sich für Prävention einzusetzen und Haushalte mit Aids-Kranken und -waisen aktiv zu unterstützen. Typischerweise sind diese Familien stigmatisiert – und die Pflege der Kranken sowie die Erziehung der Kinder obliegt allein den Frauen. Argumentatives Geschick ist schon dafür notwendig, Männer überhaupt zu HIV-Tests zu bewegen. Auch deshalb ist Sonke daran gelegen, traditionelle Autoritätspersonen als Unterstützer zu gewinnen.

Unabhängige Evaluierungen des Sonke-Engagements in ländlichen Gebieten der Provinzen Limpopo und Eastern Cape haben ergeben, dass geschlechtsspezifische Gewaltübergriffe zurückgegangen sind und aggressives Auftreten junger Männer nun weniger geduldet wird. Die Bewusstseinsarbeit auf lokaler Ebene verbindet Sonke mit dem Engagement auf der nationalstaatlichen Ebene. 2009 zogen die Gender-Aktivisten den damaligen Vorsitzenden der ANC-Jugend­liga, Julius Malema, wegen sexistischer Äußerungen über Vergewaltigte vor den Equality Court. 2010 gewann Sonke den Prozess, worüber die Medien aufmerksam berichteten. Die Kläger beriefen sich auf die südafrikanische Verfassung, insbesondere auf das Gleichheitsprinzip und den Schutz vor Gewalt. Malema ist ein aggressiv-populistischer Politiker, der mittlerweile aus dem ANC ausgeschlossen wurde.

Sonke hat sich als kritischer Beobachter der aktuellen Machthaber profiliert und bezieht Partei für Vergewaltigte, denen oft vorgeworfen wird, sie hätten die Täter provoziert. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine wichtige Rolle dabei, solche Klischees zu revidieren. Das gilt in Südafrika besonders, weil die Oppositionsparteien im Vergleich zum ANC sehr schwach sind.

Sonke kritisiert das Fehlverhalten einzelner Politiker, geht aber nicht auf Konfrontationskurs zur Regierung. Vielmehr arbeitet das Netzwerk mit vielen staatlichen Stellen gut zusammen. Das gilt beispielsweise für das Office of the Status of Women, das entsprechend UN-Vorschlägen eine ­Arbeitsgruppe zu Männern und Geschlechtergleichheit gegründet hat. So wurden integrierte Ansätze zur Geschlechterpolitik formuliert. Mit UN-Unterstützung hat Sonke sich mittlerweile mit ähnlich gesinnten Initiativen weltweit sogar zur innovativen ­MenEngage Global Alliance zusammengeschlossen. Im Mittelpunkt steht dabei der Süd-Süd-Austausch.

Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin der Bücher „Gender und ländliche Entwicklung in Afrika” 2012, „Im Schatten der Apartheid” 2008 und „Frauen und Kriege in Afrika“ 2008.
 

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